Die abgelegten Hofdamen des Herzogs kommen auf ihrer Landpartie in Nagold vorbei. Foto: Hofmann

80 Gäste tauchen mit Stück "Romeo und Julia im Schwarzwald oder Der dreibeinige Hase" in Zeit des Rokokosd ein.

Nagold - Es ist soweit: Die Premiere des vierten Nagolder Bürgertheaters ist erfolgreich über die Bühne gegangen. Mit dem Stück "Romeo und Julia im Schwarzwald oder Der dreibeinige Hase" tauchen Zuschauer und Ensemble in die Zeit des Rokokos in Nagold ein.

Gut 80 Gäste lauschen am Donnerstagabend gespannt, als Thomas Baitinger in seiner Rolle als Eremit das Stück im Kleb eröffnet. Doch plötzlich ist ein Schuss aus Richtung Otto-Hahn-Gymnasium zu hören. Die versammelte Nagolder Bevölkerung ist in Aufregung: "Was ist denn da los? Das war doch ein Schuss!" Im Eilschritt geht es über die Brücke. Und schon ist der Zuschauer mittendrin im Bürgertheater 2018.

Der aufmerksame Beobachter kann beim Überqueren der Brücke auf der Nagold bereits einen Stocherkahn ausmachen. Er nähert sich dem Geschehen und hat mehrere prächtig gekleidete Damen an Bord.

Generell lohnt es sich während des Stücks genau hinzuschauen. Die Aufmerksamkeit wird belohnt, denn "Romeo und Julia im Schwarzwald oder Der dreibeinige Hase" wird mit viel Liebe zum Detail inszeniert. Angefangen mit den über 20 verschiedenen Schnadahüpferln, die Ulrike Dengler als Vagantin Suse zwischen den einzelnen Szenen mit ihrer Ukulele zum Besten gibt, bis hin zu der Tatsache, dass ein Großteil des Stücks am Brunnen am unteren Markt spielt. Genau dort, wo sich einst die Familien Hofacker und Zeller gegenüber wohnten – die Zellers im Gebäude der heutigen Kaffee-Oase, die Hofackers in einem inzwischen abgerissenen Haus gegenüber.

Heftiger Konflikt zwischen Nachbarn

Und um den Streit eben dieser einflussreichen Nagolder Familien geht es beim diesjährigen Bürgertheater. Denn der anfangs erwähnte Schuss traf einen Hasen, um den sich dieser heftige Streit entspinnt. Er entzweit nicht nur die beiden Nachbarn Wilhelm Friedrich Hofacker (lebhaft verkörpert von Ralf Fuhrländer) und Jacob Friedrich Zeller (überzeugend gespielt von Gaby Großhans), sondern spaltet ganz Nagold in Hasfresser und Musfresser.

Bemerkenswert dabei ist, wie es dem Ensemble gelingt, auch den Frauen dieser Zeit eine Stimme zu geben. Und das obwohl die Protagonisten des Streits natürlich Männer waren und aus dem 18. Jahrhundert nur wenig von der weiblichen Sicht der Dinge überliefert ist.

So bekommen die Zuschauer des Bürgertheaters die Möglichkeit, die Nagolder Frauen beim Zusammensitzen in der Spinnstube bei der Geißkäther zu beobachten. Bei dieser gesprächigen Nagolderin, die Dank Susanne Salvenmosers Spielfreude großen Unterhaltungswert hat, sind die Frauen unter sich. Während ihre Männer in der Wirtschaft diskutieren, besprechen sie das Geschehen in der Stadt, erzählen sich Geschichten und sprechen sich gegenseitig Mut zu.

Als Zeller wegen des Nachbarschaftsstreits für zehn Jahre ins Gefängnis muss, zeigt das Stück auch das Schicksal seiner Frau Magaretha. Den Schmerz der hochschwangeren Frau, die ihre Familie von nun an alleine durchbringen muss, macht Schauspielerin Heidi Heuser-Kawerau für die Zuschauer greifbar.

Frauen spielen entscheidende Rollen

Und auch in der zweiten Hälfte des diesjährigen Bürgertheaters spielen die Frauen entscheidende Rollen. Als Teenagerin gelingt es Maria Heinrike Hofacker, sympathisch gespielt von Eva Kawerau, die Kluft zur Nachbarsfamilie zu überbrücken – und das ausgerechnet mit einer Portion Hasenbraten. Sie und der Nachbarsjunge Christian Gottlieb Zeller kommen einander näher.

Doch erst das Eingreifen einer weiteren Frau hilft den Beiden auf die Sprünge. Diese Frau ist die Witwe Gännßle. Sie war im Nagold des 18. Jahrhunderts nachweislich die Literaturkönigin. 62 Bücher fanden sich in ihrem Besitz. Noch ungewöhnlicher im pietistischen Nagold: nur neun dieser Bücher waren mit religiösem Inhalt. Beim Rest handelte es sich um schöngeistige Literatur. Im Stück zeigt sie der jungen Maria Heinrike – diesmal beeindruckend verkörpert von Mira Hofmann – das Shakespearsche Drama "Romeo und Julia" und trägt so zu einer außergewöhnlichen Nagolder Liebesgeschichte bei.

An der haben natürlich auch die Männer ihren Anteil. Allen voran der Romeo, gespielt von Marius Weik und Paul Kawerau.

Nach gut zwei Stunden Vorstellung gibt es am Donnertagabend lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Darsteller. Da fällt es kaum auf, dass sich plötzlich zwei jubelnde russische Fußballfans unter die Zuschauer mischen. Im Premierenpublikum findet sich aber auch Oberbürgermeister Jürgen Großmann. Seine Einschätzung: "Das war ein sehr gelungener Auftakt. Ich bin beeindruckt von den herausragenden schauspielerischen Leistungen." Er ist sicher: auch das vierte Nagolder Bürgertheater trifft einen Nerv und wird viele Zuschauer begeistern. Diesem Urteil können wir uns guten Gewissens anschließen.

"Romeo und Julia im Schwarzwald oder Der dreibeinige Hase" ist noch zehn weitere Male zu sehen. Die Aufführungen am heutigen Samstag und morgigen Sonntag sind laut Kulturamtsleiter Philipp Baudouin bereits fast ausverkauft. Weitere Vorstellungen sind am 20., 21., 23. und 24. Juni, außerdem täglich vom 28. Juni bis zum 1. Juli. Einlass ist jeweils um 19 Uhr, Beginn um 19.30 Uhr. Mit Ausnahme der Vorstellungen an den Sonntagen 24. Juni und 1. Juli: Einlass ist dann um 16 Uhr, Beginn 16.30 Uhr. Start des Stationentheaters ist beim Café am Kleb. Karten (Erwachsene 21, ermäßigt 15 Euro, Abonnenten der Konzert- und Theaterreihe erhalten zwei Euro Ermäßigung) gibt es unter anderem im Rathaus-Cafe sowie in den Geschäftsstellen des Schwarzwälder Boten.