Auf dem Weg zur defekten Kühlanlage im Eissportzentrum: Nur mit spezieller Schutzkleidung können sich Feuerwehrleute an das hochgiftige Ammoniak wagen. Klicken Sie sich druch die Bildergalerie. Foto: Leif Piechowski

Eine ätzende Wolke hat die Waldau in Degerloch zur Sperrzone werden lassen. Hunderte Menschen mussten am Donnerstag das Areal unterm Fernsehturm verlassen – im Eissportzentrum war giftiges Ammoniak ausgeströmt.

Stuttgart - Zum Glück gibt es keine Verletzten, als sich in einem Technikraum des Eissportzentrums am Keßlerweg ein gefährlicher Nebel und ein stechender Geruch von Salmiakgeist ausbreitet. Zwei Mitarbeiter der Eiswelt, der Leiter des technischen Services sowie ein Vorarbeiter, sind in der Nähe, als es am Donnerstag gegen 8.30 Uhr zu einem Störfall in der Kühlanlage für die Eishalle 1 kommt. Eine Dichtung ist offenbar geplatzt, Ammoniak tritt aus. Ein Mitarbeiter rettet sich aus dem Technikraum – die Tür bleibt verhängnisvollerweise offen.

Alles ausrücken! In der Feuerwehr-Leitstelle wird um 8.35 Uhr Alarm ausgelöst. Die Feuerwehr rückt mit 127 Mann in 36 Fahrzeugen aus, der Rettungsdienst mobilisiert 16 Einsatzkräfte. Für 58 Polizeibeamte wird die Gaswolke ebenfalls zum Alarmfall – sie müssen die Evakuierung und Absperrung eines 520 mal 600 Meter großen Gebiets organisieren. Der Wind weht Richtung Osten. Die Sperrzone reicht von der Halle bis hinüber zu den Fernsehturm-Parkplätzen.

Raus! Raus! In der benachbarten Waldschule mit 670 Schülern sitzt der 14-jährige Marc Barth im Deutschunterricht der Klasse 7a. Man liest Sarah Weeks Buch „So B. It“ über ein Kind mit einer behinderten Mutter, als sich der Schulleiter per Lautsprecher meldet: „Es gab einen Ammoniakunfall, und wir müssen alle raus“, sagt Marc. Alle sammeln sich auf einem Sportplatz. Brausetabletten und Gasvolumen – das ist im ersten Stock Thema der Lehrerin Monika Schell im Fach Naturwissenschaft und Technik. Auch sie lässt alles stehen und liegen. Jacken, Handtaschen, Handys bleiben im Lehrerzimmer zurück. Erst später erkennen die Lehrer, dass das zum Problem wird. Im Keßlerweg werden die Kinder des Montessori-Kindergartens vom Rettungsdienst zu einer nahe gelegenen Kirche transportiert. „Das lief alles sehr spielerisch ab“, sagt Feuerwehr-Einsatzleiter Christian Schwarze.

Vollschutz und Video. Wie bei einem ABC-Alarm dringen Feuerwehrleute mit Vollschutzanzügen zur Kühlanlage vor. Mit einem Notschalter wird das Aggregat gestoppt. Doch irgendwo muss noch ein Leck sein. Ammoniak strömt weiter aus. Das Problem wird per Videoübertragung gelöst: Ein Feuerwehrtrupp ist mit einer Kamera im Technikraum unterwegs, wird gelotst von zwei Mitarbeitern einer Kühltechnikfirma, die sich mit dem Kompressor bestens auskennen. Um 10.48 Uhr heißt es über Funk: „Das Leck ist dicht.“

Ausgesperrt. Die Schüler werden Richtung Ruhbank dirigiert: Heute schulfrei! Wer zur Ganztagsbetreuung gehört und nicht nach Hause kann, wird im SSB-Veranstaltungszentrum Waldaupark versorgt. „Wir haben Essen bestellt“, sagt Feuerwehrsprecher Sebastian Fischer. 20 bis 30 Schüler bleiben dort. Schüler Marc von der 7a fährt nach Hause. Nicht alle haben eine Jacke wie er, darum muss er seine immer wieder an andere abtreten. Kunstlehrerin Florina Jawla hat ähnliche Probleme: „Ich kann nicht nach Hause nach Pfullingen“, sagt sie, „meine Autoschlüssel sind im Lehrerzimmer.“ Von dort ist ein Handybimmelkonzert zu hören. Einfacher hat es Gunnar Höckel, Geschäftsführer vom tus Stuttgart. Er sitzt mit neun Mitarbeitern vor dem Kiosk am Königsträßle in der Herbstsonne. Man wartet auf die Entwarnung. Die kommt aber nicht. Man rückt die Stühle weiter, bis die wieder in der Sonne stehen.

Geduldsspiel. Sportamtsleiter Günther Kuhnigk kann nur tatenlos zuschauen. „Die beiden Mitarbeiter hatten leicht gerötete Augen, aber zum Glück ist alles glimpflich ausgegangen“, sagt er. Die Kältetechnik-Anlage sei regelmäßig gewartet und auch vom Tüv abgenommen worden. Die Aufräumarbeiten sind aufwendig. Die Halle ist voller Ammoniak. Zwei Großlüfter pusten das Gas aus der Halle, um es mit einem Wassersprühnebel aufzufangen. „Das braucht Geduld“, sagt Einsatzleiter Schwarze. Um 17 Uhr wurde die Sperrung aufgehoben.

Gute Nachrichten. Marc bekommt am Nachmittag ein Rundschreiben: Am Freitagvormittag können die Schulranzen in der Waldschule abgeholt werden, ansonsten ist schulfrei. Konrektor Walter Neumann seufzt: „Am Montag wollten wir die alljährliche Evakuierungsübung machen“, sagt er, „das hat sich jetzt erübrigt.“