Roland Bliesener, Christina Geruschkat, Christian Roch und Sven Puchelt (von links) gaben am Freitagabend in der Kutscherstube von Schloss Neuenbürg mit Worten und Musik einen interessanten Einblick in die Lebenswelt der Rassler. Foto: Ferenbach Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Musikalisch-literarische Spurensuche / Ensemble des Folkclubs Prisma begeistert mit Eigenproduktion

Als steinernes Denkmal – quasi für die Ewigkeit – erinnern die von Bildhauer Fritz Theilmann gestalteten Bronzefiguren in der Neuenbürger Poststraße an die sogenannten "Rassler", Schmuckarbeiter, die ab 1850 zu Tausenden aus den umliegenden Dörfern nach Pforzheim marschierten.

Neuenbürg. Dagegen ist die liebevoll zusammengestellte "musikalisch-literarische Spurensuche" des Folkclub Prisma Pforzheim eine eher vergängliche, aber nicht minder nachhaltige Erinnerung an diese "Goldschmiedebäuerchen", die Pforzheim in seiner Entwicklung zur Goldstadt geprägt haben wie kaum eine andere Berufsgruppe.

Das unterhaltsame, rund zweistündige Programm feierte im Goldstadt-Jubiläumsjahr 2017 Premiere und kam seither an nahezu 20 verschiedenen Orten zur Aufführung. Erstmals gastierte das vierköpfige Musikerensemble mit seiner Eigenproduktion am Freitagabend in der Kutscherstube von Schloss Neuenbürg. Eine vorerst letzte Vorstellung folgt am 16. November im Schömberger Kurhaus.

Der Name "Rassler" ergibt sich aus dem Geräusch, das die genagelten Lederschuhe der oft mehrere Wegstunden auf sich nehmenden und nur mit einer mageren Brotzeit ausgestatteten Arbeiter, vom "Stift" bis zum "Bijoutier", auf dem Pforzheimer Kopfsteinpflaster machten.

Mit traditionellen, musikalischen Volksweisen, darunter Ländler, Walzer, Mazurka, Polonaise, Polka und zu Liedern vertonte Gedichte, sowie Schilderungen und Zitaten von Zeitgenossen, ließ die "Rasslerbande" mit Sven Puchelt (Gitarre, Hackbrett, Ukulele, Bodhrán, Gesang), Roland Bliesener (Keyboard, Gesang), Christian Roch (Akkordeon, Flöte, Ukulele, Gesang) und Christina Geruschkat (Geige, Concertina, Gesang) diese Wanderungen zwischen bäuerlicher Tradition und industrieller Moderne in historischer Kulisse lebendig werden.

Ausgehend von der Gründung der ersten Schmuckfabrik im Jahr 1767, dem aufstrebenden Schmuckhandwerk in der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Blütezeit um 1900 mit täglich bis zu 12 000 Rasslern und 24 000 Beschäftigten in 900 Betrieben, beleuchteten die von Puchelt vorgetragenen Texte das authentische aber auch das verklärte Bild von deren Lebensumständen. Da führte der Blick in die Werkstatt eines Großjuweliers zwischen Werkbänke, Werkzeuge, Galvanik und Polierbürsten sowie ersten mechanischen Maschinen, wo täglich bis zu elf Stunden Arbeit verrichtet wurde. Um die langen Nachhausewege zu vermeiden, mietete sich so mancher die Woche über in der Stadt ein Zimmer oder teilte dieses mit weiteren Arbeitern, weshalb auch die Wirtshauskultur damals eine zunehmende Rolle spielte.

Sozialstruktur verhinderte eine Proletarisierung

Weil die Rassler in der Regel aus kleinbäuerlichen Verhältnissen des Umlandes stammten, besaßen sie meist Grund und Boden sowie ein Haus in ihren Wohnorten. Diese Sozialstruktur der Goldschmiedebäuerle verhinderte eine Proletarisierung der Pforzheimer Arbeiterschaft. Allerdings führte dieser Umstand der Absicherung und eines bescheidenen Wohlstands durch Ersparnisse auch dazu, dass sich Städter und Einpendler nicht solidarisierten und lange keine Hilfsvereine oder Gewerkschaften bildeten, wie sie andernorts aus purer Notwendigkeit schon viel früher entstanden. So wurden Frauen auch lange Zeit als billige Arbeitskräfte beschäftigt und bei der Kinder- und Jugendarbeit die Arbeitszeiten nicht selten überschritten.

Der schlechte Ruf als "leichtsinniger, liederlicher Teil" der Bevölkerung, der auch gerne einen über den Durst trinkt, eilte den Rasslern voraus und es gab laut Puchelt typische Begleiterscheinungen, wie etwa die fliegenden Händler des "Rasslerversorgungsgewerbes" die insbesondere an den Zahltagen rund um die Fabrikgebäude groß auffuhren.

In Zeiten der Krise, wovon die Lieder "Miese Zeiten" und "Ein stolzes Schiff" handelten, suchten viele ihr Glück wieder als Landarbeiter oder Kleinbauer oder als Auswanderer in Amerika.

Einen nachdenklichen Schlusspunkt setzten die Musiker mit dem Lied "Wer bist Du", der von Roland Bliesener eigens komponierten "inoffiziellen Pforzheim-Hymne". In einer Zeit, die immer schneller voranschreitet und diejenigen dahinrafft, die noch von früher berichten könnten, fragt ein Enkel seinen Großvater nach dessen Jugenderlebnissen, um letztendlich auch zu erfahren, woher er kommt und woher "die vielen Narben in der Stadt" rühren.

Tosender Beifall des kleinen, aber feinen Publikums für die mit viel Leidenschaft vorgetragene, atmosphärisch dichte Zeitreise.