Sarah und Nick Blume über ihr Lebensmodell: „Es ist für alle geeignet, die Lust auf Entwicklung haben.“ Foto: privat/IsyStudio

Sarah und Nick Blume ist passiert, was in jeder zweiten Partnerschaft geschieht: ein Betrug. Sie beschließen, einander dennoch nicht aufzugeben, und gehen das Wagnis einer offenen Beziehung ein. Heute leben sie polyamor und wissen, wie das gelingen kann.

Sarah und Nick Blume sind seit 15 Jahren ein Paar – seit sieben Jahren polyamor. Im Interview erzählen sie, ob man sich auf einer Sexparty verlieben kann und warum offene Beziehungen nicht einfach sind.

 

Frau Blume, Herr Blume, Sie lebten am Anfang Ihrer Beziehung monogam – was ist dann passiert?

Sarah: Ich stand kurz davor fremdzugehen und habe lange gedacht, das Problem liegt bei mir. Vor 20 Jahren hat kaum jemand über offene Beziehungen gesprochen. Als ich Nick traf, war ich mir eigentlich sicher, jetzt bin ich treu, weil wir so verliebt waren.

Aber so kam es nicht?

Sarah: Als wir schon ein paar Jahre zusammen waren, habe ich jemanden kennengelernt – und bin fremdgegangen. Mir war klar, dass ich es Nick sagen muss, leider ist die Affäre dann durch Zufall rausgekommen. Das hat uns in eine tiefe Krise gestürzt.

Wie haben Sie wieder herausgefunden?

Sarah: Wir mussten uns neu sortieren. Es war klar, wenn es weitergeht, dann nur mit einem alternativen Konzept. Vorteil war, dass Nick sich auch vor der Affäre schon über so ein Konzept Gedanken gemacht und sich dafür interessiert hat. Dann haben wir uns für eine offene Beziehung entschieden, und mittlerweile sind wir polyamor. Das heißt, wir sind noch mit weiteren Menschen zusammen.

Mit wie vielen sind Sie zusammen?

Sarah: Wir sind seit fünf Jahren mit einem Pärchen zusammen, und da gehört auch noch eine weitere Person dazu, die uns auch sehr nahesteht. Das sind unsere Hauptmenschen. Aber es gab auch noch andere Beziehungen und Begegnungen zwischendurch.

Viele träumen von dem einen Richtigen.

Nick: Wir wollen natürlich niemanden missionieren, der in einer monogamen Beziehung glücklich ist. Aber man muss sich bewusst machen, dass Liebesideale davon geprägt sind, was wir zum Beispiel in Disney-Filmen sehen. Das verhindert oft, dass man sich fragt: Was ist für mich Liebe, was bedeutet Partnerschaft? Die Disney-Welt ist fernab der Realität, weil die Probleme, die partnerschaftlich auftauchen, da gar nicht vorkommen, genauso wenig wie Individualität. Jeder sollte auch in einer Partnerschaft noch eigenständig und autonom leben dürfen.

Manchmal hat man nicht mal genug Zeit für den Ehemann – wie soll man da noch Platz für weitere Partner finden?

Sarah: Ja, das muss einem klar sein, wenn mehr Menschen dazukommen: Es wird nicht einfacher. Man muss wirklich Lust dazu haben. Wichtig ist, viel miteinander zu reden, denn alle tragen viel Verantwortung.

Man sollte also schon auch mal über Gefühle reden können . . .

Nick: Ja, wenn ich ein Mensch bin, der sagt, ich will lieber meine Ruhe, dann würde ich eine offene Beziehung nicht empfehlen. Es ist für alle geeignet, die Lust auf Entwicklung haben. Dann kann es sehr befreiend sein.

Sind Sie nicht ständig eifersüchtig?

Sarah: Wir erzählen uns sofort, wenn wir jemand Neues kennenlernen. Eifersucht gibt es höchstens mal am Anfang einer neuen Liebe, wenn man eine neue Person noch nicht kennt. Da habe ich dann auch mal Ängste, dass die neue Person das Konzept doch blöd findet. Wir stecken so viele Gefühle rein, und dann geht der andere wieder . . .

Nick: Das ist so unverrückbar zwischen uns, da gibt es keine Eifersucht. Ich freue mich mit ihr, wenn sie sich neu verliebt.

Wirklich?

Nick: Ja, dann erzählen wir uns davon und nehmen gegenseitig diese Euphorie auf, da können wir richtig mitschwingen. Wenn ich jemanden liebe, kann ich das genießen, wenn er so schöne Erfahrungen macht. Wenn es ihm gut geht, geht es auch mir gut.

Sind Sie miteinander enger als mit den anderen? Gibt es da Abstufungen?

Nick: Für uns ist alles gleichberechtigt. Wenn Leute neu dazukommen, sagen die manchmal zu uns: Da komme ich ja eh nicht ran, ihr seid schon so lange zusammen. Aber das hat aus meiner Sicht dann eher was mit der Person zu tun, die so denkt, als mit uns.

Welche Punkte sollten Paare regeln, die in eine offene Beziehung gehen wollen?

Sarah: Es ist wichtig, sich viel Zeit zu nehmen. Ich erlebe oft, dass die Leute sich schnell zu viel zumuten und denken, wir müssen jetzt gleich alles ausprobieren. Viele glauben anfangs auch, sie müssen sich ganz viele Regeln überlegen. Denn Regeln geben Sicherheit. Aber mit der Zeit merkt man, dass man diese Regeln oft gar nicht braucht.

Nick: Regeln haben wir in der Monogamie gehabt. Wir wollen ja möglichst frei sein. Man sollte eher eine gemeinsame Haltung entwickeln: Wie wollen wir leben? Gehören Liebesbeziehungen mit anderen dazu oder nur Sex außerhalb der Partnerschaft?

Wie gehen Sie mit Problemen um?

Sarah: Egal ob in einer offenen oder monogamen Beziehung, man muss nachsichtig miteinander sein und nicht immer gleich in eine Kränkung reingehen.

Was war die eindrücklichste Erfahrung, die Sie auf Ihrem Weg gemacht haben?

Sarah: Das war vielleicht die erste gemeinsame Sexparty vor etwa fünf Jahren. Die hatte jemand privat organisiert mit 12 Personen, es war ganz gemütlich und intim. Und da ist einfach so viel passiert an dem Abend, natürlich auch sexuell. Das war unglaublich intensiv. Wir haben uns dort verliebt, daraus sind danach Beziehungen entstanden.

Haben Sie nicht das Gefühl, dass die Intimität zu Hause leidet, wenn man sich außerhalb frisch verliebt?

Sarah: Überhaupt nicht, ich würde eher behaupten, wenn wir bis heute monogam leben würden, hätten wir nicht mehr so ein gutes Sexleben zusammen. Unser Sex ist total beflügelt davon, was wir mit anderen machen. Wir entdecken neue Dinge, die wir dann auch miteinander ausprobieren.

Können Sie sich vorstellen, die Beziehung in bestimmten Lebensphasen auch wieder zu schließen?

Sarah: Nein. Es ist eine Identität, die wir uns aufgebaut haben. Dafür sind uns die Menschen, mit denen wir in Beziehungen sind, zu wichtig. Die würde ich nicht verlassen.

Kann eine kriselnde Beziehung durch solche Lebensmodelle wie Ihres gerettet werden?

Nick: Nein! Es sollte immer eine Ergänzung sein. Viele stellen sich das leicht vor, sagen: Ja klar, lass uns mal mit anderen schlafen. Dann merken sie, wie viel Arbeit das ist. Man muss sich und seine Grenzen genau kennen.

Autoren und Podcaster

Sarah und Nick Blume, Jahrgang 1987 und 1985, sind seit 2008 ein Paar. Sie leben und arbeiten in Hamburg, wo beide aufgewachsen sind. Nick Blume ist Bauleiter am Hafen, Sarah arbeitet als Sozialpädagogin in der klinischen Psychosomatik und berät außerdem polyamore Paare. In ihrem Podcast „Beziehungsweise unverblümt“ sprechen Sarah und Nick Blume auch über alternative Beziehungsformen.

Splitterfaserkrass Foto: privat