Vereinsamung und Ansteckungsangst machen nicht nur vielen Senioren zu schaffen. (Symbolfoto) Foto: ©  MarcoDiStefano – stock.adobe.com

Wenn die traurige Seele um Hilfe ruft. Strategien gegen den Grauschleier. Fälle von Kindswohl-Gefährdungen nehmen zu.

Robustere Naturen bekommen "nur" den Blues, für andere wächst sich die Pandemie durch Vereinsamung und Ansteckungsangst zu einer massiven persönlichen und mitunter wirtschaftlichen Krise aus. Immer häufiger ist die Hilfe der Psychologen gefragt.

Aktuelle Informationen zur Corona-Lage in unserem Newsblog

Kreis Rottweil - "Wir spüren die wachsende Zahl der Hilfesuchenden in unseren Sprechstunden", bestätigt Ulrike Irion, Fachleiterin Solidarität bei der Caritas Schwarzwald-Alb-Donau. Deshalb sei der Zugang zu den Hilfsangeboten auch in Zeiten des Lockdowns gewährleistet. Inzwischen gebe es, nach einer kurzen Phase, in der sich die neuen Angebote einspielen mussten, neben dem Telefon auch eine Beratung per Video oder per Online-Chat. Auch das persönliche Gespräch sei in Ausnahmen möglich, allerdings nur unter strengsten Corona-Auflagen.

Senioren vereinsamen

Auch bei den Schwangeren- und Allgemeinen Sozialberatungen sei ein Anstieg der Zahlen zu beobachten, so Irion. Nach ihren Feststellungen wüchsen sich Kurzarbeit und Jobverlust für manchen nicht nur in Corona-Zeiten zur persönlichen und finanziellen Krise aus. Die Caritas gebe Hilfe zur Selbsthilfe oder verweise die Klienten an die zuständigen Fachämter.

In der Familien- und Lebensberatung zeichne sich sogar der beunruhigende Trend ab, dass die Fälle von Kindswohl-Gefährdungen zunähmen, so Irion. Emotionaler Druck auf die Kinder bis zu Übergriffen und Gewalt seien inzwischen häufiger zu beobachten. "Wir fragen uns natürlich: Was passiert da jetzt in den Familien?", so Irion.

Die Senioren der Region treffe im Zuge des Lockdowns besonders die Vereinsamung, gepaart mit massiven Ansteckungsängsten. Viele der Älteren vermissten besonders den regelmäßigen Gottesdienstbesuch oder die Gemeindefeste – für viele eine der seltenen Gelegenheiten, unter Leute zu gehen. Hinzu komme bei den Älteren die Altersarmut oder die Angst davor.

"Telefon des Zuhörens"

Die Caritas habe deshalb zu Weihnachten eine Päckchen-Aktion gestartet, um den Senioren das Gefühl zu vermitteln, dass jemand an sie denkt. Auf andere seien die Helfer per Telefon aktiv zugegangen, um zu hören, wie es ihnen geht. Irion weist darauf hin, dass die Probleme durch die Pandemie durchaus individuell empfunden würden, doch für einige seien sie eben massiv und vielschichtig.

Da die Klienten in der Regel aktiv auf die Caritas zugingen, um Hilfe zu erbitten, blieben diejenigen, sich in Kummer und Stress einigeln, etwas unter dem Radar. Aber inzwischen habe die Caritas ein "Telefon des Zuhörens" für diejenigen, die das Bedürfnis zu reden haben, eingerichtet.

Abwechslung in den trüben Trott des Alltags bringen

Aber wie können sich Betroffene selbst helfen, um den hartnäckigen Grauschleier zu zerreißen? Das Wichtigste sei, Abwechslung in den trüben Trott des Alltags zu bringen, so Irion. Bei jedem Wetter täglich eine "Runde um den Block" zu machen oder mit dem Hund Gassi zu gehen, bringe auf andere Gedanken und tanke frische Luft.

Auch den trübseligen Gedankenfluss bewusst zu unterbrechen und an etwas Angenehmes zu denken, könne helfen, beispielsweise die reizvolle Umgebung wieder bewusster wahrzunehmen.

Alle, die allein lebten, sollten einmal am Tag mit jemandem reden, so ein weiterer Tipp von Irion, sich erkundigen, wie es dem anderen geht, oder nur ein nettes Schwätzle halten. Das geht auch per Telefon. Damit helfe man sich vielleicht nicht nur selbst aus der Krise, sondern auch dem Anderen.

Nicht der Lethargie überlassen

Allerdings sollte man, rät die Psychologin, Tag für Tag jemand anderen anrufen, um sich bei den Gesprächen nicht im Kreis zu drehen. Dies sei auch die Zeit, etwas eingerostete Freundschaften wieder zu pflegen. Irion rät dazu, sich ganz persönlich zu überlegen, was Spaß machen könnte, um eingeschliffene Gewohnheiten zu durchbrechen, bevor sie zur Last werden.

Gehirnjogging könnte den Trübsinn unterbrechen, oder man lernt beispielsweise auf einschlägigen Portalen eine neue Sprache oder frischt alte Kenntnisse auf. Irion erzählt von Einladungen zu einem digitalen Essen. Auch so könne man den Freunden und Familienmitgliedern ohne Ansteckungsgefahr nahe sein. Einige entdeckten gerade ihre Kochkünste wieder. Mit einem aufwendigen Drei-Gänge-Menü zeige man sich auch selbst, dass man sich etwas wert sei.

Der Gedanke, der hinter den Vorschlägen steckt, ist der gleiche. Jeder sollte möglichst selbst aktiv zu werden und sich nicht der Lethargie überlassen.