Jedes Jahr Mitte Juni beginnt auf Helgoland ein unvergleichliches Spektakel: Trottellummenküken springen vom Lummenfelsen rund 40 Meter tief zu ihren Eltern ins Wasser. Doch manchmal endet ein Sprung auch hinter einer Mauer. Und dann?
Helgoland - Die Luft am Lummenfelsen auf Helgoland ist erfüllt von Vogelgeschrei. Aus dem Grundrauschen stechen in der Dämmerung an Juniabenden immer wieder sehr hohe, zweisilbige Rufe hervor. Es sind die Küken der Trottellummen, die sich bereit machen für den Sprung aus rund 40 Meter Höhe, mit dem sie von den Klippen zu ihren Eltern im Meer gelangen wollen.
Ein Elterntier sitzt noch bei dem Küken in der steilen Felswand, das andere im Wasser oder Watt - sie motivieren ihr Jungtier ebenfalls mit Rufen, zu springen, wie der ornithologische Schutzgebietsbetreuer des Vereins Jordsand auf Helgoland, Elmar Ballstaedt, sagt. Bis ein Küken sich traut, den entscheidenden Schritt über den Abgrund zu wagen, können aber schon mal ein paar Tage vergehen. „Es ist ja schon eine Grundsatzentscheidung“, sagt Ballstaedt. Da die rund drei Wochen alten Tiere noch nicht fliegen können, gibt es nach dem Sprung kein Zurück mehr auf den Felsen.
Die Vögel überleben fast immer
Die Flugunfähigkeit ist auch der Grund, warum Ballstaedt und weitere Männer und Frauen jetzt unten am Lummenfelsen stehen. Den Sprung selbst überleben die kleinen Vögel fast immer. Von der Statur, dem Knochenbau und der Fettschicht seien sie darauf ausgelegt, aus diesen Höhen zu springen. Und ob sie nun auf dem Wasser oder dem Land aufkommen, macht bei diesen Höhen auch keinen Unterschied. „Das gefährliche ist nicht der Sprung an sich, sondern der Weg zum Wasser“, sagt Ballstaedt.
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Auf Helgoland lauern zwar kaum Fressfeinde, aber die Mauer, die die Westseite von Helgoland aus Küstenschutzgründen einrahmt, ist für die jungen Lummen ein unüberwindbares Hindernis. Wenn sie nicht direkt im Wasser landen, sondern hinter der Mauer, brauchen sie Hilfe, um zu ihren Eltern zu kommen. Gemeinsam mit der Vogelwarte Helgoland ist der Verein Jordsand daher immer im Juni zum Lummensprung unten an der Klippe, um die Küken, die es nicht selbstständig ins Wasser zu ihren Eltern kommen, zu retten.
Trottellumme brütet an Land
Die Trottellumme ist als Meeresvogel gut an das Leben im Wasser angepasst. Ans Land kommt sie nur zum Brüten. Ihre Kolonien findet man an steilen Küstenklippen. In Deutschland brüten sie nur auf Helgoland. Hier legt das Trottellummenweibchen ein einziges Ei – in schwindelnder Höhe auf einem schmalen Vorsprung direkt auf den nackten Fels. Rund drei Wochen werden die Küken am Felsen versorgt.
Dann kommt der Zeitpunkt des Sprungs: Denn dann sind die Jungtiere so groß geworden, dass die Eltern nicht mehr gleichzeitig sich und das Küken ernähren können, wenn es im Felsen sitzen bliebt. Denn dafür müssten die Trottellummen immer weitere Strecken zurücklegen, um ausreichend Nahrung zu besorgen.
Die Trottellummen sind allerdings mit die schlechtesten Flieger im Vogelreich, wie Ballstaedt erklärt. „Das führt dazu, dass das Jungtier zur Nahrung kommen muss, auch wenn es noch nicht fliegen kann.“ Selbstständig überlebensfähig sind die kleinen Vögel nicht. „Die werden noch ein paar Wochen auf dem Wasser ernährt, bis sie für sich selber sorgen können.“
Kein Zutritt ins Naturschutzgebiet
Acht Leute in aufgeteilt in Zweiergruppen sind unten an den Klippe, und beobachten aufmerksam die Felsen und das Wasser. Sie tragen feste Schuhe und Helme - wegen Steinschlaggefahr. Die Stirnlampe machen sie trotz der schlechten Lichtverhältnisse nicht an, um die Vögel im Felsen nicht aufzuscheuchen. Außer ihnen ist niemand hier unten, denn grundsätzlich herrscht ein Betretungsverbot im Naturschutzgebiet unten am Felsen.
Oben auf dem Felsen sind viele Vogelfreunde - oft ausgestattet mit Kameras - versammelt, um auch einen Blick auf die springenden Küken zu erhaschen. Der Lummensprung auf Deutschlands einziger Hochseeinsel hat sich in den vergangenen Jahren zu einer touristischen Attraktion entwickelt. Es gibt besondere Angebote und fachkundige Führungen zum Lummenfelsen.
Einige Küken werden beringt
Jede jungen Trottellumme, die springt, wird von den Helfern unten am Felsen registriert. Ein Geräusch, das ein wenig klingt, wie wenn ein mit Wasser gefüllter Ballon auf dem Boden zerplatzt, lässt sie jedes Mal aufhorchen. Es könnte eine junge Trottellumme sein, die nicht im Wasser, sondern auf dem Land gelandet ist. Bevor ein solches Küken auf die Mauer gesetzt wird, damit es den letzten Sprung ins Wasser machen kann, wird es beringt und gewogen. Auch Flügel und Unterschenkel werden vermessen. Aus den Daten lässt sich der Fitnesszustand des Vogels ablesen und auch mit denen früherer Jahre vergleichen.
Erst nach Mitternacht wird es ruhiger am Felsen. Und auch die hohen Rufe der Trottellummenküken und die tieferen Laute der Elterntiere verstummen nach und nach. Die Vogelschützer packen für diese Nacht zusammen. 65 Küken, die in diesen Stunden den Sprung gewagt haben, haben sie gezählt. Zwölf davon wurden beringt.