Siegfried Schall, Hagen Breitling und Waleed Alswiriy gehören zu den 18 Referees, die neu bei der Schiedsrichtergruppe Calw dabei sind. Unserer Redaktion erzählen sie, warum sie sich für diesen manchmal unbequemen Job entschieden haben.
Aus 147 Referees besteht aktuell die Schiedsrichtergruppe Calw. 18 davon sind durch den Neulingskurs im Frühjahr hinzugekommen – darunter Siegfried Schall, Hagen Breitling und Waleed Alswiriy. Drei Persönlichkeiten, die zeigen, wie vielseitig das Schiedsrichterwesen ist. Unserer Redaktion haben sie erzählt, was sie antreibt.
Der Oldie Mit seinen 55 Jahren hat sich Siegfried Schall dafür entschieden, Schiedsrichter zu werden. Besser gesagt: wieder zu werden. Denn von 1985 bis 1987 war er schon einmal Unparteiischer. „Damals wurde man noch nicht so gut betreut wie heute. Man wurde richtig ins kalte Wasser geschmissen“, erinnert sich Schall, der in der Jugend beim VfB Effringen und bei den Herren bei der Spvgg Wart/Ebershardt gespielt hat.
Klar: In die Schiedsrichterprüfung ist Schall dieses Mal deutlich entspannter gegangen als 1985. Sechs Jugendspiele und drei Jugendturniere hat er seitdem gepfiffen. Und auch da ist manches anders als noch in den 80ern. „Früher war die Aggressivität nicht so da. Da hatte man noch Respekt vor dem Schiedsrichter. Heute ist man kaum aus dem Auto gestiegen und schon heißt es: Was ist das für einer?“, meint Schall.
Im Fußballbezirk Böblingen/Calw ist der 55-Jährige kein Unbekannter. Beim VfB Effringen, der Spvgg Wart/Ebershardt und der Spvgg Berneck/Zwerenberg war er über viele Jahre hinweg in verschiedenen Funktionen tätig – als Jugendtrainer, Betreuer, Jugendleiter und stellvertretender Vorsitzender. Von 2015 bis 2021 war er zudem im Bezirk Staffelleiter der Junioren, seit 2021 Staffelleiter der Herren und inzwischen auch kommissarisch Pokalspielleiter. Für Benjamin Haug, Obmann der Schiedsrichtergruppe Calw, ist er dadurch ein unglaublicher Gewinn: „Er hat dadurch noch mal diese ganz andere Perspektive und bringt dadurch seine Erfahrung ein.“
Diese andere Perspektive ist es auch, die Schalls Antrieb ist, noch einmal Schiedsrichter zu werden. Auf eigenen Wunsch pfeift er nur Jugendspiele, will aber so etwas im Herrenbereich verändern. Denn: Eine Ursache für die gestiegene Aggressivität gegenüber Schiedsrichtern sieht Schall auch darin, dass Spiele im Jugendbereich oft gar nicht mehr mit Schiedsrichtern besetzt werden. „Die Jugendlichen müssen wieder lernen, wie das mit einem Schiri ist“, erklärt der 55-Jährige seine Motivation und fügt hinzu: „So kann ich meine Persönlichkeit einbringen. Und das Fitnessstudio spare ich mir auch noch.“
Schall betont aber auch: Hauptproblem seien nicht unbedingt die Spieler selbst, sondern meist Eltern und Betreuer, die von außen die Aggressivität auf das Spielfeld tragen. „Wenn ich schon sehe, dass Betreuer in der E-Jugend mit Magnettafeln kommen“, beschreibt Schall die Problematik. Dennoch habe er in seinen ersten Monaten als Schiedsrichter auch sehr positive Erfahrungen gemacht: „Ich hatte ein Jugendspiel in Rohrdorf gepfiffen. Drei Wochen später war ich bei einem Turnier, bei dem auch Spieler von dem Spiel in Rohrdorf waren. Da hieß es: Den kennen wir, der ist gut. Das hat mich gefreut.“
Der Promi Hagen Breitling ist als Finanzbürgermeister der Stadt Nagold eigentlich eher als ein Mann der Zahlen bekannt, doch seit Frühjahr steht auch er als Schiedsrichter auf dem Sportplatz. „Ich habe mir immer gesagt: Für ein Ehrenamt muss immer Zeit sein“, sagt der 47-Jährige. Auf dem Platz werde Breitling durchaus erkannt. Nicht aber aufgrund seines Berufs als Finanzbürgermeister, denn er hat sich auch im Fußball einen Namen gemacht: Breitling wurde bei den SF Gechingen groß, war dort Spieler, Jugendtrainer und Jugendleiter, saß im Vorstand.
Mit zwölf Schiedsrichtern ist Gechingen aktuell die Hochburg im Kreis Calw – und damit hat auch Breitling ein neues Betätigungsfeld für ein Ehrenamt gefunden. Auch er nahm somit am Neulingskurs im Frühjahr teil. „Der ist wirklich mehr als optimal“, lobt der Nagolder Finanzbürgermeister. Auch für Berufstätige sei der Kurs gut organisierbar, nicht zuletzt durch die Online-Elemente.
Zehn Spiele hat Breitling inzwischen geleitet – und ist zufrieden: „Man wird von der Schiedsrichtergruppe wirklich gut betreut. Am Anfang ist immer jemand mit dabei. Das Feedback tut gut. Ich weiß, dass auch Spiele kommen werden, die schwierig werden. Aber mich spornt das an.“ Die Frage ist: Hilft der Bekanntheitsgrad auf dem Platz? Breitling grinst: „Das könnte sein, weil man sich ja auch nach dem Spiel noch unterhalten will.“
Übrigens: Spiele der SF Gechingen (Stammverein) und des VfL Nagold (Wohnort) darf Breitling nicht pfeifen. Bei Spielen von Vereinen aus Nagolder Teilorten wie den SF Emmingen oder dem SV Gündringen darf der Nagolder Finanzbürgermeister aber sehr wohl eingesetzt werden. „Da muss deswegen aber keine Irritation entstehen“, wischt Breitling mögliche Bedenken sofort vom Tisch, sieht aber auf beruflicher Ebene eventuell doch einen Vorteil für die Vereine – mit einem Augenzwinkern: „Nach dem Spiel kann der Vorstand mit mir vielleicht doch mal kurz über die Zukunft der Sportstätte sprechen, ohne dafür einen Termin auf dem Rathaus ausmachen zu müssen.“
Der Exot Der eigentliche Promi im Bunde der neuen Schiedsrichter ist Waleed Alswiriy (34), denn er pfiff im Irak Spiele der 1. Liga – vor bis zu 30 000 Zuschauern. Vor zehn Monaten kam er als Flüchtling nach Nagold. Sofort war für ihn klar, dass er in seiner neuen Heimat wieder als Schiedsrichter tätig sein möchte und schloss sich der Schiedsrichtergruppe Calw an. Dort ist er der einzige Flüchtling. „Für uns ist das Neuland, aber dieser Herausforderung stellen wir uns gerne“, betont Stefan Beckmann von der Schiedsrichtergruppe Calw und verdeutlicht: „Wir wollen ihn nicht nur in unsere Gesellschaft, sondern auch in unseren Sport integrieren.“
Alswiriy war von 2007 bis 2017 Referee im Irak. Dann machte er sich zusammen mit seiner Familie auf die Flucht. Sechs Jahre lebte er in Griechenland, ehe er vergangenes Jahr in Nagold landete. Nachdem er sich ein wenig eingelebt hatte, klopfte er im Reinhold-Fleckenstein-Stadion an und kam unter die Fittiche von Wolfgang Bastians, der die Schiedsrichter beim VfL Nagold betreut. Kurz darauf legte er erfolgreich die Prüfung ab.
Die Prüfung noch einmal zu machen war aus formeller Sicht unumgänglich. „Unterlagen aus dem Irak zu bekommen ist unglaublich schwierig bis unmöglich. Uns liegen nur zwei Papiere von Fifa-Kursen vor“, erklärt Obmann Haug. Knackpunkt ist aber vor allem, dass Alswiriy seit mehr als fünf Jahren nicht mehr als Schiedsrichter aktiv war.
Problem für den ehemaligen irakischen Erstliga-Referee war zunächst jedoch die Sprachbarriere, doch die Schiedsrichtergruppe Calw habe da hervorragende Unterstützung geleistet. „Ich möchte mich wirklich bedanken. Neue Kultur, neue Sprache, das ist alles neu für mich. Aber mir wurde sehr geholfen“, sagt Alswiriy in inzwischen gut verständlichem Deutsch. Auch Beckmann unterstreicht: „Seine Sprachkenntnisse werden von Woche zu Woche besser.“
Sicherlich: Auf dem Platz mag es im Eifer des Gefechts manchmal nicht so flüssig laufen. Jede Entscheidung kommentieren muss ein Schiedsrichter ja aber ohnehin nicht. Und Beckmann merkt süffisant an: „Die kleinen, flotten Sprüche, noch dazu mit Dialekt, die kriegt er nicht mit. Aber das ist auch besser so für den Spielfluss.“
Nach den ersten neun Spielen, die er nun in seiner neuen Heimat geleitet hat, stellt Alswiriy durchaus Unterschiede im Fußball beider Länder fest. Der sei in Deutschland wesentlich besser entwickelt, während im Irak – gerade von den Zuschauern – deutlich mehr Gewalt ausgehe. Ganz persönlich war es für ihn eine Umstellung, dass ihm keine Linienrichter zur Seite stehen, was im Irak immer der Fall war. Allerdings: Zuletzt pfiff Alswiriy das Testspiel zwischen der Spvgg Freudenstadt und dem SV Wittendorf. Da ein Landesligist beteiligt war, bekam er endlich Assistenten.
Das könnte künftig häufiger der Fall sein, denn der Iraker habe laut der Schiedsrichtergruppe Calw durchaus das Potenzial, in höheren Ligen zu pfeifen. Beckmann: „Man merkt sofort, dass bei ihm eine Professionalität da ist.“