Im Labor der Uni Göttingen wird die nicht-invasive Hirnstimulation schon länger an Probanden durchgeführt. Foto: PR/Uni Göttingen

Wissenschaftler der Uniklinik in Göttingen erforschen neue Methoden zur Behandlung von Hirnerkrankungen – die nicht-invasive Gehirnstimulation. Diese könnte bei psychischen Krankheiten mitunter Medikamente ersetzen.

Während der Coronapandemie haben psychische Erkrankungen stark zugenommen. Seit Jahren haben niedergelassene Therapeuten oft Wartezeiten von sechs bis zwölf Monaten, psychiatrische Kliniken sind überfüllt. Und, Psychotherapien sind oft langwierig, es dauert mehrere Wochen, bis sich eine Besserung des Zustandes einstellt. Auch die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva hat für viele Betroffene ihre Grenzen. An vielen Universitäten wird deshalb zu neuen Behandlungsmethoden geforscht. Während zum Beispiel in der Schweiz viel mit Psychedelika experimentiert wird, erforscht eine Arbeitsgruppe der Universitätsmedizin Göttingen die nicht-invasive Gehirnstimulation im „Noninvasive Brain Stimulation Lab“.

 

Die Professorin Andrea Antal forscht zu Gehirnstimulation. Foto: PR/Universitätsmedizin Göttingen

Mit dieser Methode sollen Hirnerkrankungen gezielt und ohne Operation behandelt werden, aber auch bei psychischen Erkrankungen hat das Team gute Erfolge erzielt. „Diese Methoden könnten als Alternative zur medikamentösen Therapie mit Psychopharmaka oder mit Psychotherapie eingesetzt werden sowie zur Stärkung der mentalen und physischen Gesundheit“, sagt Andrea Antal, Professorin an der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen. Sie leitet den Forschungsbereich ‚Nicht-invasive Gehirnstimulation‘.

Patienten mit chronischen Schmerzen, Fibromyalgie, Depressionen, die in der Ambulanz in Göttingen waren, bräuchten nach der circa zwei-sechswöchigen Behandlung mit Gehirnstimulation kaum mehr Medikamente oder nur noch sehr niedrig dosiert, so ihre Erfahrung.

Eine Meta-Analyse von Florian Müller-Dahlhaus von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass nicht invasive Hirnstimulationsverfahren bei schweren depressiven Episoden eine Alternative sein können. Die Analyse umfasst 113 Studien mit 6750 Patienten mit schwerer unipolarer Depression oder einer bipolaren Störung (manisch-depressiv).

Bisher bieten nur einige Universitäten die Methode an

Es sei eine „effektive und nebenwirkungsarme Therapiemethode“, so Müller-Dahlhaus in seinem Kommentar zu der Meta-Analyse. Besonders sei, dass in die Ergebnisse nur Studien eingeschlossen wurden, in denen bei den Patienten weder eine pharmakologische Behandlung noch eine Psychotherapie parallel zur Hirnstimulation durchgeführt wurde.

Aber wie funktioniert die nicht-invasive Gehirnstimulation? „Es werden sehr geringe elektrische Ströme oder Magnetfelder von außen durch die Schädeldecke geleitet, um die erkrankten Bereiche des Gehirns gezielt zu stimulieren“, sagt Antal.

Bei der transkraniellen elektrischen Stimulation (tES) werden zwei elektrisch leitende Objekte, sogenannte Elektroden, an der Oberfläche des Kopfes der Versuchsperson befestigt. Durch diese wird ein kurzer Stromimpuls geschickt, mit dem Ziel, die Gehirnaktivität in den oberflächlichen Regionen zu beeinflussen.

Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) wiederum wird den Patienten eine sogenannte Magnetspule eingesetzt. Die Magnetspule wird über den Kopf gehalten, direkt über den erkrankten Bereich, um diesen gezielt zu behandeln. „Es ist unser Ziel, mit dieser Behandlung unteraktivierte Gehirnareale zu reaktivieren oder über-aktivierte Areale zu hemmen“, sagt die Biologin Antal, die seit über 20 Jahren in Göttingen forscht. So seien zum Beispiel bei Migräne bestimmte Areale im Gehirn überaktiv.

Die Methode ist keine Kassenleistung

Göttingen sei die erste Universitätsmedizin in Deutschland, die sich diesem Forschungsbereich gewidmet habe, ergänzt sie. Hierzulande wird das Verfahren noch nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt. In den USA hingegen wird die nicht-invasive Magnetstimulation bereits seit dem Jahr 2008 eingesetzt, auch in den Niederlanden und in Finnland ist die Methode bereits verbreitet. „Es ist sehr schade, dass die Methoden in Deutschland noch nicht etabliert ist“, sagt Antal. Vor allem weil die meisten Patienten nur geringe Nebenwirkungen wie Kopf- oder Muskelschmerzen oder leichte Schlafstörungen zu Beginn der Behandlung hätten.

Viele Patienten erlebten eine erhebliche Verbesserung ihres Zustandes – sowohl bei psychischen als auch bei neurologischen Erkrankungen so ihre Erfahrung. Lediglich 20 bis 30 Prozent der Patienten seien sogenannte „Non-Responder“, das bedeutet, bei ihnen zeigen sich keinerlei Reaktionen auf die Behandlung.

Warum es die Methode in Deutschland noch nicht auf Rezept gibt? „Bisher ist es nicht geregelt, wer die Stimulation machen darf“, sagt Antal. Es sei eine „Grauzone“. „Aber das soll sich nun bald ändern“, ergänzt sie. So entwickele die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie derzeit ein Curriculum für entsprechende Trainings. „Bisher ist das Argument dagegen, dass ungeschulte Ärzte sich einfach einen Stimulator kaufen könnten, aber damit nicht geschult sind“, sagt die Biologin.

Bisher fehlende geregelte Standards zur Anwendung

Um eben genau diese Rahmenbedingungen für nicht-invasive Hirnstimulationsmethoden zur Behandlung von psychologischen und neurologischen Erkrankungen zu schaffen, hat das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) im Rahmen des Projektes „STIMCODE“ Empfehlungen für den Umgang erarbeitet. „Wir haben eine Art Fahrplan entwickelt, wie die Zukunft der nicht-invasiven Hirnstimulation gestaltet werden sollte“, sagt der Projektleiter Moritz Julian Maier (33) vom Center for Responsible Research and Innovation am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.

Der Neurowissenschaftler Moritz Julian Maier hat die Rahmenbedingungen für den Einsatz von nicht-invasiven Hirnstimulationen mit erarbeitet. Foto: PR/David Robinson

Bisher gebe es außerhalb klinischer und wissenschaftlicher Anwendung keine einheitlichen Regelungen für die Anwendung, es sei eine Art „Wilder Westen“, sagt der promovierte Neurowissenschaftler und Psychologe Maier. Es habe sich inzwischen auch ein Schwarzmarkt entwickelt, ohne Sicherheitskontrolle könne man sich nach etwas Recherche die entsprechenden Geräte im Internet kaufen. Teils würden auf dem Heimanwendermarkt „absurde Versprechen“ gegeben und so Patienten teils immens getäuscht. „Das sind vielversprechende Technologien, aber sie brauchen ein reguliertes Setting“, sagt Maier.

Das Center for Responsible Research and Innovation (CeRRi) hat deshalb in Kooperation mit der University of Ottawa in Kanada, dem Hospital Nacional de Paraplejicos in Spanien und dem Universitätsklinikum Göttingen Empfehlungen für die Entwicklung und Implementierung technologischer Lösungen für die Therapie erarbeitet.