Der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, gerät in der Pädophilie-Debatte der Partei persönlich unter Druck. Als Stadtratskandidat in Göttingen verantwortete er 1981 presserechtlich das Kommunalwahlprogramm der dortigen Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL), das dafür warb, gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen nicht zu bestrafen. Foto: dpa

Die Pädophilie-Debatte hat kurz vor der Bundestagswahl Jürgen Trittin erreicht. Der Grünen-Spitzenkandidat räumt Fehler ein. Die Partei gibt sich forsch - alles müsse auf den Tisch.

Berlin - Sechs Tage vor der Bundestagswahl ist bekanntgeworden, dass Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin 1981 für ein Kommunalwahlprogramm mit pädophilen Zielen verantwortlich zeichnete. Trittin habe als Stadtratskandidat in Göttingen damals das Programm der dortigen Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) presserechtlich verantwortet, schrieben die Politologen Franz Walter und Stephan Klecha in einem Beitrag für die Tageszeitung „taz“. Dieses habe dafür geworben, gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen straffrei zu lassen.

Die Grünen hatten Walter im Mai gebeten, dem Einfluss von Pädophilie-Befürwortern in der Partei auf den Grund gehen. Trittin bestätigte der „taz“ den jüngsten Sachverhalt. Nicht nur die Grünen seien in ihrer Gründungsphase in den 80er Jahren dem Druck von Interessengruppen ausgesetzt gewesen, die den Missbrauch von Kindern legalisieren wollten. „Dies war in der Göttinger AGIL eher noch ausgeprägter“, sagte er. „Es war gerade ihr Selbstverständnis, die Forderungen einzelner Initiativen - in diesem Fall der Homosexuellen Aktion Göttingen - eins zu eins zu übernehmen.“

Diesen falschen Forderungen sei die AGIL nicht energisch genug entgegengetreten. „Dies ist auch meine Verantwortung. Und dies sind auch meine Fehler, die ich bedauere.“

Parteichef Cem Özdemir sagte am Montag in Berlin, die Veröffentlichung zeige, dass die Grünen mit der Bitte an Walter den richtigen Schritt getan hätten. „Wir wollten ja jemanden, der absolut unabhängig ist.“ Özdemir: „Er macht es so, dass er keine Rücksicht nimmt, auch nicht auf einen Wahltag. Das ist richtig so“, sagte er. „Alles muss aufgearbeitet werden.“ Das gelte auch über die Grünen hinaus.

Walter und Klecha vom Göttinger Institut für Demokratieforschung sollen ihren Abschlussbericht 2014 vorlegen. Trittin sei unter dem damaligen Kommunalwahlprogramm als eines von fünf Mitgliedern der Schlussredaktion aufgeführt. Nur hinter Trittins Namen stehe das Kürzel V.i.S.d.P. („Verantwortlich im Sinne des Presserechts“).

Walter und Klecha werfen Grünen-Politikern Sprachlosigkeit vor

Allgemein werfen Walter und Klecha führenden Grünen-Politikern Sprachlosigkeit in der Affäre aus wahltaktischen Gründen vor. „Sie legt einen gravierenden Verlust des zuvor so strotzenden Selbstbewusstseins offen - gerade in der moralischen Hybris, die Partei der Guten zu sein“, schreiben sie. Beklagt wird „ein Gemisch aus Ratlosigkeit, Lähmung, ja: Furcht vor der Debatte“.

Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder forderte Trittin auf, Konsequenzen zu ziehen: „Herr Trittin soll sich wirklich überlegen, ob er der Richtige ist für diese Führungsaufgabe bei den Grünen.“ Die damalige Veröffentlichung nannte Mißfelder abscheulich.

Der AGIL-Programmabschnitt „Schwule und Lesben“ von 1981 lag laut den Forschern auf Linie des damaligen Grünen-Grundsatzprogramms. Bereits im August hatten sie mitgeteilt, dass sich die Grünen in ihrem ersten solchen Programm 1980 für eine weitgehende Legalisierung sexueller Beziehungen von Erwachsenen mit Kindern ausgesprochen hatten.

Die Forscher hatten auch aufgedeckt, dass die FDP-Politikerin Dagmar Döring in einem Aufsatz Forderungen nach einer Legalisierung von Sexualbeziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen unterstützt hatte. Döring hatte deshalb ihre Bundestagskandidatur zurückgezogen. Bei den Recherchen sind die Wissenschaftler nach Medienberichten auch auf brisantes Material im Zusammenhang mit dem Kinderschutzbund gestoßen. So soll ein früherer Präsident Gründungsmitglied einer Arbeitsgemeinschaft gewesen sein, die als pädophilenfreundlich gilt.

In Fahrt gekommen war die Debatte , weil der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle die Festrede zu einer Preisverleihung an Daniel Cohn-Bendit abgesagt hatte. Der heutige Europapolitiker hatte 1975 in einem halb fiktiven Buch über seine Zeit als Erzieher geschrieben, es sei passiert, dass Kinder seine Hose geöffnet und ihn gestreichelt hätten. Cohn-Bendit bezeichnete die Äußerungen wiederholt als dumme Provokation.