Matthias Lehmann hat im Keller des Elternhauses seiner eine Frau Monika (geborene Gaiser-Braig) am Hafenmarkt 3 einen Weinkeller eingerichtet. Bei den Arbeiten dazu stieß er 2003 am Ende der Kellertreppe auf einen sogenannten Nachgeburtstopf. Foto: Danner Foto: Schwarzwälder-Bote

Heimatgeschichte: Archäologin und ehemalige Oberndorfin Ute Seidel hat sich auf Spurensuche begeben

Der Artikel "Woher haben Plätze ihre Namen?" in unserer Zeitung hat das Interesse von Ute Seidel geweckt. Als geborene Oberndorferin und Archäologin im Regierungspräsidium hat sie sich auf eine kleine Spurensuche begeben.

Oberndorf (cel). Als Kind habe sie sich immer gefragt, wieso Oberndorf einen "Hafenmarkt" habe, wo doch dort weit und breit keine Schiffe anlegen könnten. Das neuerdings auf dem Schuhmarkt angebrachte Schild "Ledermarkt" warf auch bei ihr einige Fragen auf. In offiziellen Karten habe sie diesen Begriff bislang vergeblich gesucht. Auch eine – nicht repräsentative – Blitzumfrage bei ehemaligen Oberndorfern ergab lediglich Erstaunen. Die Frage der Stadträtin Claudia Altenburger nach der Definition des "Ledermarkts" erscheint Ute Seidel also sehr berechtigt.

"Zu bescheiden zur Sachlage dürfte sich der Oberndorfer Heimatforscher Alfred Danner geäußert haben, geht doch das meiste Wissen um Oberndorfs ungeschriebene Geschichte auf seine Arbeiten zurück", meint die promovierte Archäologin Seidel.

Auch wenn, wie er annehme, auf beiden Flächen nie ein Markt stattgefunden habe, brachten seine Ausgrabungen im Jahr 1986 beim Abriss des Hauses Kronenstraße 7 etwas Licht ins Rätsel "Schuhmarkt". Unter diesem Haus, in welchem die Stadträtin Altenburger eine Buchhandlung gründete, dokumentierte Danner unter anderem (neben einem im 14. Jahrhundert auf hölzernen Schwellbalken errichteten Haus mit Steinsockel) eine Latrine, in welcher im 15./16. Jahrhundert – mit Obstkernen bedeckt – Lederreste und Schuhleisten eines Schusters lagen. Der genau beschriebene Befund lasse darauf schließen, dass im Spätmittelalter hier ein Schuhmacher ansässig war.

Pragmatisch wie die Oberndorfer seien, sei es gut möglich, dass sie den Platz "Schuhmarkt" nannten, weil es in der Nähe Schuhe gab – und nicht unbedingt, weil Schuhe auf dem Platz verkauft wurden. Das 1986 abgerissene Haus Kronenstraße 7 entstand 1842 nach dem verheerenden Stadtbrand von 1841. In seinem Hof stand noch ein weiteres Haus, das nicht wieder aufgebaut wurde, so die Recherchen von Ute Seidel.

Der "Schuhmarkt" selbst wurde erst nach dem verheerenden Stadtbrand von 1841 durch die Zusammenführung von Kronenstraße und Hinterer Gasse geschaffen. Bis ins 19. Jahrhundert war das Areal bebaut. Stolz dürften die Oberndorfer auf das Alter dieses Platzes sein. Als im Jahr 1962 ein Kanal der Länge nach über den "Schuhmarkt" gelegt wurde, beobachtete Alfred Danner Siedlungsreste, die bis ins 9. Jahrhundert reichen. Demnach waren schon zur Karolingerzeit Oberndorfer auf dem Tuffplateau zugange – etwa um die Zeit, als die Kirche St. Georg auf der Reichenau gebaut wurde.

Die Idee zum Namen "Ledermarkt" komme wohl von einer vor 1840 errichteten und über ein unterschlächtiges Wasserrad angetriebenen Lohmühle, die an der Ecke Obertorplatz/Wette gestanden haben dürfte – möglicherweise mit einer Gerberei. Im Zuge des Neubaus der Volksbank und der Neugestaltung des Obertorplatzes im Jahr 2004 wurden zunächst vier vor 1836 erbaute Bürgerhäuser abgerissen, darunter die Reste der umgebauten Lohmühle von 1830 sowie der ehemalige Gasthof Bad.

Das "Bad" war ab 1840 Eigentum "des Dr. Franz Josef Mayer, einem Philanthropen und führenden Demokraten bei der Revolution von 1848/49". Mayer eröffnete in diesem Haus im Jahre 1842 die erste öffentliche Badeeinrichtung für die Bürger der Stadt Oberndorf.

Alfred Danner, der die Abbrucharbeiten archäologisch begleitete, dokumentierte direkt südlich vom "Bad" in zwei bis drei Metern Tiefe den alten Bachlauf des "Wasserfalls". Dieser wurde später über ein aus Holz-, später aus Stein errichtetes Aquädukt in die Oberstadt geleitet und speiste die durch die Gassen fließenden Bäche. Zur Wasserversorgung des "Bad" und des Obertorplatz-Brunnens gehörte vermutlich eine hölzerne Deichelleitung, die in 2,5 Meter Tiefe freigelegt wurde.

Bemerkenswert sei darüber hinaus die Entdeckung eines Splitterschutz-Stollens aus dem Zweiten Weltkrieg, der in den Stadtplänen nicht eingezeichnet war. Er wurde durch den Oberndorfer Höhlenforscher Wolfgang Strittmatter eingemessen und dokumentiert, weiß Seidel.

Auf der Suche nach einem "Marktplatz" landete die Mitarbeiterin des Denkmalsamts auf dem "Wöhrd". Der wurde Mitte des 19. Jahrhunderts mit Obstbäumen bepflanzt und vom letzten Drittel des 19. bis Ende des 20. Jahrhunderts für Vieh- und Jahrmärkte und als Festplatz genutzt. Im östlichen Bereich befand sich vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis etwa 1860 immerhin eine parkähnliche Gartenanlage mit Teich und Gartenhaus, die den damaligen Schultheißen Franz und Ivo Frueth gehörte.

"Bleibt noch die Frage nach dem „Hafen‹ von Oberndorf", scherzt Ute Seidel. Hier dürften "Hafner", also Hersteller von Hafnerware (Töpfe und andere Gefäße) namengebend gewesen sein. Archäologische Hinweise auf Hafnerwerkstätten fehlen aber nach Seidels Auskunft bislang – nicht aber kulturhistorisch Bizarres: Im Gebäude Hafenmarkt 3 wurde eine Nachgeburtsbestattung gefunden. Dieser Brauch wurde erst in den letzten Jahrzehnten in Süddeutschland mehrfach archäologisch nachgewiesen. Im Gewölbekeller, der zu einem älteren, beim Stadtbrand von 1780 zerstörten Gebäude gehört, fanden sich am 20. November 2003 beim Tieferlegen des gestampften Kellerbodens in circa 30 Zentrimetern Tiefe die Reste eines Henkeltöpfchens aus dem 17. Jahrhundert. Der Befund spreche für einen Nachgeburtstopf.

Der Hintergrund für diesen Brauch war die Annahme, die Plazenta sei ein eigenes mit dem Kind verbundenes Wesen. Wurde die Plazenta schlecht behandelt oder dem Licht ausgesetzt, könnte sie, so befürchtete man, dem Kind Schaden zufügen. Es empfahl sich daher, die Nachgeburt an einem Ort zu vergraben, an den "weder Sonne noch Mond hin scheint", so Seidel. Das Henkeltöpfchen wurde Oberndorfer Heimatmuseum ausgestellt.

Die geborene Oberndorferin Ute Seidel ist Archäologin beim Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart.

Sie war für die Digitalisierung der Stadtkataster zuständig und hat auch die Oberndorfer Daten entsprechend bearbeitet. Über eine Abfrage in der ADABweb (Allgemeine Datenbank Archäologie und Bau- und Kunst) der Denkmalpflege fand sie heraus, was so mancher Oberndorfer gerne wissen möchte.

Im Stadtkataster Oberndorf sei alles für jeden ganz leicht nachzulesen, meint Seidel. Die Informationen sind dort nach Straße und Hausnummer sortiert. Das Kataster sollte sich auch im Archiv der Stadt Oberndorf finden.