Horst Linde, der Architekt, Hochschullehrer und frühere Leiter der Staatlichen Bauverwaltung des Landes Baden-Württemberg, ist tot.
Stuttgart - Für Stuttgart war Horst Lindes Berufung ein Glücksfall.“ Das schrieb 2012 der in diesem Jahr verstorbene Architekt und ehemalige Bundestagsabgeordnete Peter Conradi in einer Würdigung zum hundertsten Geburtstag des früheren Leiters der staatlichen Hochbauverwaltung und Stuttgarter Hochschullehrers in der „Stuttgarter Zeitung“. Nun ist, wie jetzt erst bekannt wurde, auch der große Planer, dem das Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt in ihrer baulichen Entwicklung der Nachkriegszeit so viel wie kaum einem anderen zu verdanken haben, am Samstag in seinem Haus in Freiburg gestorben. Bis zu seinem Tod im wahrhaft biblischen Alter von 104 Jahren war Horst Linde ein wacher, interessierter Kopf. Fast bis zuletzt hat er regen und oft kritischen Anteil am Baugeschehen seiner Heimat genommen, in Briefen und Gesprächen mit Freunden und einstigen Kollegen kommentiert und reflektiert, was sich in Architektur und Städtebau des Südwestens so tat. Einen „großen Beweger und Bewirker“ hat ihn der 1999 gestorbene Stuttgarter Architekt Rolf Gutbrod einmal genannt.
Geboren wurde Linde am 6. April 1912 in Heidelberg. Schon als Architekturstudent an der TH Karlsruhe gewann er seinen ersten Wettbewerb – für einen Aussichtsturm in Triberg. Richtig Fahrt nahm seine Karriere dann nach dem Krieg auf. Er wurde zum Leiter des Wiederaufbaus der Universität Freiburg berufen und übernahm bald schon die Leitung der staatlichen Bauverwaltung Südbaden und, 1957 schließlich, auch die Leitung der Staatlichen Bauverwaltung des Landes Baden-Württemberg. Vier Jahre später folgte der Ruf an die damalige Technische Hochschule (und heutige Universität) Stuttgart als Professor und Direktor des Instituts für Hochschulbau. Mehr als ein Jahrzehnt hat diese Personalunion von Hochschullehrer und Leiter einer Bauverwaltung zu einem ungewöhnlichen und ungewöhnlich erfolgreichen Zusammenwirken von Forschung und Lehre mit den öffentlichen Bauaufgaben geführt.
In seiner Amtszeit war er für den Ausbau und Neubau von neun Universitäten verantwortlich, darunter Freiburg, Heidelberg und Tübingen, die Technischen Hochschulen in Stuttgart und Karlsruhe, später auch die neuen Hochschulen in Konstanz und Ulm, dazu Hohenheim und zahlreiche Fachhochschulen. Der Versuch, die Grundlagen des Hochschulbaus durch wissenschaftliche Bestandsaufnahmen, Bedarfsanalysen und Richtlinien zu systematisieren, mündete in dem vierbändigen Standardwerk „Hochschulplanung“. Die badenwürttembergische Hochschulplanung, resümierte nachmals Peter Conradi, wurde unter Lindes Ägide „beispielgebend in Westdeutschland“.
Wo es sein musste, konnte er auch ein Verhinderer sein
Entscheidenden Anteil hatte Linde auch an der baulichen Neuordnung des Stuttgarter Zentrums. Unter seiner konzeptionellen Leitung entstanden die Neubauten des Stuttgarter Landtags, des Staatsarchivs und der Landesbibliothek, des Staatstheaters und des Kunstgebäudes. Mit dem befreundeten Landschaftsarchitekten Walter Rossow entwickelte er für die Bundesgartenschau 1961 die Neugestaltung der Schlossgartenanlagen. Und wo es sein musste, konnte der oberste Chef der Baubehörde auch ein Verhinderer sein. So war er entschieden dagegen, die Kriegsruine des Neuen Schlosses abzureißen, und an ihm scheiterte auch der finstere Plan der Stadt Stuttgart, die Konrad-Adenauer-Straße mit einer vierspurigen Hochstraße zu überbauen.
Horst Lindes Einfluss reichte weit über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus. Die internationale Anerkennung, die er als Berater und Preisrichter genoss, schlug sich auch in zahlreichen Preisen, Ehrungen, Ehrenmitgliedschaften und der Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg nieder. Was Weggefährten jedoch am meisten an ihm schätzten, war neben seiner Fachkompetenz seine intellektuelle Offenheit und seine Begeisterung für große Ideen. Noch einmal Peter Conradi: „Er leitete die Bauverwaltung als Architekt mit der Maßgabe, gute Bauten für den Staat zu errichten. Die Bürokratie habe diesem Ziel zu dienen – anders als viele Bauverwaltungen heute, in denen Juristen das Sagen haben und meinen, es käme vor allem darauf an, das schreckliche Gestrüpp der Vorschriften und Richtlinien einzuhalten.“ Es bleibt die Hoffnung, dass der Linde’sche Geist nicht in Vergessenheit gerät.