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Überall im Körper können Aneurysmen auftreten - Besonders gefährlich im Gehirn.

Stuttgart - Hunderttausende Bundesbürger haben ein Aneurysma, ohne es zu wissen. Nur bei wenigen Betroffenen kommt es wie bei der Sport-Moderatorin Monica Lierhaus zu einer gefährlichen Hirnblutung.

Was ist ein Aneurysma?

Der Begriff Aneurysma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Erweiterung. Er meint eine spindel- oder sackförmige Erweiterung von Blutgefäßen, die lokal begrenzt und dauerhaft ist. Das Aneurysma - eine Art "Schlagadersack" - kann eine Größe von einem Millimeter bis mehreren Zentimetern haben. Die Gefäßwand der Blutgefäße besteht aus drei Schichten. Werden diese Schichten an einer oder mehreren Stellen porös, verlieren sie an Stabilität und stülpen sich aus. Die Gefahr, dass sie platzen, wird dadurch immer größer.

Wie kommt es zur Hirnblutung?

Nach Angaben des Stuttgarter Neurochirurgen Dr. Christoph Schul haben Hirnarterien-Aneurysmen ein Blutungsrisiko von bis zu zwei Prozent pro Jahr. "Wenn man 20 Jahre alt ist und ein Aneurysma hat, kann man fest davon ausgehen, in seinem Leben eine Blutung zu erleiden." Hirnarterien-Aneurysmen bezeichnet man als intrakranielle (im Schädel) Aneurysmen. Wenn ein Schlagadersack im Hirn platzt, kommt es typischerweise zu einer Subarachnoidalblutung. "Dabei fließt Blut um das Gehirn herum und in den Bereich der Schädelbasis", erklärt der Leitende Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik des Klinikums Stuttgart.

Wie häufig sind Aneurysmen?

Aneurysmen sind tickende Zeitbomben. "Man hat ein ständiges Blutungsrisiko, das immer über einem schwebt", sagt Schul. Wann und wo die Gefäßwand reißt, ist nicht vorauszusagen. Die Neurochirurgie des Klinikums Stuttgart betreut ein Gebiet, in dem zwei Millionen Menschen leben. Rund 200 Aneurysma-Patienten werden hier pro Jahr behandelt, 120 von ihnen sind Akutfälle aufgrund einer Subarachnoidalblutung - also einer Blutung infolge eines geplatzten Aneurysmas. Statistisch gesehen kommt es jährlich bundesweit bei sechs bis zehn von 100.000 Einwohnern zu dieser Blutung. Aneurysmen sind aber weit häufiger. Rund ein bis zwei Prozent aller Bundesbürger haben mindestens eines - ohne es zu wissen.

Wie werden Aneurysmen entdeckt?

Aneurysmen fallen entweder als Blutung auf oder als Zufallsbefund bei einer heutzutage wesentlich verbesserten Bildgebung des Gehirns und seiner Gefäße. Viele Betroffene haben über Jahre oder Jahrzehnte keinerlei Krankheitssymptome. Allerdings treten bei vielen einige Wochen vor der Blutung Warnhinweise auf wie starke Kopfschmerzen oder neurologische Ausfallerscheinungen. Mediziner sprechen auch von einer Vorbotenblutung. Die Hirnblutung selbst wird von "vernichtenden" Kopfschmerzen, Übelkeit sowie Nackenschmerzen begleitet.

Was sind die Ursachen eines Aneurysmas?

Das Risiko, dass ein Aneurysma platzt, hängt unter anderem von der Größe, Form und dem Ort der Ausweitung ab. Als mögliche Ursachen für die Ausbildung eines Aneurysmas gelten starkes Rauchen, Alkoholkonsum, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit und Fettstoffwechselstörungen. Hinzu kommt eine genetische Disposition: Bei rund zehn Prozent der Patienten gibt es in der Familie bereits Betroffene. Angeborene Aneurysmen führen häufig schon in jüngerem Alter zu Hirnblutungen.

Kann die Veranlagung vererbt werden?

Eine 40-jährige Stuttgarterin berichtet, dass sie seit Jahren von ihrem Hirn-Aneurysma weiß. Es handelt sich um einen angeborenen Defekt, den sie geerbt hat. Ihre Mutter hatte vor einigen Jahren eine Hirnblutung und danach einen Schlaganfall erlitten. Seitdem muss sie mit massiven kognitiven Einschränkungen leben. Die Furcht, dass irgendwann die Hirnarterie reißen könnte, raubt der Tochter den Schlaf. Schul: "Wenn so etwas in der Familie bekannt ist, gehören die Patienten behandelt."

Kann ein Aneurysma operiert werden?

Es gibt zwei Methoden, um ein Aneurysma aus der Blutbahn auszuschalten. Bei der klassischen operativen Methode wird der Schädel häufig oberhalb der Augen geöffnet. Der Neurochirurg verschließt das Aneurysma mit Hilfe eines Titanclips, der dauerhaft im Kopf bleibt. Dieses Verfahren wird auch Clipping genannt. Der Clip unterbricht die Aussackung vom Blutgefäß, so dass kein Blut mehr in das Aneurysma fließen kann und eine Ruptur (Riss) verhindert wird. "Das Clipping hat den Vorteil, dass der Verschluss in aller Regel endgültig ist."

Wie effektiv ist die Alternativmethode?

Die zweite seit Anfang der 1990er Jahre angewendete Methode nennt sich Coiling. Im Klinikum Stuttgart wird nach Aussage von Christoph Schul die Hälfte der Patienten nach einer von beiden Methoden behandelt. Beim Coilen wird ein meterlanger Katheter durch die Leistengegend eingeführt und durch die Bauch- und Halsschlagader bis in die Hirngefäße geschoben. Durch das Innere des Katheters schiebt der Neuroradiologe einen Platindraht direkt bis ins Aneurysma. Dort rollt er den spiralförmigen Draht auf, füllt den Schlagadersack aus. Eine Thrombose (Blutgerinsel) wird erzeugt, die das Aneurysma von innen verschließt.

Wie groß ist die Gefahr eines Schlaganfalls?

Bei Aneurysmen ohne Blutung, die rechtzeitig entdeckt werden, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls "im Promillebereich", sagt Schul. Subarachnoidale Blutungspatienten hätten ein "sehr hohes Risiko von 40 bis 50 Prozent, einen Gefäßspasmus zu bekommen" - eine krampfartige Verengung blutführender Gefäße. Infolge dieses Vasospasmus bekommen 20 bis 30 Prozent der Aneurysma-Patienten, die eine Hirnarterienblutung erlitten haben, zusätzlich einen Schlaganfall in unterschiedlicher Ausprägung - teils ohne bleibende Schäden.

Wie gut sind die Genesungschancen?

"Ein Drittel der Aneurysma-Patienten mit Hirnblutung finden in ihr altes Leben zurück", sagt der Stuttgarter Neurochirurg. "Ein weiteres Drittel hat ein Leben lang erhebliche neurologische Ausfallserscheinungen. Das übrige Drittel mit Einblutungen im Hirn überlebt nicht." Wenn das Aneurysma ausgeschaltet ist, schließt sich in aller Regel eine Rehabilitationsmaßnahme an. "Manche Patienten können erst nach Wochen und Monaten in ihren Beruf und ins Privatleben reintegriert werden." Je früher der Patient nach einer Hirnarterienblutung medizinisch versorgt wird, desto größer sind die Chancen, die Folgen der Erkrankung einzugrenzen. Dasselbe gilt auch für eine frühzeitige Rehabilitation mit Physiotherapie.