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Gert Streib verlässt Nagolder Gemeinderat nicht ohne zünftige Feier und hat jetzt mehr Zeit für Familie

Der neue Nagolder Gemeinderat ist gewählt – Gert Streib, seit 2009 parteilos für die SPD in diesem Gremium vertreten, ist nicht mehr dabei. Es sei genug gewesen, sagt der 73-Jährige. Noch einmal will er einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Mehr Familie: "Die kam manchmal schon zu kurz."

Nagold. Ein Leben für die Pflicht. Geboren in Tübingen, aufgewachsen in Mössingen, kam Gert Streib 1970 nach seinem Studium (Mathe, Geschichte) als Lehrer nach Nagold, an die damalige Grund- und Hauptschule in Hochdorf. Als diese mit der Gebietsreform in die Nagolder Schulen eingegliedert wurde, wechselte Streib an die Lembergschule – an der er 1981 erst Konrektor, ab 1994 dann Schulleiter wurde.

Im Jahr 2009 ging Streib in Pension. Und wechselte damals mehr oder weniger "nahtlos" ins Gemeinderats-Amt. "Was vielleicht ganz gut war", denn so konnte er gut "loslassen" als Schulleiter. "Sehr zum Erstaunen meiner Ehefrau", lacht Streib. Er sei immer mit sehr viel Herzblut Lehrer gewesen, stark geprägt durch Lehrerpersönlichkeiten seiner eigenen Jugend. Dass er als Sohn eines Kfz-Meisters aufs Gymnasium kam, eine akademische Laufbahn einschlagen konnte – das verdankt Streib auch diesen Lehrern, die sein Talent zu Lernen erkannten. Und förderten. "Lernen ist mir immer leicht gefallen", sagt Streib.

Aber da gibt es auch noch eine andere Seite: Den "Schulmeister Johann Wolfgang Melchinger", in dessen Rolle Gert Streib seit den Aufführungen des Bürgertheaters zur Landesgartenschau immer wieder einmal für die Nagolder Jakobiner schlüpft – gemeinsam mit seinen bisherigen Ratskollegen Klaus Drissner (Heinrich Zeller), Bernd Gorenflo (Feldschütz Rehle) und Helmut Raaf (Biersieder Christian Sauter). Er liebe es, dann "den Rebellen spielen zu dürfen, der man vielleicht einmal war". Und der Schalk blitzt auf in Streibs Augenwinkeln, wenn er von seiner eigenen Studentenzeit in Reutlingen berichtet – geprägt von der 68er-Ära. Auch er habe Autoritäten in Frage gestellt, sei dabei sicher "manchmal über’s Ziel hinausgeschossen". Streib lacht jetzt: "Ja, ich hab schon auch provoziert..."

Aber das gehöre für ihn zu einer "normalen Entwicklung" auch einfach dazu. "Das ist das Vorrecht der Jugend – das darf sie". Was er auch später als Lehrer, Pädagoge seinen eigenen Schülern immer zugestanden habe. "Ich war nie nachtragend", immer war Toleranz für Fehler da. "Ich habe die Jugendlichen stets als Menschen ernst genommen", mit ihnen auf Augenhöhe geredet und diskutiert. "Jeder durfte mich auch kritisieren". Wobei andererseits das Aufzeigen von Grenzen für ihn im Umgang mit seinen Schülern ebenfalls unbedingt dazu gehörte. Womit Gert Streib auch wieder sehr ernst wird: Seine frühesten Schüler seien heute selbst im Rentenalter; wenn er diese trifft, erfahre er manchmal Dinge, die diese bis heute intensivst beschäftigten. "Das habe ich damals gar nicht so realisiert", schimmert nun auch ein bisschen echter Schmerz durch: "Man muss dazu stehen, wenn man etwas falsch gemacht hat."

Der Schalk blitzt auf in seinen Augenwinkeln

Die sehr sensible Seite des Gert Streib. Die soziale Verantwortung. Weshalb er – ohne Parteizugehörigkeit – sich einst für die SPD in den Nagolder Gemeinderat wählen ließ. Es habe da eine "gewisse Affinität" zur Sozialdemokratie – allein schon aus seinem Elternhaus heraus – gegeben. "Inspirator" sei aber der spätere Rats-Kollege Rainer Schmid gewesen, langjähriger Fraktionssprecher der Sozialdemokraten in der Nagolder Bürgervertretung. Schmid und Streib kennen sich noch aus Schulzeiten, "Schmid war eine Klasse unter mir". Als dieser ihn 2009 fragte, ob er nicht als SPD-Kandidat für die Kommunalwahl kandidieren wolle, ließ sich Streib nicht lange bitten: "Eben diese soziale Verantwortung, auch die Demokratisierung der Bildung – das waren ja meine Themen". Schon im Elternhaus wurde "lebendig politisch diskutiert", der Heimatort – und damit Kindheit und Jugend – war (auch) durch den "Mössinger Generalstreik", den einzigen Arbeiteraufstand in Deutschland gegen die Machtergreifung Adolf Hitlers, geprägt. "Das war immer sehr gegenwärtig dort", das Beispiel des zivilen Ungehorsams. Was auch einen gewissen Einfluss auf die spätere Wahl seiner Studienfächer haben sollte – neben Mathe eben Geschichte, als Lehrfach.

Der Gedanke gefiel Streib – nach der Lehrerlaufbahn noch einmal neu Verantwortung übernehmen. "Etwas bewegen". Seine Erfahrungen einbringen zum Wohle der Allgemeinheit. Natürlich immer mit einem besonderen Blick auf die Schulen der Stadt: "Nagold ist ein wichtiger Bildungsstandort", dafür habe er sich vor allem als Stadtrat einsetzen wollen. Allerdings sei es "wirklich absolut" Zufall, dass in seine zehn Jahre im Gemeinderat ziemlich exakt die Sanierung seiner ehemaligen Wirkungsstätte, der Lembergschule, gefallen sei. Aber "mit Genugtuung" registriere er schon – "bei allen Defiziten" – dass die Bildung und die Schulen in Nagold auch ganz allgemein in den Gremien der Stadt "einen sehr hohen Stellenwert" genießen. Auch wenn hier künftigen Generationen von Stadträten die Aufgaben "sicher nicht ausgehen werden".

Bei den Jakobinern will er weitermachen

Und er selbst? Er wolle sich jetzt mehr um seine Garten kümmern. Mit Ehefrau Irmgard auf Reisen gehen – gerade erst sei man in der Pfalz zum Wandern gewesen, im Herbst wollen sie "die ewige Stadt Rom" besuchen. Auch bei den Jakobinern wolle er "unbedingt weitermachen", und sich ansonsten mehr um Freunde, auch um jene aus der Tübinger Zeit, kümmern. "Ich spiele für meinen Leben gerne Karten", erzählt Streib - "Skat natürlich". Und einige Feiern seien vorzubereiten: Der Abschied aus dem Gemeinderat werde "sicher nicht ohne Feier" funktionieren. Und im nächsten Jahr stehe dann für seine Frau und ihn die Goldene Hochzeit an. "Eigentlich habe ich gar keine Zeit mehr für Gemeinderat", lacht Streib wieder – mit diesem schelmischen Blick im Augenwinkel. Um dann irgendwie aus tiefsten Herzen zu ergänzen: "Aber ich hab’s unglaublich gerne gemacht".