Das ehemalige Fabrikgebäude steht noch. Dort befinden sich ein Fabrikmuseum und ein kleiner Laden, in dem Süßigkeiten von "Roter Oktober" verkauft werden. Foto: Schabert Foto: Schwarzwälder-Bote

Ehrenbürger Julius Heuß zieht 1857 nach Moskau und gründet ein Unternehmen / Dortige Hauptstraße damals nach ihm benannt

Von Hans Schabert

Neubulach. Wer Moskau bei einer Schiffsrundfahrt von der Moskwa aus betrachtet, wird unweit vom Kreml auch auf eine riesige Schokoladenfabrik aufmerksam. Aus einem Lautsprecher heißt es, dass diese "ein Württemberger mit fünf Mitarbeitern" gegründet hat.

Dies war – was heute in Moskau kaum jemand weiß – der von der königlichen Staatsregierung Württembergs mit dem Titel Kommerzienrat ausgezeichnete Julius Heuß. Nach ihm, einem Ehrenbürger Neubulachs, ist bis heute ein großer Teil der durch die Bergwerkstadt führenden Hauptstraße benannt. Laut Eintrag im Gemeinderatsprotokoll geschah die Benennung 1905, zwei Jahre bevor er im Alter von 75 Jahren verstarb.

Geboren wurde Julius Heuß 1832 in Walddorf. Sein Großvater Gottfried Ferdinand Heuß war in Neubulach Stadtpfarrer, sein Vater Jakob Gottfried Heuß Vikar. Dieser verfasste auch das erste bekannte Heimatbüchlein "Neubulach, die kleine Stadt". Julius Heuß ging mit 14 zur Ausbildung als Kaufmann nach Esslingen. Einer Tätigkeit in Heidenheim folgte 1854 der Wechsel in den Schmuck- und Uhrenhandel Verwandter in Odessa.

Nach dem Krimkrieg zog Heuß 1857 nach Moskau, wo er den Handel fortsetzte und für die Beleuchtung der Stadt sorgte. Dafür verwendete er 9000 Petroleumlampen. 500 bei ihm beschäftigte sogenannte Anzünder besorgten deren Betrieb, ehe er auf Gasbeleuchtung umstellen half. Nach Reibereien mit der englischen "Gas-Compagnie" stieg er schließlich aus dem Geschäft aus.

Mit seinem Partner, der fünf Jahre später aus gesundheitlichen Gründen den Betrieb verließ, eröffnete er 1871 eine Biskuit-Fabrik. "Getrieben von dem Ehrgeiz, der erste Konditor Russlands zu werden", so Heuß, baute er nach eigenen Worten den Betrieb zunächst mit zwei in Württemberg ausgebildeten, später mit fünf Söhnen weiter auf.

3000 Beschäftigte hatte die weltweit Süßwaren vertreibende Schokoladen- und Pralinenfabrik 1917. Im Zuge der russischen Revolution wurde das Unternehmen verstaatlicht. Die Firma erhielt den noch heute geführten Namen "Roter Oktober".

Julius Heuß blieb Neubulach jedoch lebenslang verbunden und hat im Zusammenwirken mit dem Stadtschultheißen Müller viel für den Luftkurort getan. Um 1900 etwa stiftete er Mittel zum Aufbau der modernen Wasserversorgung und eines Kindergartens.

Er riet ferner den Verantwortlichen dazu, die Stadt auf Tourismus einzustellen. Der Umbau der Turmstube im Silbertor vom Ortsarrest zum Leseraum wurde 1907 aus Spendengeldern des bürgerrechtlich Neubulacher gebliebenen Weltbürgers bestritten. Auch einzelnen in Not geratenen Familien half der ausgewanderte Unternehmer.