Pop und Orgel? Ob das zusammenpasst probierten die Musiker in der Balinger Stadtkirche aus. Foto: Szymanski

Darf man Songs aus Musicals in einer Kirche singen? Passt das überhaupt? Beim Konzert Orgel plus wurde das in der Balinger Stadtkirche ausprobiert.

Es ist kein Platz mehr frei in der Balinger Stadtkirche, viele Zuhörer müssen stehen. Aber alle lassen sich berühren von Gabriellas Song aus dem schwedischen Film „Wie im Himmel“. Bei manchen im Publikum sind bei diesem Lied die Augen feucht geworden: „…dass ich Leben spüre, dass ich wertvoll bin.“

Die Sängerinnen Lisa und Patricia Nell zielen mit ihren schönen, frischen und klaren Stimmen fast noch mehr als der Film – weil live - direkt ins Herz. Wolfgang Ehni greift an der Orgel mächtig ein, jedoch mit gefühlvoller Dynamik, tupfend, umrahmend. Thomas Nell führt mit seiner Trompete die Melodie weiter, umkreist sie, zaubert Überleitungen. Ein ungewohnter Dreiklang, der jedoch einfach himmlisch ist.

König der Löwen in der Kirche

Wieder muss man trocken schlucken. Das geschieht auch bei „Can You Feel the Love Tonight“, dem Song, den Elton John für das Musical „König der Löwen“ geschrieben hat und für den er 1995 einen Oscar für den besten Filmsong verliehen bekam. Die jungen Sängerinnen pflegen in der Stadtkirche auch bei solchen Musical-Sequenzen eine melodische Kultur, die sich ohne weiteres ins Fach Belcanto einordnen lässt.

Das ist kein Wunder. Studiert Patricia Nell doch gerade klassischen Gesang und ihre Schwester Lisa hatte Unterricht bei Vocal Coaches. Beide Interpretinnen – die in zahlreichen Ensembles tätig sind - können von Kunstgesang auf hohem Niveau umschalten auf das Easy Listening der Musical-Interpretationen mit leicht vibrierendem Klanggemisch, balsamisch und empathisch für gesungene Gefühlsmomente dieses Genres.

Passen Musicals überhaupt in eine Kirche?

Passen Musicals überhaupt in eine Kirche, darf man das überhaupt? Aber gewiss doch. Schließlich ist Musik eine Glück verbreitende Magie und es wird von allumfassender Liebe erzählt. Der Applaus für diese Musical-Einlagen ist überwältigend. Alle stehen auf und feiern Orgel- und Trompetenspiel und den innigen Gesang.

Das Konzert begann jedoch mit festlicher Barockmusik, und zwar mit „The Prince of Denmarks March“. Der Titel ist eher unbekannt wie auch der Komponist Jeremiah Clarke. Doch die Melodie hat sich fest verankert im Gehörgang von Klassikliebhabern. Temperamentvoll und leuchtend, mit kristallenem Ton und butterweichem Ansatz spielt Thomas Nell diesen feierlichen Marsch – von der Orgel begleitet.

Ohne Respekt vor allzu wuchtigem Schwellwerk

Diese Empfindung setzt sich fort bei „In dir ist Freude“ von Johann Sebastian Bach mit Ehni an der Orgel. Wie gewohnt spielt der Bezirkskantor mit ungeheurer Energie und schnellen Händen und Füßen die Manuale und das Pedal und ohne Respekt vor allzu wuchtigem Schwellwerk.

Beeindruckend und feierlich auch die Ode for the Birthday of Queen Anne von Georg Friedrich Händel. Dieser schrieb das Tonstück eigentlich für Chor und Orchester. Doch die Zuhörer schwelgen im Dialog zwischen den Sängerinnen Lisa und Patricia Nell und ihrem gesanglich mühelosen Wohlklang und dem Spiel des Trompeters als melodische Gegenstimme.

Auch Coldplay wurde gecovert – an der Orgel

Mit Bachs „Nun danket alle Gott“, kann Ehni dann wieder für ein wuchtiges Brausen an der Orgel sorgen. Bei dieser für dieses Instrument arrangierten Choralkantate wird die Melodie oft mit dem Pedal formuliert. Hinreißender als die Originale schweben die Titel Fix You von der Gruppe Coldplay und A Million Dreams von The Greatest Showman durch den Kirchenraum. Das sind zwar weltliche Songs, jedoch schwerelos und spirituell erleuchtet – fast wie im Himmel.