Hochschulen wollen weltweit anerkanntes Gütesiegel weiter verleihen dürfen / "Bologna-Prozess" sieht Abschaffung des Titels vor

Oberndorf -TU9 – diese Abkürzung hört sich nach Geheimbund an, nach Verschwörung oder wenigstens James Bond. Tatsächlich verbergen sich hinter der Buchstabenziffernfolge die German Institutes of Technology, ein Zusammenschluss von neun Technischen Universitäten.

Ein Komplott hat TU9 wahrhaftig nicht im Sinn, eher schon eine Ehrenrettung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den exzellenten Ruf deutscher Ingenieure. Für TU9 steht fest: Der Titel des "Dipl.-Ing." ist vom Aussterben bedroht.

Das Rettungsmanöver von TU9 kommt freilich spät. Vor elf Jahren nämlich hat das Unheil für den Titel des diplomierten Ingenieurs seinen Lauf genommen. Tatort war Bologna. In der Universitätsstadt in der Region Emilia-Romagna wurde die Reform der europäischen Studienlaufbahnen in die Wege geleitet, die bis heute den Namen der Stadt am Fuße des Apennin trägt. Deren Ziel ist die Anpassung der Studiengänge in den EU-Staaten. Daraus folgt die Abschaffung des für Deutschland typischen akademischen Grads des Diplom-Ingenieurs. Freilich: Im Zeitalter von Stuttgart 21 und Gorleben muss man ja nicht alles akzeptieren, was so von den Regierungen beschlossen wird.

"Ein unverwechselbares Markenzeichen"

Die TU9-Gruppe jedenfalls will auch in Zukunft die Auszeichnung Diplom-Ingenieur verleihen können. "Viele Träger des akademischen Grades haben mit ihren Werken deutsche Ingenieurskunst in der Welt zu einem unverwechselbarem Markenzeichen entwickelt", erläutert Ernst M. Schmachtenberg, der Präsident der TU9. Zusammengefasst ist das im Titel eines jetzt erschienenen Buches: "Glückwunsch, Dipl.-Ing.! Ein Gütesiegel made in Germany wird 111 Jahre alt". Alles in allem ein Warnruf von TU9: Das Gütesiegel deutscher Ingenieure ist durch die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit Bachelor- und Masterabschlüssen massiv gefährdet.

Doch man gibt sich einsichtig: TU9, zu denen auch die Universität Stuttgart gehört, strebt keine Reform der Reform an. Man wolle die Diplomabschlüsse beibehalten, ohne den "Bologna-Prozess" in Frage zu stellen. Aus diesem Grund werde man sich gezielt dafür einsetzen, den Titel Dipl.-Ing. auch an Absolventen der Masterstudiengänge verleihen zu dürfen. Die Hochschulen sollen ihn hochoffiziell neben den "Master of Science" auf das Zeugnis schreiben können. Als Beispiel führt Ernst M. Schmachtenberg das österreichische Universitätsgesetz an. "Dort wird klar geregelt: Der ›Dipl.-Ing.‹ ist ein Mastergrad. So einfach kann das sein."

Bei genauerer Betrachtung könnte es in der Tat fahrlässig sein, den studentischen Nachwuchs mit unnötigen Titeländerungen zu irritieren. Wenn man die deutsche Geschichte Revue passieren lässt, dann fällt auf, dass überraschend viele Innovationen von Ingenieuren – mit oder ohne Diplom – vorangetrieben wurden.

Man denke nur an Artur Fischer, den 1919 in Waldachtal-Tumlingen (Kreis Freudenstadt) geborenen Unternehmer. Er meldete bis heute weit mehr als 1000 Patente und Gebrauchsmuster an. Der emsige Tüftler erfand nicht nur den Fischer-Dübel aus Polyamid, sondern auch ein kompostierbares und essbares Kinderspielzeug aus Kartoffelstärke.

Oder man nehme Fritz Leonhardt. Ihm hat die Landeshauptstadt eines seiner Wahrzeichen zu verdanken: den Stuttgarter Fernsehturm – den ersten seiner Art in Stahlbetonbauweise. Ein weiteres Beispiel für Ingenieurskunst "Made in Germany" ist Roland Mack aus dem Badenerland. Er studierte an der Technischen Universität in Karlsruhe Allgemeinen Maschinenbau, ehe er zusammen mit seinem Vater Franz – einem gelernten Wagen- und Karosseriebauer – 1975 den Europa-Park gründete.

TU9-Vordenker Schmachtenberg ist jedenfalls davon überzeugt, dass die anstehenden Probleme wie der Klimawandel nur mit diplomierten Ingenieuren zu meistern sind. "Im 21. Jahrhundert steht die Welt vor Herausforderungen, die nur gemeinsam mit Ingenieuren gelöst werden können", glaubt der Rektor der RWTH Aachen.

Diese Überzeugung teilen vermutlich die Prominenten aus Politik und Wirtschaft, die sich mit Glückwünschen an den Dipl.-Ing. zu Wort melden. Für Daimler-Chef Dieter Zetsche beispielsweise ist "ein Dipl.-Ing. vor dem Namen wie ein Stern auf der Haube: ein Markenzeichen für höchste Qualität". Mario Theissen, BMW-Motorsport-Direktor, geht nicht ganz so weit. Immerhin aber findet er nach dem Ausstieg von BMW aus der Formel 1 Zeit, ein Plädoyer für den Titel des Diplom-Ingenieurs zu halten. Dieser stehe für "eine hervorragende und international anerkannte Ausbildung".

Dabei ist die Geschichte des Dipl.-Ing. geprägt vom langwierigen Kampf um die akademische Anerkennung gegen den Widerstand der Universitäten. Erst Kaiser Wilhelm II. setzte 1899 der erbitterten Auseinandersetzung zwischen den klassischen Universitäten und den technischen Lehranstalten ein vorläufiges Ende, indem er den Titel des Dipl.-Ing. per "Allerhöchstem Erlass" einführte.

Ingenieure beweisen Scharfsinn

Dass es gleich reihenweise Ingenieure waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Aufstieg der Bundesrepublik zum Exportweltmeister vorangetrieben haben, verwundert nicht, wenn man sich die Herkunft des Wortes vor Augen führt: Ingenieur wird von den lateinischen Wörtern "gignere" beziehungsweise "ingenium" abgeleitet. Diese Wörter bedeuten übersetzt "hervorbringen" und "sinnreiche Erfindung, Scharfsinn".

Vielleicht sind die Abgesänge auf den Dipl.-Ing. aber auch verfrüht, denn das Anliegen der TU9 stößt im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium auf offene Ohren. Von dort ist zu hören, dass sich Minister Peter Frankenberg für das Gütesiegel Dipl.-Ing. einsetzen will. Und falls das nicht klappen sollte, bleibt immer noch der Trost, dass es in Zukunft auch ohne den akademischen Grad des Dipl.-Ing. weiterhin gute Absolventen geben wird.

DAS BUCH: "Glückwunsch, Dipl.-Ing.! Ein Gütesiegel made in Germany wird 111 Jahre alt", Herausgeber: Ernst M. Schmachtenberg, ISBN: 978-3-00-032050-7, 24,80 Euro