Kai Gräber ist der erfolgreichste Dopingjäger in Deutschland: Nun beobachtet er mit großem Interesse, was bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf passieren wird.
München/Stuttgart - In Oberstdorf beginnt an diesem Mittwoch eine Weltmeisterschaft, die auch deshalb im Fokus steht, weil der nordische Skisport exakt vor zwei Jahren eine seiner dunkelsten Stunden erlebte: Bei einer Razzia während der WM 2019 in Seefeld wurden fünf Athleten verhaftet. Gleichzeitig nahm die Polizei in Erfurt den Mediziner Mark Schmidt fest, in einer Garage von ihm fanden sich 45 tiefgefrorene Blutbeutel. Später stellte sich heraus, dass zu Schmidts Dopingnetzwerk 23 Athleten (vornehmlich Winter- und Radsportler) aus acht Nationen gehörten. Mittlerweile ist der Dopingarzt zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden – dank der Ermittlungsarbeit von Kai Gräber, der die Operation Aderlass geleitet hat. Nun beobachtet der Oberstaatsanwalt aus München mit großem Interesse, was im Allgäu passieren wird.
Herr Gräber, werden Sie während der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf sein?
Ich hoffe nicht. Zumindest habe ich vor, die Wettkämpfe von zu Hause aus zu verfolgen.
Wie sicher ist das?
Es ist eine sportliche Großveranstaltung, die in Bayern stattfindet. Deshalb haben die Kollegen vor Ort natürlich meine Telefonnummer, und sie sind angehalten, mit mir Kontakt aufzunehmen, wenn irgendetwas vorfallen sollte.
Aber es ist kein Besuch von Ihnen geplant?
(lächelt) Es ist natürlich schwierig, Ihnen diese Frage zu beantworten. Aber momentan sieht es so aus, als ob ich zu Hause bleiben könnte.
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Bei der Nordischen Ski-WM 2019 war das anders. Welche Erinnerungen haben Sie an die von Ihnen geleitete Dopingrazzia in Seefeld?
Nur positive. Die Sonne schien, die Fans waren guter Stimmung, besonders die Skandinavier sind total verrückt unterwegs gewesen. Und unser Zugriff war nicht nur hervorragend vorbereitet von den österreichischen Kollegen, sondern auch sehr erfolgreich. Insgesamt war es ein traumhafter, rundum gelungener Tag.
Und ein Schlag gegen den Betrug im Sport.
Ja. Unsere Erwartungen sind noch übertroffen worden. Wir hatten die Szenerie im Griff und wussten aufgrund unserer Vorermittlungen, wie die Athleten agieren würden. Wir konnten es so timen, dass wir Max Hauke im Moment der Behandlung erwischten.
Der österreichische Langläufer befand sich in seinem Apartment – mit der Kanüle im Arm.
Das stimmt. Es ist eine Szene, die ich als eher bedrückend in Erinnerung habe. Er saß dort wie auf dem Präsentierteller, wir mussten warten, bis der Sanitäter kam, um ihm den Blutbeutel abzunehmen. Das war keine schöne Situation.
„Ein klares Signal“
Seit der Razzia in Seefeld sind zwei Jahre vergangen. Erlebt Oberstdorf nun einen weniger verseuchten Sport?
Ich hoffe schon, dass sich etwas verändert hat, auch wenn ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass der Sport sauberer geworden ist. Aber Seefeld liegt ja noch nicht allzu weit zurück, deshalb könnte ich mir schon vorstellen, dass die sauberen Athleten in Oberstdorf ein anderes Wettkampfgefühl erleben. Schließlich ging von der Operation Aderlass und dem folgenden Prozess gegen das Dopingnetzwerk des Mediziners Mark Schmidt ein klares Signal aus.
Welches?
Dass Verstöße auch hart sanktioniert werden.
Welche Lehren ergeben sich aus dem Fall Schmidt für den Kampf gegen Doping?
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass erfolgreiche Anti-Doping-Arbeit nur über die Strafverfolgungsbehörden geht. Die Verurteilungen waren letztlich nur möglich, weil wir mit den Mitteln, die wir zur Strafverfolgung haben, einschreiten und Beweise sichern konnten. Das ist weder dem Sport noch den Verbänden noch den Medien möglich.
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Mark Schmidt wurde zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Waren Sie mit diesem Urteil zufrieden?
Grundsätzlich ja. Ich denke, dass das Gericht sehr sorgfältig gearbeitet und das richtige Maß gefunden hat.
„Wir treiben keine Leute durchs Dorf“
Der Prozess hatte durchaus Schwächen. Es gab Zeugen, die nicht erschienen sind, und Namen aus der Kundenkartei von Mark Schmidt, die nicht genannt wurden. Ist zu vieles verborgen geblieben?
Natürlich ist uns durch den Umstand, dass etliche ausländische Zeugen nicht zur Hauptverhandlung kamen, weil sie es nicht mussten oder wegen der Corona-Reisebeschränkungen nicht konnten, eine große Erkenntnismöglichkeit versagt geblieben.
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Was ist mit den Namen weiterer Doper?
Dass nicht alle Sportler, die sich von Mark Schmidt behandeln ließen, Gegenstand der Hauptverhandlung waren, lag den Arzt betreffend an den Verjährungsfristen und etwaige Sportler betreffend daran, dass die Taten verübt wurden, als das Anti-Doping-Gesetz noch nicht in Kraft war.
Gilt das auch für den Radprofi, der vor nicht allzu langer Zeit noch die Tour de France gefahren sein soll?
Auch er wurde zu einem Zeitraum behandelt, als es für ihn noch nicht strafbar war. Und wir treiben keine Leute durchs Dorf, die strafrechtlich von uns keine Konsequenzen zu befürchten haben. Sportrechtlich liegt der Fall unter Umständen anders, aber dafür ist unter anderem die Nationale Anti-Doping-Agentur zuständig.
„Das wäre sehr blauäugig“
Offenbar hat sich kein Top-Athlet der Sportszene von Mark Schmidt tunen lassen. Was ist daraus zu schließen?
Ich finde schon, dass auch Mark Schmidt den einen oder anderen Hochkaräter behandelt hat. Der kasachische Langläufer Alexei Poltaranin, der bei der WM 2013 zweimal Bronze gewonnen hat, ist durchaus ein Siegläufer gewesen, Johannes Dürr wurde sogar als Jahrhunderttalent gepriesen. Und auch die Radprofis Danilo Hondo und Alessandro Petacchi gehören sicher in die erste Reihe. Aber es gab natürlich, da haben Sie vollkommen recht, auch Athleten, bei denen man sich schon fragt, warum sie überhaupt versucht haben, sich mit Dopingmethoden von Platz 60 auf Platz 50 zu verbessern. Es gehörten Leute zum Patientenkreis, die nie eine Chance auf Top-Ten-Platzierungen hatten.
Was bedeutet das für den Zustand des Sports?
Davon auszugehen, dass das Dopingnetzwerk von Mark Schmidt das einzige ist, das es gibt, wäre sehr blauäugig. Ich bin überzeugt davon, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, um weitere Netzwerke zu zerschlagen.
Sind Sie dran?
Grundsätzlich immer. Wir sind bereit für weitere Fälle aus dem Leistungssport.
Geht es etwas genauer?
Ich würde es gerne so abstrakt belassen.
Hat das Urteil gegen Mark Schmidt abschreckende Wirkung?
Ich denke schon. Er hat ja auch ein dreijähriges Berufsverbot bekommen, was für einen Arzt ein sehr einschneidender Eingriff ist, zumal es erst in Kraft tritt, wenn er wieder auf freiem Fuß ist. Ich bin sicher, dass Mediziner, Betreuer und Athleten künftig auch das Risiko einer sehr erheblichen Strafe ins Kalkül ziehen, wenn sie sich pro oder kontra Doping entscheiden.
Sie fordern schon lange, eine Kronzeugenregelung ins Anti-Doping-Gesetz aufzunehmen. Das passiert nun. Was wird sich ändern?
Der vorliegende Gesetzentwurf ist sehr zu begrüßen. Auch die Operation Aderlass hat gezeigt, dass es ohne Informationen aus der Szene im Sport keine Fälle gibt. Deshalb ist es enorm wichtig, durch eine mögliche Strafmilderung Anreize für potenzielle Mitteiler zu schaffen. Allerdings ist auch im Sportrecht eine entsprechende Regelung nötig – es bringt nichts, wenn Kronzeugen im Strafprozess mit mildernden Umständen rechnen können, aber für vier Jahre gesperrt werden.
„Trotzdem kann man auf Dopingkontrollen natürlich nicht verzichten“
Keiner der Kunden von Mark Schmidt ist je bei einer der vielen Kontrollen aufgeflogen. Wie sinnvoll sind Dopingtests?
Zunächst einmal halte ich die Nada für sehr umtriebig, und sie versucht auch, Lehren aus der Operation Aderlass zu ziehen – zum Beispiel, was die Kontrollen unmittelbar vor und nach Wettkämpfen angeht. Dass die Zahl der positiven Tests nicht das Ausmaß des tatsächlichen Betrugs im Sport widerspiegelt, ist schade und sicher auch verbesserungsfähig. Es ist immer noch so, dass die Kontrolleure den Betrügern und ihrer kriminellen Energie mindestens einen Schritt hinterherhinken. Trotzdem kann man auf Dopingkontrollen natürlich nicht verzichten.
Derzeit geht es bei positiven Tests im Sport vor allem um das Coronavirus, zugleich hat die Pandemie das Anti-Doping-Kontrollsystem zeitweise lahmgelegt. Kann das Folgen haben?
Ja.
Welche?
Der Prozess hat klar gezeigt: Wenn Betrüger eine Möglichkeit zum Betrug haben, greifen sie zu. Und wenn sich die Umstände ändern, nutzen sie auch dies zu ihren Gunsten.
Am Donnerstag beginnen die Wettkämpfe in Oberstdorf. Mit welchen Gedanken werden Sie vor dem Fernseher sitzen?
Ich bin eher Fußballfan, habe nicht so eine emotionale Verbindung zum Winter- oder zum Radsport. Aber klar, ich schaue jetzt mit einem anderen Gefühl auf derartige Großereignisse: Wer solche Einblicke in den Sport hatte wie ich, der bleibt davon nicht unberührt und hinterfragt natürlich Leistungen, die ihm ungewöhnlich vorkommen.