Viele warme Worte gab es bei der Vesperkirche. Foto: sb

Vesperkirche: Eröffnungsgottesdienst mit besinnlichen Worten, emotionaler Musik und Gemeinschaftsgefühl.

Nagold - Barmherzigkeitshaus und Engelherberge – das waren Bezeichnungen, die der evangelische Dekan Ralf Albrecht beim Eröffnungsgottesdienst der dritten Vesperkirche wählte. Bei diesen warmen Worten in besonderer Atmosphäre verdrückte so mancher auch eine Träne.

Es scheint ein ganz normaler Sonntag zu sein – Menschen, die sich gern haben, sitzen gemeinsam am Tisch. Mancher konzentriert sich aufs Essen, mancher ist angeregt ins Gespräch vertieft. Doch etwas ist besonders: Mit am Tisch sitzen Fremde sowie ein ganz besonderer Gast: Gott. Ebendieser solle jedem Trost spenden, denn "Alt oder Jung, Arm oder Reich – sie alle sind bedürftig auf die ein oder andere Art", begann der Dekan seine Begrüßung beim Gottesdienst in der evangelischen Stadtkirche Nagold. In seiner Predigt hob er besonders die Vorzüge der Vesperkirche hervor, laut seinen Worten ein Gottesort.

So erzählte er eine Geschichte aus dem Buch Mose, in der drei Männer unangekündigt auftauchen und Abraham ihnen extra ein Kalb schlachtet. Das sei ein Vorbild für die Vesperkirche, erklärte Albrecht. "Wir sind jetzt in einem Barmherzigkeitshaus. Hier wird nicht gefragt ›Ja wo kommet ihr denn her‹", sagte er. Abraham müsse zudem der erste Schwabe gewesen sein, denn er habe zunächst bescheiden von einem Bissen Brot gesprochen und dann ein ganzes Kalb aufgetischt, scherzte der Dekan.

Bei der Barmherzigkeit gehe es aber nicht nur um die Mahlzeit an sich, sondern ebenso um den Weg rund um das Essen: Wer kommt in die Vesperkirche und welche Reise hat er hinter oder noch vor sich? "Kommen Sie ins Gespräch. Ja, es kann nervig werden, aber Hauptsache es ist nicht harmlos, sondern außerordentlich", appellierte er an die Besucher. Die Vesperkirche sei nämlich außerdem eine Engelsherberge und es bestehe die Möglichkeit, einem solchen Engel in Zivil hier zu begegnen.

Albrechts Worte verliehen der ohnehin schon feierlichen Atmosphäre in der Nagolder Stadtkirche noch einen Hauch von innerer Einkehr. Der Engelsmetapher bediente sich auch Marlis Katz von der evangelisch-methodistischen Kirche. Wenn sie die gelben Schürzen sehe, müsse sie auch an Engel denken. Allerdings nicht an den ADAC, sondern an die rund 250 Helfer der Vesperkirche.

Auch der Schirmherr, Oberbürgermeister Jürgen Großmann, fand besinnliche Worte. Obgleich man tagtäglich mit vielen Menschen zusammen sei, könne man sich einsam fühlen. Umso schöner sei die Vesperkirche – ein Ort der menschlichen Nähe, der Hilfe, Gastfreundschaft und Begegnung. Veronika Rais-Wehrstein bereicherte den Gottesdienst indes mit einer Schriftlesung aus dem ersten Korintherbrief.

Die musikalische Untermalung des Gottesdienstes übernahmen Claudia Wehrstein mit engelsgleichem Gesang, der Pianist Frieder Egri und Eva-Magdalena Ammer an der Orgel.

Spätestens als Wehrstein zu ihrem selbst komponierten Lied "Ein Stück Gerechtigkeit an Gottes Tisch" ansetzte, war ein jeder der rund 200 Besucher des Gottesdienstes von der besonderen Atmosphäre berührt. Da floss auch die ein oder andere Träne ob der schönen Melodie. Mit dem Lied hatte die Sängerin ihre Emotionen der vergangenen Vesperkirche als musikalischen Dank vertont.

Anschließend ging man zum geselligen Teil über. Als Auftaktspeisen gab es Rinderkraftbrühe, Schweinebraten mit Rotkohl und Semmelknödeln oder Käsespätzle – alles jeweils für nur einen Euro. Drum hörte man bald das Klappern von Besteck, gepaart mit dem Murmeln der Gäste, die vielleicht gerade neue Kontakte knüpften. Der einzigartige Moment eines gewohnten Vespers mit fremden Menschen in festlicher Umgebung konnte die Besucher auch in diesem Jahr wieder verzaubern.