Oberbürgermeister Jürgen Großmann (links) ehrte beim Neujahrsessen des Gemeinderats den langjährigen SPD-Fraktionschef Rainer Schmid. Foto: Buckenmaier Foto: Schwarzwälder Bote

Neujahrsessen: OB würdigt Rainer Schmid und ruft in Sachen Absetzgelände die "Stunde der Strategen" aus

Nagold. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten auf unterschiedlichstem Terrain die Klingen gekreuzt: anfangs auf Parteiebene, später als Anwälte vor Gericht und schließlich im Stadtparlament. Und zwischen ihre politische Gesinnung mögen auch "ganze Leitzordner von Papier" passen, wie Nagolds CDU-OB Jürgen Großmann launig über Rainer Schmid befindet, als langjähriger SPD-Fraktionschef im Stadtrat quasi die politische Antipode zum konservativen Rathauschef. Aber die gegenseitige persönliche Wertschätzung besteht über alle politischen Gräben hinweg, wie beim Neujahrsessen des Gemeinderats deutlich wurde.

Es ist eine alte Tradition in Nagold, dass all jene, die die Geschicke der Stadt lenken – Stadtobere, die führenden Rathausmitarbeiter, Ortsvorsteher und die Damen und Herren Gemeinderäte samt Partnern, Anfang des Jahres an einer festlichen Tafel zusammensitzen. Weil das Traditionslokal "Alte Post" derzeit nicht zur Verfügung steht, tagte die nahezu 90-köpfige Runde erstmals in unmittelbarerer Nachbarschaft zum Rathaus, im "Adler". Dort, bei bodenständiger Küche aus Flädlessuppe und Rinderbraten, nutzte Jürgen Großmann nicht nur – wie jedes Jahr – die Gelegenheit zu einem statistischen Ausflug in die Sitzungsökonomie des Stadtparlaments, sondern eben auch, um Rainer Schmid (72) zu ehren, der von 2004 bis Ende 2018 die Fraktion der SPD im Gemeinderat führte und diese Position vor wenigen Monaten an die nächste Generation weitergab. Großmann würdigte Schmids kommunalpolitisches Wirken und auch die über Jahre gewachsene vertrauensvolle Zusammenarbeit: "Das war eine gute Zeit für die Stadt, und das hängt auch mit Ihrer Arbeit zusammen." Wobei sich der OB einen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: Dass Schmid den längsten Teil seiner Amtszeit unter einem CDU-Stadtoberhaupt verbracht habe, "das hat Ihnen ganz offensichtlich gut getan".

Als Geschenk übergab der Berlin-Kenner Großmann dem bei der nächsten Kommunalwahl nicht mehr antretenden Sozialdemokraten einen alten Stahlstich von dem Juristen-Szenelokal "Zur letzten Instanz" in der Hauptstadt, das auch der Anwalt Rainer Schmid bestens kennt, sogar aus Zeiten, als die Mauer noch stand. Weil die originale Rahmung des Stichs noch DDR-Charme versprüht, gab Großmann dem "klassischen Linken" Schmid noch die verbale Widmung mit: Das sei ein "Zeichen für den Untergang des Sozialismus".

"Wir werden Partner finden, die in diesen Bereichen aktiv werden"

In seinen Dank schloss das Stadtoberhaupt aber auch das ganze Gremium ein, dessen Zusammenspiel von hoher Sachlichkeit geprägt sei: "Das ist ein Vorteil für Nagold." Das gelte auch für schwierige Weichenstellungen wie bei der beabsichtigten Schließung des Gertrud-Teufel-Altenheims: "Die Zeit war reif für diese Entscheidung." Dass es im Rat "kein Taktieren, kein Verschieben" gegeben habe, "das spricht für Ihre Unabhängigkeit. Das trägt. Und das nimmt die Bevölkerung wahr", so der OB.

Bei der jüngsten Sitzung des Ältestenrates seien bereits die Weichen gestellt worden, um die entstehende Lücke im Pflegesektor wieder zu schließen. Man sei in Verhandlungen mit vier interessierten Einrichtungsträgern, denen man stadtnahe Flächen für ein neues Heim anbieten könne. Großmann: "Es gibt keinen Grund depressiv zu werden. Wir werden Partner finden, die in diesen Bereichen aktiv werden."

Auch bei einem anderen, nicht minder umstrittenen Thema, dem geplanten Absetzgelände für die Calwer Eliteeinheit KSK, gibt Großmann die Losung aus: "Uns hilft nur die Sachlichkeit." Am 27. Februar werde der erste sogenannte Scoping-Termin stattfinden, bei dem sich alle Träger dieses Projektes, von den Anrainergemeinden bis zu den Umweltverbänden, an einen Tisch setzen. Der OB ist überzeugt, dass der Bund sich nur über sachliche Kriterien lenken und leiten lasse: "Wir machen keine Taktiererei. Jetzt schlägt die Stunde der Strategen. Das halten wir alle miteinander aus."

Ganz auf Harmonie gestimmt war auch das Gedicht "Neujahrswünsche", mit dem Stadtrat Hans Stollsteimer den festlichen Abend beschloss.

Kommunalpolitisch hat Nagold damit wohl ein Alleinstellungsmerkmal. Oder wo sonst noch beginnt in einem Rathaus regelmäßig eine Ratssitzung frühmorgens um 7.30 Uhr? Wobei es sich bei dieser besagten Sitzung nicht um ein x-beliebiges Gremium handelt: Es ist Nagolds Ältestenrat, bestehend aus den Fraktionschefs und dem Stadtoberhaupt, der die frühe Morgenstund’ zur Arbeit nutzt. Maßgeblich beteiligt an der Terminierung ist Frühschwimmer Rainer Schmid, wie OB Großmann beim Neujahrsessen des Gemeinderats verriet. Eigentlich wollte man stets schon um 7 Uhr tagen, aber zu dieser Zeit schwamm der SPD-Fraktionschef noch seine Bahnen im Badepark. Also verlegte man die Sitzung kurzerhand um eine halbe Stunde nach hinten. Auch wenn Schmid im September den Fraktionsvorsitz abgab und damit aus dem Gremium ausschied – die "Schmid-Zeit" 7.30 Uhr bleibt.                          (rob)