Kabarettist Fatih Çevikkollu mit seinem Programm "FatihMorgana" im Hof der Alten Seminarturnhalle in Nagold. Foto: Stadler/Fritsch

Kultur und Kleinkunst leben und sind zurück in Nagold. Mit Kabarettist Fatih Çevikkollu feierten Macher und Publikum am Freitagabend im Hof der Seminarturnhalle einen Neustart nach langer Leidenszeit.

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Nagold - Mehr als acht Monate war das Team der Alten Seminarturnhalle coronabedingt gezwungen, mit Kulturveranstaltungen zu pausieren. Nunmehr fand am vergangenen Freitag erstmals wieder ein Event statt. Zur Eröffnung von Nagold (A)live stand der deutsch-türkische Kabarettist Fatih Çevikkollu auf der Open-Air-Bühne und zeigte sein sechstes Programm "FatihMorgana" in einem gut besuchten Innenhof.

"Dieser erste Auftritt fühlt sich an, als lägen 100 Jahre zwischen dem letzten", äußerte sich Kabarettist Fatih Çevikkollu sichtlich erfreut, dass endlich wieder Live-Auftritte stattfinden dürfen, auch wenn, so seine Worte, die "Kulturbranche am Boden liegt, da sie nicht systemrelevant ist und wie die Luftfahrtbranche gerettet wurde". Sein sechstes Programm mit dem Untertitel "Analog, aber sexy" lockte zahlreiche Gäste bei idealen Witterungsbedingungen vor die Bühne rund um zahlreiche Bistrotische.

Rund 20 Veranstaltungen angekündigt

Auch die Macher der Alten Seminarturnhalle, allen voran Wolfgang Schäfer, sind froh, dass es endlich wieder losgeht. Rund 20 Veranstaltungen kündigt der Flyer zu Nagold (A)live für die Zeit bis Ende August an. Das Team bewirtete mit Getränken und Brezeln.

Fatih Çevikkollu machte keinen Hehl daraus, dass er sowohl die Menschen als auch den Applaus vermisst hat, lebendig und in Echtzeit. Auch sein Anfangstraum beim Auftritt in Nagold ging in Erfüllung: Er begrüßte die Gäste mit "Hallo Freunde", die Antwort "Hallo Fatih" folgte auf dem Fuß. Der Kabarettist thematisierte die Veränderungen durch Corona und die sich hieraus entwickelten Pandemieprofis und witzelte über die Maskierung der Menschen quasi als Vorbereitung auf Verschleierung. Er trat den Beweis gegen Rassismus in Deutschland an und sprach stattdessen von Interessierten und Nichtinteressierten. Er sieht die Welt im Wandel, die Pandemie als Brandbeschleuniger und die Menschen als Zeitzeugen während der momentanen Zeitenwende. Diesen Übergang bezeichnete er als den vom Industriezeitalter ins Informationszeitalter.

"Je größer das Tabu, desto stärker der Gag"

Schließlich erklärte er den Unterschied zwischen digitalen Eingeborenen, also jungen Leuten rund um 20 und digitale Migranten, also die deutlich älteren Menschen. Sie kennen noch die analoge Welt, in der Telefone mit Wählscheibe und fester langer Schnur im Flur standen und nicht mitgenommen werden konnten, daher auch der Name "Festnetz".

In seinem aktuellen Programm ging der als Schauspieler gestartete 49-Jährige auch den Fragen nach, inwiefern die Welt nach rechts rückt, ob wir islamisiert werden oder was die Digitalisierung mit uns macht. Dabei sieht Fatih Çevikkollu das Kabarett als Denk-Raum: "Einer denkt vor, die anderen denken nach." Und das war im Laufe des Abends auch deutlich zu spüren. Das Programm "FatihMorgana" ist nicht ausschließlich zum Lachen, sondern lädt an vielen Stellen zum kritischen Nachdenken ein. "Lustig sein, ist nicht immer einfach. Oft stellt sich die Frage, worüber man lachen darf" und "Je größer das Tabu, desto stärker der Gag", so seine Philosophie zwischen einem Witz über den bedrohlichen Islam und der Aussage, dass er seinem Publikum einen schönen Abend bescheren will. Den poetischen Auftakt des Abends bildete ein ebenso solcher Schluss mit dem Hinweis: "Leben ist, wenn ich mir selbst genüge" und "man darf sich nicht auf die Sch… von gestern versteifen." Das Publikum war begeistert, quittierte den gelungenen und lange herbeigesehnten ersten Auftritt bei Nagold (A)live mit verdient viel Applaus und lockte Fatih Çevikkollu damit zu einer Zugabe erneut auf die Bühne. Dem Kölner Deutsch-Türken ist es auch mit seinem sechsten Solo-Programm gelungen, eine Brücke zwischen der deutschen und türkischen Kultur zu schlagen mit einer Sichtweise, die noch eine Weile nachwirkt.