Gilga Mesh vor ihren Auftritt in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Foto: Schwarzwälder-Bote

Gilga Mesh spielt in Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Gefangene johlen und pfeifen.

Oberreichenbach/Calw/Stuttgart-Stammheim - Musik baut Brücken. Wahrscheinlich hatte Klaus Boshart von der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart-Stammheim diesen Gedanken im Kopf, als er 2008 die Initiative "Rock im Knast" ins Leben rief.

Boshart ist Gefangenenbetreuer und im Internet immer auf der Suche nach Bands. So durfte Gilga Mesh im Knast spielen.

Eben noch im Wohngebiet, auf einmal taucht sie auf: Die Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Nachdem die Personalausweise an der Pforte abgegeben und die Handys in Schließfächer verstaut sind, geht es durch die Schleuse. Durch ein weiteres Tor erreicht man den Gefängnishof, an dessen Ende sich der Eingang zum Gemeinschaftsraum befindet.

Auf einer Art Bühne haben Bass und Schlagzeug Platz, die beiden Gitarristen und die Sängerin postieren sich davor. Holger, ein Vollzugsbeamter und Herr der hauseigenen Anlage, hilft beim Verkabeln.

Für die Band stehen alkoholfreie Getränke und belegte Brote bereit. Nach dem Aufbau ist es erst kurz vor zwölf Uhr mittags. Es ist Zeit genug für den Soundcheck und einen Happen zu essen. Um 13.10 Uhr füllt sich der Saal schlagartig. Von Haus 1 und Haus 2 werden die Gefangenen vor dem Saal zusammengeführt und dürfen sich auf die rund 100 Stühle verteilen.

Andere JVA's haben sich der Initiative angeschlossen

"Das spricht sich natürlich herum", sagt Boshart zur Resonanz bei den Gefangenen. "Knastkonzerte gibt es mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus", sagt der Betreuer stolz. Auch andere JVA's haben sich der Initiative angeschlossen.

Bei den Konzerten geht es den Initiatoren nicht um bessere Haftbedingungen für die Häftlinge oder ein Zugeständnis, sondern um ein paar Minuten Abschalten. "Der Strafvollzug ist ein Teil unserer Gesellschaft. Diese Konzerte bilden eine Brücke nach draußen. Die Gefangenen bleiben ja nicht hier, sie werden irgendwann wieder entlassen", erläutert Boshart. Wenn Mitbürger sich in sozialen Einrichtungen engagierten, dürfe der Strafvollzug nicht außen vor bleiben.

Der erste Song "Listen To The Music" steht sinnbildlich für den Nachmittag. Hört der Musik einfach mal kurz zu, ist die Botschaft. Vergesst eure Alltagssorgen. Ja, auch Häftlinge haben einen Alltag. Einen zu Recht eher tristen und eingeschränkten. Aber 90 Minuten mal nicht daran denken zu müssen, ist etwas wert.

Nach weiteren Songs und zwei anzüglichen Bemerkungen in Richtung Sängerin Birgit Kraft tauen die Häftlinge endlich auf. Natürlich ist man als einzige Frau unter einer Horde von Männern Ziel roherer Ausdrucksformen, aber Kraft gibt kontra – und fortan ist Ruhe im Karton.

Nicht so nach den einzelnen Songs. Die Häftlinge schreien, pfeifen, klatschen, stampfen. Das Programm kommt an. Wie im Fluge vergeht die Zeit, bei den letzten Zeilen zu "What's Up?" grölen die meisten mit. Dann ist Schluss.

Die Instrumente verklingen, die Musiker winken. Zwei, drei Häftlinge bedanken sich kurz. Nicht einmal zwei Minuten nach Konzertende ist der Saal so leer wie zuvor.

"Es war sehr cool", findet Rul Schaub, Gitarrist und Kopf von Gilga Mesh. Und das aus dem Munde eines Polizisten. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich ausgerechnet im Knast einen der für mich entspanntesten Auftritte hätte", schiebt er nach. Die anderen Mitstreiter sind ebenso begeistert.

"Es dauert am Anfang so 20 bis 30 Minuten", sagt Boshart, "bis sie abschalten und für einen Moment nicht realisieren, dass sie im Knast sind." An diesem Nachmittag dauerte es sogar nur zwei, drei Songs, bis die Stimmung ausgelassener wurde.

"Solche kulturellen Geschichten sind ein Mosaikstein, der dazu beiträgt, dass die Inhaftierung nicht zur Isolation wird", sagt Boshart. Als Beispiel nennt er einen Häftling, der bei einem Knastkonzert die Band so gut fand, dass er zusagte, ein Konzert zu besuchen, sobald er wieder draußen ist. Und er hat unmittelbar nach seiner Entlassung Wort gehalten.

Weitere Informationen:

www.rock-im-knast.com, auf Facebook unter Initiative Rock im Knast; zu Gilga Mesh: www.gilga-mesh.de, bei Facebook unter Birgit Kraft.