Mit Rat und Tat steht Christian Röhrer traumatisierten Menschen zur Seite. Foto: Guimouza Foto: Schwarzwälder Bote

Seehaus e. V. bietet vielfältige Angebote zur Bewältigung von prägenden Erlebnissen

Manche Dinge im Leben lassen einen nicht mehr los. Menschen mit schwerwiegenden Erfahrungen finden beim Seehaus e.V. offene Ohren und helfende Hände. Jetzt auch in Nagold.

Nagold. Gewalt hat viele Gesichter. Oft geschieht sie unerwartet und manchmal geht sie sogar von Menschen aus, denen man bis dato vertraut hat. Umso wichtiger für eine Therapie ist eine individuelle Herangehensweise auf solider Vertrauensbasis. Das weiß Christian Röhrer aus Erfahrung. Der 38-Jährige ist seines Zeichens systemischer Therapeut sowie Traumapädagoge i.A. und weiß daher mit schweren Schicksalen umzugehen. Zuvor war Röhrer zehn Jahre als Sozialarbeiter tätig und weiß folglich nur zu gut, wie wichtig Vertrauen für therapeutisches Arbeiten ist.

Röhrer ist einer von neun Mitarbeitern des Seehaus e.V., die sich der Opfer- und Traumaberatung gewidmet haben. Die insgesamt 120-Personen-starke Institution wurde ursprünglich in Leonberg gegründet, um Jugendlichen im offenen Vollzug eine Resozialisierung zu ermöglichen.

Seit Mai 2019 befindet sich mit Christian Röhrer ein Ableger der Einrichtung auch in Nagold. Hier setzt der Therapeut sich in den Räumlichkeiten des evangelischen Pfarramts mit den Schicksalen von Gewaltopfern auseinander. Deren Leidensgeschichten sind so tragisch wie vielfältig und reichen dabei von Folter bis hin zu Vergewaltigung. "Insbesondere unter Flüchtlingen sind posttraumatische Belastungsstörungen sehr häufig", weiß Röhrer zu berichten. Viele erleben dramatische Szenen in ihrer Heimat oder auf ihrem Weg nach Europa. Für andere beginnt der Albtraum vor Ort, wenn sie von vermeintlichen Helfern in die Zwangsprostitution getrieben werden.

"Psychoedukation" ist ein wichtiger Schritt

In einigen Fällen entfaltet sich das Trauma erst dann, wenn sich die Betroffenen ihre Erlebnisse in einer sicheren Umgebung vor Augen halten. Psychosomatische Störungen sind die Folge. "Nicht selten passiert es, dass ein Betroffener unter starken Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wird und die Ärzte keine körperlichen Leiden feststellen können", erklärt Röhrer. "Die wahre Ursache kommt dann meist sehr viel später zum Vorschein – wenn überhaupt."

So gehen viele ihren Leidensursachen nicht weiter nach, wenn keine physischen Befunde vorliegen. Wieder andere wollen es partout vermeiden, als "verrückt" abgestempelt zu werden. Es existieren Kulturkreise, in denen als verrückt gebrandmarkte Personen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Umso wichtiger sei es daher, den Klienten zu zeigen, dass sie sich in einem völlig natürlichen Zustand befinden.

Zwischen einer traumatischen Belastungsstörung und einer psychologischen Krankheit liegt zudem ein großer Unterschied. So gelten Traumata in der Regel als behandelbar. "Es ist normal, dass sich der Körper nach traumatischen Erfahrungen abschottet. Das muss man den Leuten beibringen", unterstreicht der Experte. Jenes Vorgehen, bei welchem man die Patienten über ihre gesundheitliche Situation aufklärt, nennt sich "Psychoedukation" und ist grundlegender Therapiebestandteil.

Laut Röhrer erfolgt eine Therapie in drei wesentlichen Schritten. In der ersten Phase wird ein Vertrauensfundament geschaffen. In einem zweiten Schritt werden die Betroffenen in entsprechenden Einrichtungen mit ihren Leiden konfrontiert. In der letzten Phase, der sogenannten Traumaintegration, geht es darum, zu lernen, mit seinem Schicksal zu leben.

"Natürlich kann man vieles nicht vergessen. Und das soll man auch gar nicht", sagt Röhrer. "Was wichtig ist, ist dass man lernt, damit umzugehen, und sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen."