Der neue Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Foto: Leif Piechowski

Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK), hat ein klares Bild von einem grünen OB.

StuttgartAndreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK), hat ein klares Bild von einem grünen OB.

Herr Richter, was war Ihr erster Gedanke, als klar war, dass Fritz Kuhn, ein Grüner, der nächste Stuttgarter Oberbürgermeister wird?
Mein erster Gedanke war: Gut, dass der Wahlkampf nun ein Ende hat. Gerade die letzten zwei Wochen waren sehr konfrontativ. Ich beziehe das nicht auf die Kandidaten, sondern auf den sehr rüden Umgang der beiden Lager miteinander. Das entspricht nicht dem Wesen dieser Stadt. Hier muss der kommende Oberbürgermeister dafür sorgen, dass wieder mehr Besonnenheit einkehrt.


Hat Herr Kuhn als Teil des linken Lagers überhaupt eine Chance, in Stuttgart Besonnenheit zu stiften?
Ich kann die Zweifel, die in Ihrer Frage durchklingen, verstehen. Entscheidend ist, ob es ihm gelingt, bei den Fragen, die anstehen, Lösungen und Kompromisse zu finden. Ein Beispiel: Herr Kuhn hat beim Thema Verkehrspolitik bestimmte Vorstellungen. Es gibt aber auf der anderen Seite die Unternehmen, die Arbeitsplätze bieten und Steuern zahlen. Die brauchen Verkehr, um ihr Geschäft betreiben zu können.

Sie fürchten die City-Maut.
Nein. Herr Kuhn hat sich klar gegen die City-Maut positioniert, das nehme ich ihm ab. Das Problem ist ein anderes. Erhalt und Ausbau von Straßen ist ohne zusätzliches Geld nicht mehr realisierbar. Und auch beim ÖPNV gibt es spätestens ab 2019 kein Geld mehr vom Bund. Wir müssen also über neue Konzepte der Finanzierung sprechen. Das sieht auch der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann so.

Die IHK und ein grüner Minister sind sich einig, dass es eine wie auch immer geartete Pkw-Maut geben muss?
Ja.

Wie könnte die aussehen?
Abgesehen vom Datenschutz, der noch ein Problem darstellt: Egal wo ich fahre – ich muss deutschlandweit etwas dafür bezahlen. Aber es muss sichergestellt sein, dass in Stuttgart eingenommenes Geld auch in Stuttgart ausgegeben wird und dass der Staat seine bisherigen Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur nicht reduziert.

Hier kommt dann der Stuttgarter Oberbürgermeister ins Spiel.
Herr Kuhn hat, was den regionalen Verkehr angeht – Straße und öffentlicher Nahverkehr –, eine entscheidende Funktion, gemeinsam mit dem Verband der Region, den anderen Kommunen und der Landesregierung. Findet man keine Antworten, wird es Unternehmen geben, die die Konsequenzen ziehen.

Betriebe werden die Region verlassen?
Verlagerungstendenzen gab es bisher meist von Stuttgart in die Region. Das Verkehrsproblem ist dabei einer von vielen Punkten wie Fachkräftemangel oder Gewerbesteuern. Aber die gewünschte Urbanität in den Stadtquartieren wird auch durch Dienstleistung und Gewerbe geschaffen. Ob das Parkraummanagement, das Herr Kuhn auf andere Stadtbezirke ausdehnen will, der richtige Ansatz ist, wage ich zu bezweifeln, denn die kleinen Betriebe werden damit aus den Vierteln vertrieben. Das will eigentlich niemand.

„Auch die IHK wird gerne gleichgesetzt mit schwarzem Filz“

Fritz Kuhn und sein Gegner Sebastian Turner vertraten im Wahlkampf auf vielen Gebieten ähnliche Ansichten. Kontrovers wurde es immer, wenn es um Bildung ging. War mit dem Thema Wirtschaft bei den Wählern wenig zu gewinnen, weil die meisten einen Job haben?
Beide Kandidaten haben das Thema zunächst gemieden. Wir haben leider derzeit eine Grundstimmung, dass derjenige, der sich für die Wirtschaft einsetzt, von vorneherein verdächtig ist. Auch die IHK wird gerne gleichgesetzt mit schwarzem Filz. Weder Präsident noch Hauptgeschäftsführer aber haben ein Parteibuch. Wir äußern uns zu Positionen, nicht zu Parteien und Personen.

Zurück zur Region Stuttgart. Sie haben immer bemängelt, dass der scheidende OB Wolfgang Schuster wenig für den Verband Region Stuttgart übrig hatte. Wird Fritz Kuhn das ändern?
Der Stuttgarter Oberbürgermeister könnte zugleich auch Regionalpräsident sein. Fritz Kuhn hat sich in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter immer für die Belange der Region Stuttgart eingesetzt. Ich hoffe, er setzt dies fort.

Ein grüner Regionalpräsident in einer bürgerlich dominierten Region Stuttgart, wie soll das funktionieren?
Richtig, bei den vielen Landräten und Bürgermeistern aus CDU und FDP wäre Herr Kuhn ein Solitär. Dennoch brauchen wir eine Region aus einem Guss, bei der alle an einem Strang ziehen, beispielsweise bei einem integrierten Verkehrskonzept für die Region. Die herrschende Willkür bei Lkw-Durchfahrtsverboten dient weder der Region noch den Unternehmen.

Welchen Nutzen hätte die Region Stuttgart von einem Regionalpräsidenten Fritz Kuhn?
Mit dem Stuttgarter OB an der Spitze, der Unterstützung des Regionalverbandes und der Kommunen hätte die Region eine viel größere Schlagkraft gegenüber dem Land und dem Bund.

Wo sehen Sie in acht Jahren, am Ende von Fritz Kuhns Amtszeit, das Bahnprojekt Stuttgart 21?
Das Projekt wird realisiert, aber vermutlich nicht in acht Jahren fertig sein.

Ist Herr Kuhn der richtige OB, oder wäre ihnen Sebastian Turner lieber gewesen?
Die besten Kandidaten, die Stuttgart bekommen konnte, wurden aufgeboten. Die Wähler haben entschieden, dass Herr Kuhn der richtige ist.