Maike (von links), Ilga und Tanja werden ihren Vortrag bei der Konfirmation gemeinsam halten. Foto: Armbruster Foto: Schwarzwälder-Bote

Maike ist autistisch, doch dass sie an der Konfirmation teilnimmt, ist in der Hochdorfer Gemeinde selbstverständlich

Von Ina Armbruster Nagold-Hochdorf. Maike packt ihren Ordner aus, legt ihn auf den Tisch. Sie schlägt eine Seite mit einem roten Din A5–Zettel auf. Immer wieder tippt Maike auf den Zettel. Vielleicht gefällt ihr der rote Zettel besonders gut. Für Außenstehende ist es schwer festzustellen, was dem autistischen Mädchen gefällt. Maike selbst kann es nicht sagen.

Sie ist fast 14 Jahre alt und hat bald einen großen Tag vor sich – ihre Konfirmation. Im Konfi-Unterricht dreht sich gerade alles um die Texte, die die Jugendlichen in der Kirche vortragen wollen. Acht Mädchen diskutieren angeregt, wie sie ihre Sätze besser formulieren können, Pfarrer Fabian Keller gibt ihnen Tipps.

Maike wippt unentwegt auf ihrem Stuhl auf und ab, macht hin wieder Geräusche. Manchmal hält sie kurz inne, grinst. Als sie hört, dass Pfarrer Keller über die "Bepper" spricht, spitzt sie die Ohren, deutet auf den Ordner, den Keller an seinem Platz liegen hat. Da sind die "Bepper" drin – die Aufkleber, die die Konfirmanden für den Besuch von Gottesdiensten bekommen. Maike hat die Aufkleber fleißig gesammelt.

"Man sollte Maike nicht unterschätzen"

Seit Juni vergangenen Jahres geht sie in den Konfirmationsunterricht und war seitdem auch fast immer im Gottesdienst. "Es kann gut sein, dass Maike unsere Bepper-Königin wird", sagt Keller. Aber heute, im Unterricht, wartet Maike vergeblich auf den Aufkleber.

Maike hat den so genannten frühkindlichen Autismus, eine Entwicklungsstörung. Sie nimmt Dinge anders wahr als andere Menschen, kommuniziert kaum. "Maikes Cousine ist vergangenes Jahr konfirmiert worden. Ich habe Maike gefragt, ob sie weiß, was das ist und ob sie das auch mitmachen möchte", erklärt die Mutter Elke Geier. Maike wollte.

Dass Maike am Unterricht teilnehmen darf, war für Fabian Keller selbstverständlich – "auch wenn wir uns am Anfang noch nicht sicher waren, ob und wie das geht." Doch es geht. Sie ist das erste behinderte Kind, das Keller konfirmiert.

Als Maike erstmals zu den Gottesdiensten gekommen ist, seien einige Gemeindemitglieder skeptisch gewesen, erzählt Keller. "Sie ist ja schon unruhig" hieß es. Doch die Kommentare haben sich gelegt. "Maike wird im Laufe des Gottesdienstes auch meist ruhig. Mir fällt sie nach den ersten fünf Minuten gar nicht mehr auf", sagt Keller.

Mit den Mädchen aus ihrer Gruppe gab es keine Probleme. Kein Auslachen, keine blöden Kommentare. "Maike wird von den Mädchen akzeptiert. Ich finde es gut, dass sie jemanden kennenlernen, der anders ist. Sie lernen, Menschen zu hinterfragen", sagt Angelika Bertsch, die Maike im Konfi-Unterricht betreut.

"Man sollte Maike nicht unterschätzen. Man denkt, sie bekommt nichts mit, aber das ist nicht so", haben Ilga und Tanja festgestellt. Sie werden ihren Vortrag beim Festgottesdienst gemeinsam mit Maike präsentieren. Da Maike nicht redet, besteht ihr Beitrag aus einem Text, der von einem Sprachprogramm am Computer vorgetragen wird. Den hat sie zu Hause abgetippt.

"Ich glaube, dass sie schon recht früh lesen konnte"

Das kann sie, wenn ihre Mutter sie unterstützt, leicht ihren Ellenbogen hält. So hat sie ihrer Mutter auch mitgeteilt, dass sie konfirmiert werden will. "Sie hat geschrieben, dass sie mal ein bißchen so sein will wie andere Kinder, ein bißchen normal", erzählt ihre Mutter. "Ich glaube, dass Maike schon recht früh lesen konnte." Überprüfen lässt sich das kaum, schließlich kann Maike nicht vorlesen. "Aber sie konnte schon als Kind beispielsweise im Supermarkt so viele Produkte auseinander halten, dass sie dafür schon lesen können musste", sagt ihre Mutter.

Maike hat ihre eigenen Kommunikationswege. Auf die Frage, ob sie am Tag der Konfirmation auch eine weiße Rose haben will, tippt sie sich an die Nase. "Das heißt ja", wissen die anderen Mädchen. Wenn Betreuerin Angelika Bertsch Maike mit der Hand berühren will, schiebt sie die Hand oft wieder weg – ein typisches Phänomen bei Autisten. Und doch sucht sie kurz darauf selbst den Körperkontakt, streichelt Bertsch die Wange oder legt den Kopf an ihre Schulter.

Was in Maikes Kopf vorgeht, bleibt rätselhaft. Doch der regelmäßige Unterricht und der Kirchgang scheinen ihr zu gefallen. "Ich habe den Eindruck, sie hat eine Art innerer Uhr. Sie weiß bei den regelmäßigen Terminen immer, wann es losgeht und will früh genug da sein", sagt Bertsch. Wenn sie etwas nicht will, merkt man das auch. Stillsitzen, um fotografiert zu werden – das ist gar nicht Maikes Sache. Aber Fotos von ihrer Konfirmation soll es natürlich trotzdem geben. Schließlich ist es ein besonderer Tag für alle Konfirmanden – egal ob behindert oder nicht.

Unter dem Begriff "frühkindlicher Autismus" versteht man eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den ersten drei Lebensjahren erstmalig in Erscheinung tritt. Wesentliche Merkmale sind eine veränderte Wahrnehmung, eine Beeinträchtigung der gesamten Kommunikation, eine Störung des Sozialverhaltens sowie eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster. Von Kind zu Kind kann sich die Ausprägung des frühkindlichen Autismus unterscheiden, es kommt zu individuell verschiedenen Auswirkungen und Verhaltensweisen. Auf 100 000 Kinder kommen etwa vier bis fünf mit frühkindlichem Autismus. Autistische Kinder haben oft Störungen in den Sinnesbereichen Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Tasten. Eindrücke werden im Hirn anders verarbeitet als bei anderen Menschen. Das Hauptsymptom ist die Abkapselung von der menschlichen Umwelt. Babys antworten dem Blick der Mutter nicht mit einem Lächeln, strecken ihr die Arme nicht entgegen. Auch später zeigen die Kinder kein Interesse an anderen Kindern, Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Sie äußern ihre Gefühle kaum und zeigen wenig Zuneigung oder Zärtlichkeit für andere Menschen. Zwingt man den Kindern aber Zärtlichkeiten oder Körperkontakt auf, kann es zu starken Abwehrreaktionen kommen. Quellen:www.autismus-web.de und www.intakt.de