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Mit der neuen A-Klasse will Daimler Audi und BMW abhängen. Dafür wird das Auto radikal umgebaut.

Rastatt - Um vier Minuten nach 10 Uhr ist es so weit: Daimler-Chef Dieter Zetsche fährt in einer knallroten, neuen A-Klasse in der Rastatter Montagehalle 4.0 vor, neben ihm sitzt Daimler-Vorstand und Mercedes-Produktionschef Wolfgang Bernhard. Bevor dieses erste Kundenfahrzeug seinem Besitzer übergeben wird, stellen sich die Manager minutenlang davor in Pose und lächeln mit erhobenem Daumen in die Kameras, Zetsche legt dabei den Arm um Bernhard. Kurz darauf gesellen sich die Beschäftigten der Montagelinie dazu, auch sie strahlen regelrecht um die Wette.

Die große Geste passt zu großen Plänen: Bis 2020 wollen die Stuttgarter mit der Marke Mercedes absatzstärkster Premium-Hersteller vor BMW und Audi werden. „Bei dieser Offensive gehören die neuen Kompakten zu unseren schärfsten Waffen“, sagte der Daimler-Chef am Montag anlässlich des offiziellen Produktionsstarts der A-Klasse. Das Modell ist deutlich flacher und sportlicher als sein legendärer Vorgänger, der einst beim Elch-Test gekippt ist. Während Letzterer vor allem bei der Generation 50 Plus beliebt war, soll das neue Modell jüngere Käufer locken und tritt insbesondere gegen den A3 von Audi und den 1er-BMW an. Mit einem Einstiegspreis von knapp 24 000 Euro ist es aber mindestens 2000 Euro teurer als die Konkurrenz-Modelle.

Die Kunden scheint das nicht zu stören: Obwohl die A-Klasse erst seit sechs Wochen bestellt werden kann und von September an in den Autohäusern steht, kommt Mercedes mit der Nachfrage kaum hinterher. 40 000 Bestellungen liegen bisher vor, „die Nachfrage hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen“, sagte Bernhard. Das gleiche gelte für die B-Klasse, die in Rastatt und im ungarischen Kecskemet gebaut wird, 70 000 wurden bisher verkauft. Jeder dritte B-Klasse-Käufer fahre erstmals ein Fahrzeug mit Stern, sagte Zetsche, von der A-Klasse erhofft er sich gar bis zu „50 Prozent Eroberungsrate“. Sprich: Zetsche will jeden zweiten A-Kasse-Käufer der Konkurrenz abspenstig machen.

900 neue Arbeitsplätze

Das starke Interesse schafft Arbeitsplätze. Seit 2010 bis Ende 2012 wird Daimler am Standort 900 neue Arbeitsplätze geschaffen haben, parallel sind 600 Millionen Euro in den Ausbau des Werks und beispielsweise eine neue Rohbauhalle geflossen. Noch mal soviel gibt der Autobauer bis Ende 2013 aus. Darin enthalten sind auch Investitionen für ein Geländewagenmodell auf Basis der B-Klasse, das von Ende 2013 an ebenfalls in Raststatt montiert wird.

Dieser Anlauf werde derzeit vorbereitet, kündigte der Rastatter Werkleiter Peter Wesp an, für die Zusatzaufgabe hat die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat vereinbart, dass das Werk ein Jahr lang 15 statt der bei Daimler üblichen acht Prozent Leiharbeiter beschäftigen darf. Ende 2012 werden in der badischen Pkw-Fabrik rund 6600 Menschen arbeiten, die Aufstockung der Leiharbeitsquote ermöglicht zusätzlich die befristete Einstellung von mehreren Hundert Beschäftigten. Derzeit übernimmt der Autobauer 300 Zeitarbeiter in feste Jobs, die Zahl der Auszubildenden steigt um 40 Prozent auf 70 Berufsanfänger jährlich. Zudem wird die A-Klasse-Montage laut Bernhard im Herbst von aktuell zwei auf drei Schichten hochgefahren, im ersten Halbjahr 2013 sind bereits 21 Sonderschichten geplant.

Noch geht es in den zwei Montagehallen aber vergleichsweise gemütlich zu. Zum Produktionsstart werden nur vier bis fünf Dutzend A-Klasse-Modelle täglich gefertigt, anders sei ein zusätzlicher Modell-Anlauf für die Zulieferer nicht zu schaffen, sagt Montageleiter Olaf Dunkler. Denn die liefern ihre Teile punktgenau zum Einbau ans Band. Mit Einführung des Drei-Schicht-Betriebs baut Mercedes von Herbst an in der größeren Halle nur noch A-Klassen, in der kleineren wird weiter die B-Klasse montiert. Hauptstandort für Letztere wird dann Kecskemet sein, wo jeder Arbeitsschritt mit dem in Rastatt identisch ist, um die Werke optimal auslasten zu können. Wie seit Monaten sind auch an diesem Montag Mitarbeiter aus Ungarn im Haus und schauen ihren Rastatter Kollegen über die Schulter, zudem tauchen zwischen den Männerreihen auffallend junge weibliche Gesichter auf – laut Dunkler ein sicheres Zeichen für Ferienkräfte. Die Frauenquote am Band betrage höchstens zehn Prozent, sagt der Montageleiter, die Beschäftigten rotieren zwischen acht bis zwölf Arbeitsschritten zu je anderthalb Minuten. Dunkler: „Der Job ist körperlich anstrengend, manchmal auch mental.“

Daimlers kleinere Modelle laufen auch in Ungarn vom Band

Wie viele A- und B-Klassen Daimler künftig in Rastatt produzieren will, verrät der Autobauer nicht. In Spitzenzeiten dürfte die Zahl zwischen 200 000 und 250 000 im Jahr liegen, weitere 100 000 Kompaktwagen kann Kecskemet beisteuern. Dort produzieren die bald 3000 Beschäftigten neben der B-Klasse ab 2013 ein viertüriges Coupe als zweite Baureihe. Ebenfalls 2013 soll Peking als dritter Standort im Kompaktwagen-Verbund hinzukommen. Eine solche grenzüberschreitende Arbeitsteilung sei „keine Bedrohung für die Arbeitsplätze in Deutschland, sondern macht sie sicherer“, sagte Bernhard. Der Mercedes-Produktionschef wurde in den vergangenen Monaten immer wieder als Zetsche-Nachfolger gehandelt – an diesem Montag zeigte er sich seit langem einmal neben dem Daimler-Lenker im Rampenlicht.

Im weltweiten Markt für Premium-Kompaktfahrzeuge erwartet Zetsche in den kommenden zehn Jahren ein Wachstum von vier Millionen Fahrzeugen. „Daran wollen wir teilhaben“, sagte der Auto-Manager. 2011 verkaufte Daimler rund 1,26 Millionen Fahrzeuge der Marke Mercedes, dank der neuen Kompakten soll dieser Wert dieses Jahr noch einmal übertroffen werden. 2014 will Daimler mindestens 1,5 Millionen Pkw verkaufen. Die Beschäftigten in Rastatt haben also voraussichtlich nicht nur für die Kamera gelächelt. Zetsche: „Wir investieren in Rastatt, weil es sich lohnt. Dieses Werk wächst.“