Sportlerinnen aus Deutschland dominieren die Winterspiele – dank gezielter Förderung.
Vancouver/Stuttgart - Die Männer, das starke Geschlecht? Schon lange nicht mehr, zumindest nicht im deutschen Wintersport. Acht von zehn Goldmedaillen bei Olympia holten Frauen. Deshalb nimmt sich Thomas Bach seine Männer zur Brust. Der DOSB-Chef fordert sie auf, sich schnell zu emanzipieren. Sotschi kommt bald.
Es gibt die Maria, die Lena, die Viki, die Evi, die Steffi, die Claudi und die Anni. Goldige Mädels allesamt. Würden die Statistiker einen Medaillenspiegel nur für Frauen führen, die Deutschen wären die klare Nummer eins. 8x Gold, 6x Silber, 4x Bronze - eine glänzende Bilanz. Dagegen verblasst die Ausbeute der Männer. Nur Bobpiloten und Rodler fahren mit der Konkurrenz Schlitten, die Langläufer überzeugten manchmal. "Deutschland ist im Leistungssport ein Frauenland", sagt Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), "ich hoffe, dass sich die Männer das zum Vorbild nehmen und bis zu den nächsten Winterspielen 2014 die Gleichberechtigung schaffen."
Keine leichte Aufgabe, denn die Gründe für die Diskrepanz sind höchst unterschiedlich. Weniger Konkurrenz, gezielte Förderung, ein anderes Karrieredenken - es gibt vieles, was für die deutschen Frauen spricht, auch wenn sie im schwarz-rot-goldenen Olympia-Team klar in der Unterzahl waren (58:95). "Frauen im Leistungssport zeichnen Durchhaltevermögen, Leidenschaft und Leidensfähigkeit aus, aber auch Biss und den Willen zum Sieg", sagte Meike Evers, Ruder-Olympiasiegerin und in Vancouver Anti-Doping-Vertrauensperson des DOSB, der Zeitung "Die Welt". Ähnlich sieht es der Stuttgarter Sportwissenschaftler Rolf Brack: "Deutsche Athletinnen sind besonders leistungswillig."
Doch die Erfolge haben auch System. Der Staat macht in seiner Förderung keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Das ist in vielen Ländern anders, wenn nich wie jetzt in Kanada ("Own the Podium") ein spezielles Förderprogramm aufgelegt wird. Und auch die Höhe der Mittel, die in die Ausbildung von Talenten fließt, differiert gewaltig - darunter leiden in anderen Nationen begabte Mädchen häufiger als Jungs. "Nur in wenigen Ländern finden Frauen ähnlich gute gesellschaftliche Rahmenbedingungen vor wie bei uns", sagt Meike Evers.
Eine Folge ist, dass die Konkurrenz in der Weltspitze bei den Frauen nicht ganz so groß ist wie bei den Männern. Das Fiasko der deutschen Biathleten in Whistler (0 Gold/0 Silber/0 Bronze) lässt sich damit allein zwar nicht erklären, Fakt aber ist: In Biathlon-Rennen gibt es bei den Männern rund 30 Sieganwärter, bei den Frauen nur halb so viele - darunter stets alle deutschen Starterinnen. Ob die Männer unter Uwe Müßiggang wieder in die Spur finden? Der Frauen-Bundestrainer soll künftig für das gesamte deutsche Team zuständig sein. Nach Meinung von Rolf Brack der richtige Weg: "Ein kleiner Mosaikstein im deutschen Wintersport scheint mir zu sein, dass die Qualität der Trainer im Frauenbereich in manchen Bereichen etwas besser ist."
Und auch die berufliche Perspektive unterscheidet Männer und Frauen ganz offensichtlich. "In vielen Ländern ist Leistungssport ein eigener Beruf mit allen Absicherungen", sagt der Stuttgarter Sportwissenschaftler Dieter Bubeck, "bei uns gehen viele, die voll auf den Leistungssport setzen, ein hohes Risiko ein." Weil selbst Weltklasse-Athleten in vielen Disziplinen längst nicht ausgesorgt haben - aber ihnen keine Zeit bleibt, um nebenher zu studieren.
Viele Frauen sehen dennoch im Leistungssport ihre Lebenschance, und sie geben sich zufrieden mit einer beruflichen Perspektive bei Bundeswehr, Polizei oder Zoll. "Doch irgendwann mal Feldwebel zu sein, ist für jemanden, der eine Familie ernähren will, nicht reizvoll genug", meint Rolf Brack, "eine seriöse Lebensplanung beinhaltet bei vielen Männern eine akademische Ausbildung." Und eben kein Engagement im Leistungssport. Viele Polen denken darüber anders, was kein Wunder ist: Dort erhält jeder Medaillengewinner ab dem 35. Geburtstag eine monatliche Rente von 600 Euro.
In Deutschland wird sich, so ist zu vermuten, an der Dominanz der Frauen im Wintersport so schnell nichts ändern. Seit den 90er Jahren hat sich die Zahl der sporttreibenden Frauen und Mädchen stetig erhöht. Die jüngsten Erfolge könnten diese Entwicklung noch beschleunigen. Und die nachwachsenden Talente können sich in starken Trainingsgruppen schnell entwickeln – so wie zuletzt bei Skirennfahrerinnen, Biathletinnen oder Langläuferinnen
Und die Lösung, wie Deutschland wieder die absolute Nummer eins im Medaillenspiegel werden kann, liegt auch auf der Hand: öffnet endlich Olympia für Frauen im Skispringen, der nordischen Kombination und im Doppelsitzer-Rodeln. Dann gibt es noch mehr Lenas, Vikis, Evis, Steffis und Annis.