Minister Alexander Bonde (Mitte) begutachtet die Präsentation von Flinc-Mitbegründer Benjamin Kirschner; als Chauffeurin agiert die Althüttener Rathaus-Sekretärin Renate Klenk. Foto: Max Kovalenko/PPF

Neues Mobilitätskonzept für den Ländlichen Raum: Mit dem Smartphone die Mitfahrgelegenheit für Kurzstrecken buchen.

Althütte - Studenten nutzen sie gerne, oder Großstadtbewohner: Mitfahrzentralen sind eine schnelle und preisgünstige Möglichkeit, auch ohne eigenes Auto zügig voranzukommen. In der Provinz ist diese Form der Mobilität noch kaum verbreitet. Das soll sich ändern, so etwa im Nordosten der Region Stuttgart.

Wäre der Minister bereits ein eingetragenes Mitglied der Organisation, hätte er womöglich einen Passagier aufnehmen können. Startpunkt: Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg am Kernerplatz in Stuttgart. Endpunkt: Rathaus in Althütte im Schwäbischen Wald. Entfernung: gut 40 Kilometer. Gestern am frühen Nachmittag allerdings hat der speziell fürs flache Land zuständige Landesminister Alexander Bonde keine derartige Mitfahrgelegenheit von der Metropole ins Dorf angeboten. Angesichts der Terminhatz – gestern bleiben ihm knapp 60 Minuten für den Aufenthalt in Althütte – ist ein Spitzenpolitiker für solch spontane Chauffeuraktivitäten nicht unbedingt geeignet. Auch das Dienstauto als fahrendes Büro wie natürlich Sicherheitsaspekte erschweren es, dass der Minister sich mal spontan bei einer Mitnahmefahrt mit dem kleinen Mann aus dem Volk auseinandersetzen kann.

Anders stellt sich die Situation ein paar Stufen weiter unten dar, politisch gesehen. Wie bei Althüttes Bürgermeister Reinhard Sczuka. Der Schultes der 4100-Einwohner-Kommune ist engagierter Teilnehmer jenes innovativen Mobilitätskonzepts, das von 14 Gemeinden aus den Landkreisen Rems-Murr, Schwäbisch Hall und Hohenlohe vorangetrieben wird. Diese Kommunen wiederum gehren um im Leader-Konzept Limes. Leader, dahinter verbirgt sich die französische Wortkombination Liaison Entre Actions de Développement de l’Economie Rurale, übersetzt Verbindung von Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft. Für Strukturförderungen erhalten die Gemeinden entlang des Kulturdenkmals Limes Fördergelder der Europäischen Union.

Für alltägliche Fahrten ist derzeit im ländlichen Raum s’Heilix Blechle aus der Garage zumeist noch unverzichtbar

Und damit wieder werden beispielsweise Aktionen unterstützt wie jene, die Sczuka und seine Bürgermeisterkollegen am Freitag dem Minister vorstellten. Das Ganze fußt auf der Internetplattform, die von der in Ludwigshafen und Darmstadt angesiedelten Firma Flinc entwickelt wurde . Wer sich dort registrieren lässt – bundesweit sind es mittlerweile fast 90.000 Teilnehmer – kann dann über den Computer im Wohnzimmer oder am Arbeitsplatz oder übers Smartphone seine Mitfahrangebote aussenden oder Mitfahrwünsche äußern. Im Idealfall gibt es bereits nach wenigen Sekunden die positive Rückmeldung.

Einer der drei Flinc-Gründer ist am Freitag persönlich vor Ort in Althütte. Das ist nicht ungewöhnlich, denn für Benjamin Kirschner ist es fast ein Heimspiel. Der 27-Jährige ist im keine zehn Kilometer entfernten Backnang geboren und in Burgstetten aufwachsen. Nach seinem Studium an der Hochschule Darmstadt entwickelte Kirschner zusammen mit Kommilitonen das Projekt „Flinc – gemeinsam unterwegs“.

Arztbesuche, Auswärtsspiele des Dorfvereins, Einkäufe im Supermarkt oder der Familienausflug zum Badesee – für derart alltägliche Fahrten ist derzeit im ländlichen Raum s’Heilix Blechle aus der Garage zumeist noch unverzichtbar. Doch das soll sich zumindest im Schwäbischen Wald alsbald ändern. „Unsere Bürger werden nun zu Flincern“, scherzt Sczuka. Wer also einen Termin beim Dentisten in der großen Kreisstadt hat oder am Samstagnachmittag noch schnell zum Rummelplatz im Nachbardorf möchte, „hat als Flincer gute Chancen – und muss nicht mehr auf den Bus- oder Zugfahrplan schauen“. Die Plattform ist eine moderne Ergänzung zu bereits in manchen Orten existierenden Systemen wie den Bürgerbus oder das Sammeltaxi. Es gibt viele Menschen in der Gegend rund um den Ebnisee, die täglich weite Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen. „Dabei hat der Nachbar ein Dorf weiter fast die gleiche Strecke“, erläutert Sczuka: „Die Fahrgemeinschaften sparen bares Geld, besonders bei den aktuell hohen Spritpreisen.“

„In den letzten zwei Wochen wurden 5400 Fahrangebote und Mitfahrgesuche aus unserer Region in dem Portal eingestellt“

Die im März 2012 gestartete Sache ist in und rund um Althütte allerdings durchaus noch ausbaufähig – derzeit gibt es 400 regelmäßige Nutzer. „In den letzten zwei Wochen wurden 5400 Fahrangebote und Mitfahrgesuche aus unserer Region in dem Portal eingestellt“, erläutert Szuka. Der Schultes selbst war bisher zweimal als „Flincer“ aktiv – als Mitfahrer in einem anderen Auto.

Der Minister ist zum Ende seines 60-minütigen Gastspiels - samt Anschauungsunterricht auf dem sonnigen Rathausplatz – zufrieden. Mit diesem Konzept könnten gerade Kurzstrecken einfach gebucht und zurückgelegt werden – das sei wichtig, weil 80 Prozent der Autofahrten Kurzstrecken seien. „Von Flinc können Fahrer und Mitfahrer gleichermaßen profitieren, denn der eine wird unabhängiger vom Öffentlichen Nachverkehr, der andere kann seine Spritkosten einsparen“, sagt Bonde – und entschwindet eilig im schweren Dienst-Audi zum nächsten Termin – ohne eine Mitfahrgelegenheit zum Heilbronner Weindorf anzubieten.