Spezielle Türöffner sind ein Puzzleteil auf dem Weg zur Barrierefreiheit. Foto: Regine Warth

Seit 1997 setzt sich die Stuttgarter Straßenbahnen AG für einen barrierefreien Nahverkehr ein. Sogar einen Preis gewannen die SSB im Jahr 2012 für die Bemühungen, die Fahrten mit Bus und Bahn behindertenfreundlich zu gestalten. Wir zeigen einen Überblick über die Maßnahmen.

Stuttgart - Das Lob kommt aus berufenem Munde. „Die SSB sind im Bereich Barrierefreiheit viel besser aufgestellt als viele andere Verkehrsbetriebe in Deutschland“, sagte Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer jüngst, als sie selbst einen Test machte, wie behindertenfreundlich die Anlagen und Fahrzeuge der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) sind. Tatsächlich investiert die SSB bereits seit 1997 in einen barrierefreien Nahverkehr. Also lange bevor andere daran dachten. Andere Betriebe begannen erst im Jahr 2002, nachdem das Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet wurde.

Seit der Anfangszeit 1997 sind Guntram Schäfer und sein Kollege Peter Krauß dabei. Das Motto der beiden lautet: „Wir wollen im öffentlichen Nahverkehr in Stuttgart nicht nur kundenfreundlich, sondern auch barrierefrei sein. Und wir tun immer ein bisschen mehr, als gesetzlich vorgeschrieben ist.“

Engagement nicht ganz uneigennützig

Dabei geht es dem Verkehrsbetrieb nicht nur um behinderte Menschen. Von den Investitionen, die beide SSB-Mitarbeiter nicht beziffern wollen, sollen möglichst viele profitieren. Menschen, deren Bein kurzzeitig eingegipst ist, die Mutter mit Kinderwagen oder der Tourist mit schwerem Koffer. Alle, die auf irgend eine Weise gehandicapt sind, sollen ungehindert die Mobilität mit Bus und Bahn genießen.

„Aber unser Engagement ist nicht ganz uneigennützig“, gibt Krauß zu. „Wenn wir beispielsweise in einen Hochbahnsteig investieren, sparen wir am Ende auch Geld.“ Die Rechnung geht so: Auf einem Hochbahnsteig gibt es einen schnelleren Fahrgastwechsel, man gewinnt Zeit und spart so womöglich einen Zug. Und damit Geld.

Dennoch sind Krauß und Schäfer stark von dem Gedanken motiviert, behinderten Menschen das mobile Leben in Stuttgart leichter zu machen. Und arbeiten mit Hochdruck an dem Ziel, deren so viel zitierte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. „Wenn man sieht, wie man mit geringem Aufwand, einem großen Anteil der Stuttgarter helfen kann, dann ist das eine Riesengeschichte“, sagt Krauß und gibt einen Überblick der SSB-Aktivitäten in diesem Bereich:

Fahrgastinfos

Ein besserer Zugang beginnt mit der Orientierung vor der ersten Fahrt. Daher gibt es einen Fahrplan in Blindenschrift, eine besondere Telefonauskunft (7885-3333), eine behindertengereichte Information am Charlottenplatz mit induktiver Höranlage, eine Smartphone-App für Blinde und Sehbehinderte mit Sprachausgabe sowie eine 35-seitige Mobilitätsbroschüre, in der alle Hilfsmittel für gehandicapte Personen nochmals aufgelistet sind.

Stadtbahnhaltestellen

Die Entwicklung ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten zügig vorangeschritten: 1990 waren von 111 Stadtbahnhaltestellen 78 (70 Prozent) behindertenfreundlich. Zehn Jahre später waren es von 159 Haltestellen 138 (87 Prozent). Und seit dem vergangenen Jahr liegt die Quote bei 97 Prozent. Das heißt: von 200 Haltestellen sind 194 behindertenfreundlich. 31 davon sind mit einem Aufzug ausgerüstet. „Wenn wir behindertenfreundlich wie andere Städte definieren würden“, sagt Schäfer, „lägen wir jetzt schon bei 100 Prozent.“ Kennzeichen dafür sind zum Beispiel Blindenleitlinien mit Aufmerksamkeitsfeldern auf dem Bahnsteig, die Kennzeichnung von Türen beziehungsweise Haltepunkten sowie eine kontrastreiche Gestaltung der Bodenbeläge oder der Treppen.

Bushaltestellen

Hier geht es um Zentimeter. Nur wenn der Bordstein 18 Zentimeter (statt 12) hoch ist, kann im Zusammenspiel der Technik der Fahrzeuge ein Rollstuhlfahrer weitgehend problemlos einsteigen. In Stuttgart sind von 885 Haltestellen 210 mit solchen Profilbordsteinen ausgestattet. Nach und nach sollen alle Haltestellen nachgerüstet werden. Denn bis zum Jahr 2022 wird dies zur Pflicht für alle Verkehrsbünde. Pro Jahr werden etwa 70 Haltestellen nachgerüstet. Preis pro Haltestelle: 35.000 Euro.

Die Fahrzeuge

Die SSB haben 164 barrierefreie Stadtbahnwagen des Typs DT8 mit einem stufenlosen Türenbereich im Einsatz. Die 255 Niederflurbusse besitzen eine Klapprampe. Die neue Stadtbahn (DT8.12), von denen bald 40 Stück auf die Schiene gebracht werden sollen, sind noch behindertenfreundlicher ausgestattet als das Vorgänger-Modell. Das Mehrzweckabteil mit Klappsitzen etwa bietet mehr Platz, hat einen weiteren Türöffner und eine Sprechanlage. Die Türen haben einen zusätzlichen unteren Türknopf zur Türfeststellung für Menschen, die mit Rollstuhl unterwegs sind.

Aufklärung

Die SSB bieten zwei Mal im Jahr Trainingsprogramme für Fahrgäste an , deren Mobilität eingeschränkt ist. Zudem gibt solche Seminare für Gruppen auf Anfrage. Aber auch alle Mitarbeiter des Fahrdienstes müssen praktische Selbsterfahrungen sammeln, um das Verständnis und die Hilfsbereitschaft zu verbessern. Aber auch um Berührungsängste abzubauen. Dazu gehören Erfahrungen im Rollstuhl oder mit einer Brille, die Sehbehinderungen simulieren.

Um Barrierefreiheit umzusetzen, bedarf es also eines ganzen Bündels an verschiedenen Maßnahmen. Die SSB haben für ihre Bemühungen im Jahr 2012 den Ursula-Broermann-Preis für barrierefreies Bauen gewonnen, den die Architektenkammer Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Dachverband Integratives Planen und Bauen vergibt. „Darauf sind wir stolz“, sagt Krauß – und verspricht, in den Bemühungen nicht nachzulassen.