Lichtgestalt des Fußballs: Franz Beckenbauer Foto: dpa/Tobias Hase

Franz Beckenbauer, der bedeutendste Fußballer Deutschlands, ist im Alter von 78 gestorben. Er wurde Weltmeister als Spieler und Weltmeister als Trainer. Aber vor allem war er eine Respektsperson und ein glänzender Unterhalter.

Am 28. November 1989 hatte Franz Beckenbauer einen Termin mit Alfred Herrhausen, dem Chef der Deutschen Bank. Doch der Flug des Fußballers fiel wegen eines Unwetters aus, und er hat Herrhausen nie getroffen – denn zwei Tage später wurde der von RAF-Terroristen ermordet.

Das Schlüsselerlebnis

„Ein Mann steigt morgens in sein Auto, wird eine kurze Strecke gefahren, es gibt eine Explosion – und ein Mensch ist nicht mehr.“ So hat Beckenbauer versucht, seine Fassungslosigkeit zu beschreiben. Und wie ihn dieses Schlüsselerlebnis dazu brachte, über Tod und Seelenwanderung nachzudenken. In seinen Lebenserinnerungen „Ich. Wie es wirklich war“ steht, wie er sich das eigene Ende wünschte: „Ich wäre froh, wenn es kein Sekunden-Tod ist, kein Infarkt, kein Unfall, sondern ein bewusster Abschied. Und wenn er denn mit Schmerzen verbunden wäre, dann würde ich sie auch ertragen wollen. Ich wünsche mir einen bewussten Tod, um mich darauf vorbereiten zu können, dass meine Seele meinen Körper verlässt und in einer anderen Form wiederkehrt.“

Wir erzählen diese Geschichte, weil sie der Trauer etwas Tröstliches gibt – so wie auch jenes Interview, in dem Beckenbauer einmal gefragt wurde: „Haben Sie Angst vor dem Tod?“ – „Nein“, antwortete er, „du musst den Tod als Freund begreifen, der dich in ein anderes Leben begleitet.“ Wir wissen nicht, wie sein neues Leben aussieht. Aber das alte kennen wir.

Es war ein großes Leben. Es war so groß, dass jetzt die Nachricht vom Tod Franz Beckenbauers die Älteren unter uns leiden lässt, als ob ein naher Verwandter gestorben ist. Er war Kaiser Franz, der letzte deutsche Kaiser, unser gekröntes Haupt, der Herrscher über Fußball und Fußvolk, unsere erste und letzte Instanz. „Beckenbauer ist so mächtig“, sagte einmal der Aktionskünstler André Heller (Zirkus Roncalli), „dass er sogar Regierungen stürzen könnte.“ In einem TV-Talk erzählte der Wiener, wie ihn ein Bub einmal um 32 Autogramme bat. „Wieso 32?“, stutzte Heller. „Ich brauche sie zum Tauschen“, verriet ihm der Bub, „für 32 von Ihnen gibt’s eines vom Beckenbauer.“

Der Zauberer

Ein halbes Jahrhundert lang fragten sich viele: Würde ohne diesen Franzdampf an allen Fronten in Deutschland überhaupt Fußball gespielt? Als Ballzauberer, Trainer und Präsident machte Beckenbauer den FC Bayern zum deutschen Vorzeigeclub. Als Libero (1974) und Teamchef (1990) holte er den WM-Titel, als Sommermärchenchef (2006) die WM ins Land. Als Filmstar („Libero“) und Schlagersänger („Gute Freunde kann niemand trennen“) hat er sich früh der Unterhaltung gewidmet und die Hitparade gestürmt, als PR-Ikone die Wirtschaft angekurbelt und im Werbefernsehen als lachender Suppenkasper („Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“) die Herzen der Hausfrauen geknackt. Und als TV-Experte und „Bild“-Kolumnist erklärte er uns den Fußball, aus dem Fußgelenk, ohne quälerisch lange zu überlegen – jetzt red i, sagte der Franz und packte, wenn’s pressierte, notfalls seine zwei zündendsten Argumente aus, „Schmarrn“ und „Schaun mer mal“.

Das große Leben begann am 11. September 1945. So ein 11. September kann, wie wir heute wissen, die Welt erschüttern, aber damals war es ein guter Tag, denn in München-Giesing wurde ein junger Held geboren. Deutschland lag in Trümmern, war von der Welt geächtet, und frische Helden und Wunder wurden dringend gebraucht. Herbergers Helden fingen 1954 an mit ihrem Wunder von Bern, das Wirtschaftswunder folgte, und die Wunderstute Halla trug ihren Reiter Hans-Günter Winkler, der mit einem Sehnenriss ohnmächtig im Sattel hing, 1956 zum Gold. Dann brauchten wir nur noch einen, der Fußball spielen konnte wie Pelé, zumindest so, dass der Rest der Welt nicht mehr an Panzer dachte. Das war der Franz mit seiner Eleganz.

Krönung auf Schalke

Zur Kaiserkrönung kam es bei einem Bayern-Spiel anno 1969 auf Schalke. Das Publikum pfiff ihn aus, weil er den Liebling der Knappen Stan Libuda malträtiert hatte – worauf Beckenbauer provokativ fast eine Minute lang mit dem Ball jonglierte und das Stadion in den Wahnsinn trieb. Weil Libuda als „König von Westfalen“ galt, gab es nur eine Steigerung: der Franz war fortan der Kaiser. Das Volk lag ihm zu Füßen wie der Ball – beides ist festgehalten im Kinofilm „Libero“, in dem er sich 1973 selbst spielte.

Der Libero war „der freie Mann“, und Beckenbauer hat ihn erfunden. Das sah dann so aus: Als letzter Mann der Abwehr jonglierte er dem gegnerischen Torjäger lässig den Ball vom Fuß, einer inneren Eingebung folgend löste er sich umgehend aus den Fesseln der Defensive, leichtfüßig überbrückte er die Tiefe des Raums, auf Höhe des Anspielkreises ging ein Raunen durchs Stadion, die Gegner wischten sich den Panikschweiß von der Stirn, die Radioreporter sprangen im Rahmen der Konferenzschaltung elektrisiert auf („Sofort nach München, der Kaiser überschreitet die Mittellinie!“), dann noch ein kurzer Doppelpass mit Gerd Müller, und der Franz krönte den Vorstoß mit seinem Schlenzer in den Winkel. Hans-Georg („Katsche“) Schwarzenbeck, der als Vorstopper der Putzer vom Kaiser war, sagte todtraurig: „Jeden Tag im Training will i vom Franz was abschauen – aber i kriegs ned hin.“ Deshalb hat das „Sportstudio“ immer lieber den Franz eingeladen: Sie mussten nur ein Brett aufstellen, zwei Löcher hineinsägen – und er hat den Ball geschwind versenkt, mit dem Außenrist.

Sein ganzes Leben war Außenrist. Da verknüpfte einer die Leichtigkeit seines Spiels mit der Leichtigkeit des Seins, und augenzwinkernd nahm das Kaiserreich hin, dass der fesche Franz auch in puncto Libido ein frei laufender Libero war. Mit 17 war er erstmals Vater geworden, und als er auf einer Weihnachtsfeier des FC Bayern später erfolgreich eine Sekretärin der Geschäftsstelle beglückte, sagte er: „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“ Ach, unser wilder Kaiser, was haben wir uns auf die Schenkel geklopft. Und genickt, wenn er sich die EU zur Brust nahm („In Brüssel sitzen nur gescheiterte Existenzen, die von ihren Regierungen davongejagt wurden – der größte Nietenverein Europas“). Alles ließen wir dem Franz durch, sogar ein papageibuntes Vogelscheuchen-Sakko an seinem 30. Geburtstag, eine wüste Schiedsrichterbeleidigung („Du Plattfußindianer!“), vier Eigentore sowie drei Ehen – die erste ging zu Ende, als er mit der „Bild“-Fotografin Diana Sandmann nach New York durchbrannte, wo er dann mit Pelé für Cosmos kickte.

Vor dem Finanzamt geflüchtet

Es hieß damals, er sei auch vor dem Finanzamt geflüchtet, das sein kreatives Steuersparmodell in der Schweiz beanstandete und ihm eine millionenschwere Nachzahlung aufbrummte. Auch beim FC Bayern fühlte er sich zu der Zeit etwas unwohl. Später beschrieb er eine „verschwörerische Allianz“, die Trainer Udo Lattek mit den Jungspunden Uli Hoeneß und Paul Breitner gegen ihn aufzog: „Die Luft hatte plötzlich einen giftigen Geruch. Ich fühlte mich wie in einem Rudel von Wölfen.“ Hoeneß musste irgendwann ins Gefängnis – der Fußballgott bestrafte jeden, der sich am Franz versündigt. Der Allmächtige hat nie den ästhetischen Genuss des kaiserlichen Ballzaubers vergessen, am wenigsten das „Ramba-Zamba“ bei der EM 1972. Ramba war der Libero Beckenbauer, Zamba war der Spielmacher Netzer – und das Weltblatt „L’Equipe“ schwärmte ergriffen vom „Fußball des nächsten Jahrtausends“.

Wo immer Beckenbauer auftauchte, starrte alle Welt hingerissen auf den Leuchtschweif der Lichtgestalt, justierte die Kameralampen, richtete die Mikrofone aus und eilte zum Telefon, um seine Machtworte um den Erdball zu schicken – der Trainerguru Otto Rehhagel spürte: „Wenn der Franz behauptet, dass der Ball sechseckig ist, jubeln alle: Endlich hat es mal einer gesagt.“ Das Glück schien ihm in den Schoß zu fallen.

Schatten über der Lichtgestalt

Bis 2014. Wie aus dem Nichts legten sich jähe Schatten über die Lichtgestalt. Das Denkmal begann auf dem Sockel zu wanken, als gefragt wurde: Wie war das beim deutschen „Sommermärchen“ 2006, ist fragwürdiges Geld geflossen? Noch einmal war seine Antwort ein Schlenzer mit dem Außenrist. „Ich hab alles blind unterschrieben.“ Der Leitartikler des Fachblatts „Kicker“ brachte uns Deutschen danach schonend bei: „Das Kaiserreich ist zu Ende.“

Im Exil in Österreich hat sich Beckenbauer zurückgezogen, man sah ihn immer seltener in der Öffentlichkeit. Nicht nur die Vorwürfe und Verdächtigungen machten ihm das Leben schwer, sondern auch eine komplizierte Herzoperation. Und eine familiäre Tragödie: 2015 starb Sohn Stephan an einem Gehirntumor, mit 46. In der Traueranzeige stand der alte Leitspruch des Vaters: „Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“

Die Ruhe gefunden

Franz Beckenbauer hat seine Ruhe gefunden in dem, was er schon in seiner frühen Biografie so beschrieb: „Ich glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, in einer anderen Existenz.“ Auch in seiner alten wäre er uns wieder willkommen – als Kaiser, Lichtgestalt oder einfach Franz.