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Comedian Nikita Miller gastiert in der Alten Seminarturnhalle Nagold

Zwei Meter hoch, sportliche Gestalt, grimmiger Gesichtsausdruck und laute Stimme. So gefährlich sieht Bühnenpräsenz bei Nikita Miller aus. Aber Stand-up-Comedy ist nicht sein Ding. Er setzt sich hin und erzählt seine Geschichten. "Comedic Story Telling" nennt er es und Bedrohliches blitzt nur hin und wieder während des Programms auf.

Nagold. Sein aktuelles Programm heißt: "Auf dem Weg, ein Mann zu werden" und befasst sich hauptsächlich mit Geschichten aus Schulzeit und Jugend. Diese ist allerdings auch speziell und eignet sich bestens zu kabarettistischer Übertreibung.

Geboren in Kasachstan, aufgewachsen in Württemberg, stellt er russische und schwäbische Mentalität zum großen Vergnügen seiner Zuhörer gegenüber. Sagt der schwäbische Bildungsbürger-Vater zu seinem Sohn, der gerade etwas durchhängt, mit erhobener Stimme: "Aber Cornelius, du musst doch an deine Zukunft denken", sagt der russische Vater zum 18-jährigen Sohn: "Gäh, such Arrbeit und verrschwinde!" Oder ersatzweise: "Möchtest du, dass meine Faust in deinem Gesicht spazieren geht?" Ja, dieser russische Vater hat einen besonderen Stil.

Comedy war nicht der Plan von Nikita Miller. Zunächst machte er sein Abitur nach, studierte Medieninformatik und, weil das nicht passte, danach Philosophie und Rhetorik. In vertrauter Runde erzählte er gerne seinen Kumpels Jugendgeschichten. Per Zufall hörte das am Nebentisch – der in Nagold so vertraute – Klaus Birk.

Er ermunterte ihn, das doch mal auf der Bühne zu versuchen und verschaffte ihm einen kleinen unbezahlten Auftritt. Miller hat Klaus Birk, der ihn immer wieder gecoacht hat, viel zu verdanken. Nicht zuletzt hat der ihm seine Tochter Diana vorgestellt mit dem Erfolg, dass die beiden jetzt Partner im Leben und teilweise auch bei der Arbeit sind.

Es folgten weitere 80 unbezahlte Auftritte. Gut, dass Nikita Miller schon sein Studium mit sehr vielen unterschiedlichen Jobs finanziert hat. Er hat alles gemacht, was sich anbot, um Geld zu verdienen: Pizzalieferant, Bandarbeiter, Türsteher, Mediengestalter, Cartoonist. Türsteher sei besonders gut gewesen, weil immer so viel los war und die Zeit damit schnell verging. Noch lieber war ihm das Zeichnen von Cartoons. So konnte er auch die Durststrecke der unbezahlten Kleinauftritte überstehen und seine Fahrten quer durch die Republik finanzieren. Erst als Dieter Nuhr ihn weiter empfiehlt, bekommt er bezahlte Auftritte und die Karriere nimmt richtig Fahrt auf. Mancher Veranstalter mag gedacht haben: "Wenn’s der Dieter sagt, wird’s scho stemme!"

"Niemand geht barfuß ins Geschäft zum Schuhe kaufen"

Immer noch auf Sparen ausgerichtet, rechnet er seiner Frau und dem Publikum genüsslich vor, wie viel Geld man sparen kann, wenn man Flix-Train fährt. Schade nur, dass der Zug nicht ankommt und gleich drei wichtige und konkurrierende Termine in Berlin platzen.

In der 5. Schulklasse vergnügt er sich mit seinen Kumpels Viktor, Oleg und Vidam, die es tatsächlich gab – allerdings mit anderen Namen –, mit einem Pornoheft in den Schulpausen. Mehr und mehr Jungs wollen mitmachen und die Besitzer des Hefts sind einfach die Obercoolen.

Später in Klasse 7 und 8 wird es noch cooler. Nikita mutiert zu "2Pac", dem angesagten Gangsterrapper, und seine "Schulgang" macht mit. Beutelhosen, die zwischen den Knien hängen, "wie vollgeschissen aussehen und den attraktiven Pinguingang verleihen". Auch der Slang, in dem man sich anredet wie "Hi, Killer" oder "Ej, Nigger" klappen prima – nur die fette Goldkette fehlt. Die bekommt er vom Flohmarkt, auf den Papa ihn mitgenommen hat. Der Vater handelt den Verkäufer von 50 Mark zunächst auf fünf Mark runter und Nikita bewundert ihn dafür. Dass er dann versucht, das gleiche Manöver an der Aldi-Kasse durchzuführen, misslingt natürlich. Wie so viele Dinge misslingen auf dem Weg, ein Mann zu werden.

Ein weiteres Beispiel für solche Missgeschicke: Gangsterrapper der 8. Klasse haben nicht nur keinen Umgang mit Mädchen, sie ignorieren sie einfach. Reden mit Mädchen ist "echt für Schwule", so was ist für sie total unter ihrer Würde. Aber da kommt Clarissa auf ihn zu, sie ist wirklich wunderschön und spricht ihn sogar an. Da die Kumpels gerade nicht dabei sind, würde er so gerne – aber wie? Hilflos in der Situation weiß Nikita nicht, wie mit ihr reden und sagt halt das, was er üblicherweise so ablässt: "Halt einfach das Maul."

Und dann ist auch ein Onkel da, unendlicher Ratgeber in heiklen Situationen: Wenn du eine Freundin hast und lieber eine andere hättest, musst du erst was mit der neuen anfangen, bevor du mit der alten Schluss machst: "Niemand geht barfuß ins Geschäft zum Schuhe kaufen." oder "Egal, ob du heiratest oder nicht, du wirst beides bereuen." oder "Was, Spaß bei der Arbeit? – Du nimmst wohl Drogen!"

Das Programm lebt erfreulicherweise nicht nur von solchen einzelnen Gags, sondern hauptsächlich von der Komik, die den Geschichten innewohnt. Und die erzählt Miller trocken und präzise, wechselnd zwischen russischem Akzent, glattem Hochdeutsch und waschechtem Schwäbisch. Schön ist auch, wenn ihm ab und zu ein bübisches Lächeln durchs Gesicht huscht, wenn das Publikum reagiert. Und das Publikum reagiert. Immer wieder mit freudigem Gelächter und am Schluss mit großem Applaus. Viele im Publikum hatten eine lange Fahrt auf sich genommen, um Nikita Miller zu hören und wurden mit einem gelungenen Abend belohnt.