Barack Obama wirbt für eine atomwaffenfreie Welt. Die vollständige Abrüstung werde viel Zeit brauchen, aber sie sei möglich, sagt der US-Präsident

Der Tag danach - "The Day After" - hieß der US-Spielfilm, der kurz vor Weihnachten 1983 so bedrückend realistisch darstellte, wie in Kansas, im Mittleren Westen Amerikas, aus dem Kalten Krieg ein heißer wird und der Atomkrieg ausbricht. Der Film veränderte die Menschen, rüttelte sie auf. Barack Obama war damals 22 Jahre alt und hatte an der Columbia University in New York City soeben sein Examen in Politikwissenschaften bestanden. Auch er hat die Bilder nie vergessen, sagt er.

Ein ganz anderer Tag danach, jener nach Obamas Rede für eine atomwaffenfreie Welt, weckt allerorts große Hoffnungen. "Heute gibt es den Kalten Krieg nicht mehr, aber Tausende dieser Waffen gibt es noch immer. Die Gefahr eines Angriffs mit Atomwaffen hat zugenommen", sagte Obama am Sonntag vrn Hunderttausenden Zuschauern in Prag. Nüchtern hatte er die Wahrheit beschrieben: "Mehr Länder sind im Besitz dieser Waffen. Es werden weiterhin Tests durchgeführt. Auf den Schwarzmärkten wird mit nuklearen Geheimnissen und Materialien gehandelt. Die Technologie für den Bau einer Bombe hat sich verbreitet. Terroristen sind entschlossen, eine Bombe herzustellen, zu kaufen oder zu stehen."

Tatsächlich gilt in der atomar aufgerüsteten Welt die Faustregel: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter. Der Glaube an die nukleare Abschreckung hält sich weit über das Ende des Kalten Kriegs hinaus.

So weit die Analyse. Doch taugen Obamas Visionen zu mehr als zum Träumen? Folgende Ziele peilt er an, um den Geist der nuklearen Allmacht wieder in die Flasche zu bekommen: Zunächst will er die Bedeutung von Atomwaffen in der eigenen US-Sicherheitsstrategie herunterfahren - allerdings werde ein "sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde aufrechterhalten". Dann strebt er einen Abrüstungsvertrag mit Russland an, der nach und nach weitere Atommächte einbeziehen soll. Zudem will Obama einen Teststopp durchsetzen, um Atomwaffenversuche "endlich zu verbieten". Auch soll einer neuer Vertrag verhindern, dass spaltbares Material hergestellt werden darf.

Schließlich möchte Obama gewährleisten, dass Atomwaffen auch nicht an Dritte weitergegeben werden. Parallel dazu hält er fest: Alle Länder haben freien Zugang zu friedlicher Atomenergie, innerhalb eines Jahres soll es einen Atomsicherheitsgipfel geben und der Raketenabwehrschirm über Tschechien und Polen bleibt auf der Agenda, bis der Iran im Atomstreit einlenkt.

Das Rad neu zu erfinden braucht Barack Obama dennoch nicht, so ambitioniert sein Abrüstungsplan auch klingt. Vielmehr kann er als neuer Chef im Weißen Haus erst einmal jene Hausaufgaben erledigen, die seine Vorgänger schuldig geblieben waren: Zum Beispiel das Start-I-Abkommen mit Russland zu erneuern. Den Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen (Strategic Arms Reduction Treaty) hatten 1991 die Präsidenten der Sowjetunion und Amerikas, Michail Gorbatschow und George Bush senior, unterzeichnet. Seitdem wurden die Bestände von Trägersystemen, Interkontinentalraketen und Atomsprengkörpern erheblich reduziert. Im heutigen Weißrussland, in der Ukraine und Kasachstan sind gar keine Atomwaffen mehr stationiert. Im Start-I-Nachfolgevertrag soll nun die Zahl der Nuklearwaffen, die beide Länder besitzen dürfen, deutlich verringert werden. "Hier erwarten wir deutlich mehr Transparenz und wechselseitige Kontrolle. Die Bush-Administration hatte das sehr vernachlässigt", heißt es in Kreisen der Bundesregierung.

Was die Deutschen hier zu melden haben? Außenminister Frank-Walter Steinmeier bemüht sich seit Beginn seiner Amtszeit um neue Impulse für die Verschrottung nuklearer und konventioneller Waffen. Im Juni will er in Berlin zu einer Abrüstungskonferenz einladen, um mehr nichtnukleare Gattungen aus dem Verkehr zu ziehen. Darüber hinaus tauscht er sich rege aus mit jenen Weisen Herren, die sich hinter den Kulissen für die atomare Abrüstung stark machen: Aus Deutschland sind das Altkanzler Helmut Schmidt, der Ost-Experte Egon Bahr und der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher; für Amerika die beiden Ex-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz sowie Senator Sam Nunn. "Keine Politik ohne Visionen", kommentiert Steinmeier die Initiative der Elder Statesmen.

Selbst für den neu auszuhandelnden Nichtverbreitungsvertrag kann Obama Pflöcke einschlagen, wenn es ihm gelingt, auch den inoffiziellen Atommächten abzutrotzen, ihre Arsenale einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen. Bislang gelten die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien als Nuklearmächte. Doch auch Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea haben die Bombe inzwischen.

Moskau reagiert sehr zurückhaltend auf die Pläne Obamas - genau genommen schweigt der Kreml. Präsident Dmitri Medwedew ist verärgert, weil Washington an dem Raketenabwehrschild über Polen und Tschechien festhält. Allerdings ist hier noch Musik drin, weil Obama dieses Projekt fallen lassen kann, sofern Moskau den Iran dazu bringt, auf Atomwaffen zu verzichten. Sollte Teheran einlenken, könnte Obama auch auf Israel den Druck erhöhen, auf die atomare Abschreckung zu verzichten.