CHP-Hoffnungsträger Ekrem Imamgolu Foto: AFP/Bulent Kilic

Die türkische Oppositionspartei stellt sich beim Parteitag neu auf. Zum CHP-Chef wird Özgür Özel gewählt. Der starke Mann aber ist ein anderer.

Die türkische Oppositionspartei CHP will mit neuer Führung und einem Generationswechsel aus dem Tief kommen: Der bisherige Parteichef Kemal Kilicdaroglu wurde bei einem Parteitag in Ankara von einer neuen Doppelspitze mit dem Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu und dem neuen Parteichef Özgür Özel gestürzt. Özel sagte, als CHP-Chef wolle er Hoffnungslosigkeit in neue Hoffnung verwandeln. Er schwor die Partei auf die anstehenden Kommunalwahlen im März ein, bei denen Imamoglu sein Amt als Istanbuler Bürgermeister verteidigen will, um 2028 als CHP-Präsidentschaftskandidat gegen Staatschef Recep Tayyip Erdogan antreten zu können. Doch der Neubeginn wird der CHP schwerfallen, denn die Partei ist tief zerstritten.

Vor 30 Jahren zuletzt in der Regierung

Die knapp 1400 Delegierten beim Parteitag wählten den 49-jährigen Özel am frühen Sonntagmorgen im zweiten Durchgang zum Vorsitzenden. Özel, von Beruf ursprünglich Apotheker und bisher Fraktionschef der CHP im türkischen Parlament, erhielt 812 Stimmen, der 74-jährige Kilicdaroglu kam auf 536. Kilicdaroglu sah die Niederlage kommen: Er verließ den Parteitag noch während der Stimmauszählung.

Mit der Abstimmung endete Kilicdaroglus 13-jährige Amtszeit als Chef der ältesten Partei der Türkei. Die säkulare CHP bezeichnet sich selbst als sozialdemokratisch, unterstützte jedoch lange den Machtanspruch der türkischen Militärs. Die Partei, die rund ein Viertel der türkischen Wähler vertritt, war zuletzt vor rund 30 Jahren an einer Regierung beteiligt und verlor auch in der Ära Kilicdaroglu seit 2010 fast alle Wahlen. Kilicdaroglus größter Erfolg waren die Siege der CHP bei den Kommunalwahlen von 2019, bei denen sie die Macht in den Großstädten Istanbul und Ankara eroberte.

Im Mai scheiterte Kilicdaroglu als Präsidentschaftskandidat gegen Erdogan, weigerte sich aber anschließend, den Parteivorsitz aufzugeben. Beim Parteitag sagte Kilicdaroglu mit Blick auf das Bündnis von sechs Oppositionsparteien gegen Erdogan, er habe „mit Dolchen im Rücken“ Wahlkampf machen müssen. Er bat die Delegierten vergeblich, ihm eine letzte Amtszeit zu gewähren.

Özel und der 52-jährige Imamoglu wollen die Serie der Niederlagen beenden. Nach dem Umschwung in der CHP werde es nun in der ganzen Türkei einen politischen Wandel geben, versprach Imamoglu. Der beliebte Istanbuler Bürgermeister ist mit dem Parteitag zum mächtigsten Mann in der CHP aufgerückt; der bisher weitgehend unbekannte Parteichef Özel hätte ohne seine Unterstützung kaum Chancen auf einen Sieg gegen Kilicdaroglu gehabt.

Erhoffter Stimmungsumschwung

Der angesehene Meinungsforscher Özer Sencar vom Institut Metro-Poll sieht das Ergebnis des CHP-Parteitags als potenziellen Wendepunkt für die türkische Politik. Imamoglu und Özel hätten „einen großen und erfolgreichen Wandel“ angestoßen, schrieb Sencar auf Twitter. In der letzten Metro-Poll-Umfrage vor dem Parteitag war die CHP nur noch auf 15 Prozent der Stimmen gekommen. Özel versprach nach seiner Wahl, er werde die Partei einen. „Wir werden uns auf die Kommunalwahlen konzentrieren“, sagte er. Erdogan will bei den Wahlen am 31. März für seine Regierungspartei AKP die Bürgermeisterämter in Istanbul und Ankara zurückerobern.

Für Imamoglu ist der Wechsel bei der CHP ein wichtiger Schritt zur Präsidentschaftskandidatur 2028. Sollte er im März in Istanbul wiedergewählt werden, steht er als künftiger Herausforderer von Erdogan so gut wie fest. Erdogan betrachtet Imamoglu als gefährlichen Gegner. Die regierungstreue Justiz führt mehrere Verfahren gegen den Bürgermeister, die mit Haftstrafen und Politikverboten für Imamoglu enden könnten.

Bei dem Kongress traten die Spannungen zwischen Kilicdaroglu und seinen Gegnern, der so genannten Gruppe der „Veränderer“ um Özel und Imamoglu, offen zutage. Kilicdaroglu beschwerte sich, Özel habe als Fraktionschef nie ihm gegenüber Kritik geäußert.