Naciye Arslanoglu, Chefin der Nagolder Rosenapotheke, unterhielt sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: DAZ

Eigentlich wollte Frank-Walter Steinmeier Nagold besuchen. Stattdessen telefoniert er mit Naciye Arslanoglu.

Nagold - Eigentlich hätte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ja persönlich nach Nagold kommen sollen. Für den 24. März war sein Besuch in der Stadt geplant. Hier wollte er mit Oberbürgermeister Jürgen Großmann und Bürgern über Umweltthemen diskutieren. Stattdessen rief er jetzt bei Naciye Arslanoglu an.

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Die Chefin der Rosen-Apotheke wäre eine der Teilnehmerinnen gewesen bei der ursprünglich angesetzten "Kaffeetafel" mit dem obersten Repräsentanten im Staat. Doch die Corona-Krise machte einen Strich auch durch diese Reisepläne, verdonnerte selbst den Bundespräsidenten zum "Homeoffice" – und zum Telefonieren. Und anstatt Umweltthemen wollte er mit der Nagolderin Arslanoglu nun am Telefon viel lieber über deren aktuellen Erfahrungen "an vorderster Front" im Umgang mit den Folgen der Pandemie sprechen. Denn – eine Apotheke: An wenigen Orten sonst konzentrieren sich die Widrigkeiten der momentanen Lebensumstände so dramatisch wie an diesem Ort.

Ausnahmesituation belastet nicht nur die Kunden

"Ich habe dem Bundespräsidenten erzählt, dass ich eine solche Situation in 30 Jahren als Apothekerin noch nicht erlebt habe", berichtet die Apothekerin. Diese Ausnahmelage belaste nicht nur die Kunden, "sondern auch uns in der Apotheke, weil wir zum einen um die Gesundheit unserer Angehörigen und Mitarbeiter besorgt sind. Und zum anderen eine weit erhöhte Belastung haben, die vielen Arzneimittel zu bestellen, nach Ersatz zu gucken und nach Desinfektionsmitteln, Mundschutz sowie weiterer Schutzbekleidung zu suchen". Ihr gesamtes Team arbeite auf Hochtouren und "alle machen Überstunden", um den dramatisch erhöhten Bedarf nicht nur der privaten Kunden und Patienten in der aktuellen Situation zu decken.

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"Der Bundespräsident war überrascht zu hören, dass wir natürlich auch die Arztpraxen und Pflegeheime der Region mit Medikamenten, Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung wie Mundschutz, Einmalkittel und Handschuhen beliefern" – sofern auch sie von den Großhändlern und Firmen überhaupt noch beliefert würden. Der Bundespräsident habe wissen wollen, wie grundsätzlich die Liefersituation bei Medikamenten sei und ob sich die Situation durch die Corona-Pandemie geändert habe. "Ich habe ihm dargestellt, dass es schon vor der Corona-Pandemie bei einigen Wirkstoffen Lieferengpässe auf dem Markt gab." Seit die Krankenkassen mit bestimmten Pharma-Unternehmen individuelle "Rabattverträge" vereinbart hätten, käme es bei Apotheken wie der ihren immer wieder zu große Schwierigkeiten bei der Beschaffung von bestimmten Medikamenten und Wirkstoffen.

Engpässe haben sich verschärft

"Deutschland galt früher mal als die Apotheke der Welt, aber das hat sich inzwischen leider geändert." Viele Firmen ließen durch den Preisdruck ihre Produkte und Präparate nur noch in Billiglohnländern wie China oder Indien produzieren, um bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen noch mitbieten zu können. "Daher hatte ich bereits am Anfang der Krise die Sorge, dass sich die Lage noch weiter zuspitzen würde – vor allen Dingen, nachdem bekannt wurde, dass China so stark von der Pandemie betroffen ist." Tatsächlich hätten sich die Engpässe bei der Medikamentenversorgung daher seit Beginn der Corona-Krise noch einmal verschärft. Sie habe den Bundespräsidenten darüber informiert, dass es durch die erhöhte Nachfragen der Kunden inzwischen sogar bei Standard-Medikamenten wie Paracetamol und ähnlichem zu massiven Lieferschwierigkeiten komme.

Aber auch die menschliche Seite in der aktuellen Situation habe den Bundespräsidenten interessiert – also wie sich die Kunden und die Nagolder Bevölkerung in der Corona-Krise verhielten und ob alle die angeordneten Vorgaben beachteten. Sie habe Steinmeier geschildert, wie zu Beginn des Ausnahmezustands die Reaktionen der Kunden recht unterschiedlich ausgefallen seien. "Wir hatten am Anfang Kunden, die zum Teil sehr verängstigt und besorgt waren. Aber auch Kunden, die recht lapidar mit der Situation umgingen." Doch den meisten Kunden sei die Dringlichkeit der Vorsorgemaßnahmen in Zusammenhang mit der Pandemie sehr schnell bewusst gewesen. Zumal sich auch der Besuchsablauf für Kunden und Patienten in ihrer Apotheke recht frühzeitig spürbar verändert hätte.

So habe man "an unseren Kassen Schutzvorkehrungen aus Plexiglas einbauen lassen" und den Kundenverkehr schon vor der Apotheke so geleitet, dass die Kunden nur noch nach und nach in die Apothekenräume eintreten und "in einer Art Kreisverkehr die Apotheke wieder verlassen" konnten.

"Wir haben auch laienhaft ein Video über unsere Schutzmaßnahmen gedreht und auf unsere Facebook-Seite hochgeladen, damit unsere Kunden informiert sind." Um vor allem die älteren und chronisch kranken Kunden besonders zu schützen, habe man zudem den eigenen Lieferdienst für Medikamente und medizinische Hilfsmittel "massiv ausgeweitet", sodass diese Risiko-Gruppen nicht mehr persönlich in die Apotheke zu kommen bräuchten. Außerdem sei das Team der Rosen-Apotheke in zwei komplett getrennte Einsatzgruppen aufgeteilt worden, die jeweils komplett unabhängig und ohne irgendeinen Kontakt zueinander in einem Zwei-Tage-Rhythmus arbeiteten. So wolle man gegenseitige Ansteckungen vermeiden. Und auf jeden Fall immer ein Team einsatzfähig halten.

Am Schluss ihres rund halbstündigen Telefonats habe sich der Bundespräsident dann ausdrücklich für das Engagement der Nagolder Apothekerin und ihrer 17-köpfigen Mannschaft bedankt und sie für ihre Arbeit in der Apotheke als "Helden dieser schwierigen Zeit" gewürdigt. "Aber auch ich habe mich beim Bundespräsidenten bedankt", unterstreicht Naciye Arslanoglu. Weil "er persönlich anruft und somit sein Ohr so nah am Volk hat. Damit macht er uns Mut und motiviert uns noch mehr bei unserer Arbeit". Und letztlich: "Es war mir natürlich eine große Ehre, mit ihm reden zu können."