Micky Maus wird am 18. November 85 Jahre alt Foto: dpa

Die Geschichte beginnt mit einer Notlage. Der junge US-amerikanische Zeichner Walt Disney brauchte 1928 unbedingt eine neue Figur – und entschied sich für eine Maus mit viel zu großen Ohren. Mortimer sollte sie heißen, Disneys Frau widersprach – und man einigte sich auf Micky Maus.

Die Geschichte beginnt mit einer Notlage. Der junge US-amerikanische Zeichner Walt Disney brauchte 1928 unbedingt eine neue Figur – und entschied sich für eine Maus mit viel zu großen Ohren. Mortimer sollte sie heißen, Disneys Frau widersprach – und man einigte sich auf Micky Maus.

Stuttgart - „Als ich mit fünf Jahren mein erstes Micky-Maus-Heft aufgeschlagen habe“, erzählt der österreichische Maler Gottfried Helnwein gern, „betrat ich eine mir völlig neue, dreidimensionale, fantastische Welt. Ich nahm das erste Mal bewusst Farben wahr, und ich erlebte in mir eine Kettenreaktion an Sinneswahrnehmungen.“

Und Helnwein geht noch weiter: „Es war der Ausbruch aus der engen, dunklen und depressiven Erwachsenenwelt der Wiener Nachkriegszeit, die mich bis dahin fest im Würgegriff hatte. Ich konnte wieder atmen, ich war in meiner Heimat Entenhausen angelangt.“ Ja, mehr noch: „Das war meine erste Begegnung mit großer Kunst.“

Bis heute ist Micky Maus eine der zentralen Figuren in Helnweins Schaffen. Doch Entenhausen hat in diesen Bildern immer eine bitterböse Seite, etwas letztlich Unbehagliches, gerade so, als gelte es, die ungeheure Wirkung von Micky Maus immer wieder neu zu hinterfragen.

Helnwein ist damit nicht allein. Seit den frühen 1960er Jahren ist Micky Maus ständiger Begleiter der Gegenwartskunst. Im Werk des US-amerikanischen Pop-Künstlers wurde Micky zu einem Riesen – allein die Ohren einer Micky-Maus-Skulptur in Houston haben einen Durchmesser von 5,5 Metern. Wie aktuell auch der Kölner Künstlerin Cosima von Bonin ging es aber weder Helnwein noch Oldenburg um die bloße Überhöhung der von einem allgegenwärtigen Disney-Konzern zur Weltmarke stilisierten Figur. Die Künstlerinnen und Künstler interessieren sich stets für das System Micky Maus, für die Welt, die in dieser Figur angelegt und mitgedacht ist, die sie mit entwickelt.

Micky Maus fasziniert bis heute die Kunst

1972 konzipiert Claes Oldenburg für die Weltkunstausstellung Documenta V – die unter der Leitung von Harald Szeemann und unter dem Stichwort „Individuelle Mythologien“ selbst zur markenhaften Legende wird – das „Mouse Museum“. Karola Kraus, Direktorin des Museums Moderner Kunst – Sammlung Ludwig in Wien konnte das „Mouse Museum“ anlässlich ihrer Oldenburg-Retrospektive im Mumok jüngst noch einmal in Gänze zeigen.

Zu sehen ist ein begehbares kleines Haus mit Micky-Maus-Grundriss, in dem wie in einem Kitsch-Museum 385 Spielsachen, Scherzartikel, Souvenirs aufgehäuft sind – vom grellbunten Eisbecher aus Plastik bis zum poppigen Kunststoff-Cheeseburger. Was aber fasziniert Künstlerinnen und Künstler bis heute an Disneys Maus? Ein runder Kopf, runde Ohren, runder Bauch, eher rohe Arme und Beine – die Elemente sind betont einfach. Das macht Micky Maus eigentlich eher zu einer beklagenswerten Figur.

Zugleich aber hebt sie sich dadurch auch ab von den vielen anderen Stars am Disney-Himmel. Micky Maus ist der gute Kerl von nebenan. Dazu passt, dass er zwar seit nun 85 Jahren die gleiche Frau liebt – geheiratet aber hat er seine Minnie nie.

Walt Disney „das große Genie des 20. Jahrhunderts“

Cartoons von Micky und Minnie tauchten erstmals 1930 auf, zwei Jahre nach Premiere des Films „Steamboat Willie“. In US-amerikanischen Tageszeitungen. Andere Gefährten kamen hinzu: Mickys treuer Hund Pluto und auch Donald Duck, der seine spätere Solo-Karriere mit Nebenrollen in Micky-Maus-Geschichten begann.

Eine weitere Disney-Schöpfung ist Micky bis heute auf den Fersen – Kater Karlo, sein großer Widersacher. Was für Claes Oldenburg in den 1960er und 1970er Jahren vor allem Mickys Ohren waren – Erkennungssignale einer zwischen Traum und Selbstaufgabe wandelnden Welt des Waren-glaubens –, sind im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts für Cosima von Bonin Mickys Hände. Sie tauchen aus dem Nichts auf, und doch erkennen wir sie sofort wieder. Micky, so scheint es, lässt sich tatsächlich nicht auf seine Umrisse reduzieren.

Für Gottfried Helnwein ist Walt Disney „das große Genie des 20. Jahrhunderts“. Und er betont: „Die Pop-Art eines Roy Lichtenstein und eines Andy Warhol ist lediglich der Widerschein dieses gewaltigen Flächenbrandes, dem sich kaum ein Künstler dieses Jahrhunderts entziehen konnte.“ Auch und gerade Helnwein selbst nicht – dessen Riesen-Mickys in ihrer Doppelbödigkeit immer auch ahnen lassen, dass alle Verführung ihren Preis hat. Und doch: Das Lachen der Welt wird noch immer von Micky Maus mit bestimmt.