Thomas Zehetmair und Ruth Kilius sorgten für den musikalischen Höhepunkt der Sommermusik. Foto: Kosowska-Németh Foto: Schwarzwälder-Bote

Der Star-Geiger gibt zusammen mit der Bratschistin Ruth Kilius ein Konzert in der übervollen Remigiuskirche

Von Maria Kosowska-Németh

Nagold. Die Sommermusik im Oberen Nagoldtal erreichte ihren unumstrittenen Höhepunkt: Mit dem Konzert "In memoriam" riefen Thomas Zehetmair und Ruth Kilius den vor einem Jahr verstorbenen Mitbegründer und passionierten Altensteiger Verfechter des Musikfestivals, das Kultur-Vorbild Gerhard Sorge ins Gedächtnis.

Die Remigiuskirche konnte den Menschenandrang kaum bewältigen. Äußerst selten bekommt das Publikum an einem Abend nicht nur alle 24 Capriccios von Niccolo Paganini, ein Inbegriff der vollkommenen Virtuosität, sondern auch drei vollständige Solo-Sonaten zu hören. Einer so monumentalen Herausforderung können nur erlesene und exzellente Künstler wie Zehetmair und Kilius gerecht werden.

Der Violinist teilte die anspruchsvollen Stücke in Blöcke. Mit den allerersten leisen Arpeggien testete er kurz die wohlwollende Akustik der überfüllten Kirche, dann überschüttete er die Zuhörer mit einer Kaskade der atemberaubenden Virtuosität.

"Diese Stücke sind keine Etüden und keine emotionslose Pyrotechnik, sie sind improvisierte Charakterstücke voller Poesie und Fantasie" – lautet Zehetmairs Kommentar zu seiner CD-Einspielung. Tatsächlich klangen seine Capriccios (italienisch "launige Stücke") allesamt ähnlich den Konzertkadenzen, zeitweise strahlte die Bachsche melodiöse Ruhe unter dem Gewitter der technischen Kapriolen hervor, wieder mal verzauberte Zehetmair die Zuhörer mit samtigem Ton der Bass-Seite in ungeahnten Höhen.

Und doch stockte ihnen mehrmals der Atem in Anbetracht der reinen Virtuosität, der rasanten Geschwindigkeit (nur als Beispiel Capriccio 5) und diabolischen Technik, mit der Zehetmair das Thema vom Capriccio 6 in die flackernde Flamme des durchgehenden Tremolo einhüllte.

Ruth Kilius interpretierte an diesem langen Musikabend gleich drei Sonaten von Paul Hindemith. Vom ersten Ton an beeindruckte sie mit dem kräftig-saftigen, dunklen Klang, der jedoch auch die sanfte Lyrik im ätherischen Pianissimo ohne jeglichen Zuckerguss ausstrahlte. Offensichtlich setzte sich Kilius in ihrer künstlerischen Auffassung mit der Partitur-Anweisung "Wild. Tonschönheit ist Nebensache" von Hindemith für seine Sonate 25/1 auseinander. Es war nicht zu überhören, dass eben die Tonschönheit ihr am Herzen liegt und dass die Tonästhetik keinesfalls die Identifizierung mit dem Werk ausschließt.

Kilius reizte das reiche Viola-Timbre völlig aus, spielte sehr emotional, vital und schonungslos – aber immer hypnotisierend schön, als wären sie und ihre Bratsche eins. Die Innigkeit des Vortrags beherrschte die Gesamtinterpretation und stellte auch jene Zuhörer zufrieden, die mit der freien Tonalität noch nicht ganz befreundet sind.

Zwischen den Musik-Blöcken gönnten Kilius und Zehetmair dem Publikum so gut wie keine Zeit für Zwischenbeifall, womöglich um ihre Konzentration und innere Disziplin in Anbetracht des Marathon-Programms konstant zu halten. Als aber der letzte Paganini-Ton erloschen war, badeten die Weltkünstler umso länger unter Bravorufen und stehenden Ovation im Applausmeer.