Stuttgarts Travestie-Star Michael Panzer tritt seit 1984 als Frl. Wommy Wonder auf. Foto: dpa

Michael Panzer, bekannt als Frl. Wommy Wonder, spricht über Alb-Träume, Älterwerden, Anderssein.

Stuttgart – Jetzt ist die Zeit der Sommerinterviews. Michael Panzer ist Sommerexperte – in dieser kulturell schwierigen Urlaubszeit tritt der 44-Jährige wochenlang als Frl. Wommy Wonder auf. Sein neues Sommerquartier ist das Theaterhaus. Ein Gespräch über Veränderungen im Leben, Rituale und wahre Schönheit.

Michael Panzer, die ganze Stadt kennt Ihre Bilder als Wommy. Fühlt sich da der Mann hinter der Kunstfigur etwas vernachlässigt?
Nein, privat brauch’ ich den großen Auftritt nicht. Auch wenn ich als Michael Panzer unterwegs bin, sagen die Leute Wommy zu mir. Tagsüber bin ich der Wommy, abends die Wommy. Selbstsicherheit ist in der geschminkten Variante deutlich ausgeprägter.

Wie Mario Gomez kommen Sie vom Rande der Schwäbischen Alb . . .
. . .  ja , wir sind beide in Riedlingen geboren, sogar im selben Kreiskrankenhaus.

Im Ernst? Womöglich wurden Sie beide als Babys vertauscht. Wenn ich das jetzt enthülle, ist mir ein Journalistenpreis sicher.
(Lacht) Der Journalistenpreis sei Ihnen von Herzen gegönnt. Allerdings bitte ich zu berücksichtigen: Ich bin Jahrgang 1967, Mario Gomez Jahrgang 1984. Hätte man uns als Babys verwechselt, wäre ich ziemlich lange im Brutkasten verschmort. Aber das würde auch einiges erklären.

Gibt es außer der Herkunft weitere Gemeinsamkeiten mit Herrn Gomez?
Wir sind wie Yin und Yang. Er ist jung und attraktiv. Ich bin der Gegenentwurf.

Sie kokettieren oft mit Ihrem Aussehen. Steckt dahinter die Absicht, dass man Ihnen erklärt, wie schön Sie sind?
Schönheit ist ein Begriff, der in meinem Wortschatz keine Bedeutung hat,.

Als Wommy oder als Michael ?
Das gilt für Michael und Wommy. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Kitschig, aber wahr. Und ich gehöre nicht zu denen, die krampfhaft versuchen, die Zeiger der Uhr anzuhalten und Mutter Natur korrigieren zu wollen. Einen 50-jährigen Kopf auf einem 70-jährigen Hals halte ich auch im Alter für mich nicht erstrebenswert. Gelebtes Leben soll man sehen dürfen.

"Ich habe höchstens eine kleine Meise"

Nach 17 Jahren im Renitenz-Theater ziehen Sie rauf auf den Pragsattel im Theaterhaus. Heißt das: höher, schneller, weiter?
Bevor alles im Trott erstarrt, braucht man ab und an frische Luft. Dieses „schon wieder Sommer, schon wieder Wommy, schon wieder Premiere, schon wieder Renitenz“ lässt an Spannung und Dramatik ein wenig zu wünschen übrig. Deshalb gibt’s dieses Jahr ein „noch mehr Wommy, noch mehr Show, noch größer, noch bunter und mit noch mehr Leuten“. Und da bietet das Theaterhaus räumlich und vom Umfeld her Voraussetzungen, die man sonst nirgends findet.

Was ist anders dort oben?
Extra für uns wird der große Saal umgebaut – das Publikum sitzt an Tischen und wird kulinarisch verwöhnt, während wir die Zwerchfellmasseure sind. Wommy, Schwester Bärbel und Tobias Becker an den Tasten freuen sich mit Elfriede Schäufele, Sissi und vielen Gastkünstlern auf die Herausforderung. Aber ich fürchte, Sie wollen jetzt keine Werbetexte und Plattitüden von mir hören.

Woher wissen Sie das?
Wir kennen uns ja schon eine Weile. Ich erinnere mich, dass Sie vor etwa zwölf Jahren das erste Interview mit mir in meiner damaligen Wohnung im Stuttgarter Osten geführt haben. Und in all den Jahren hat sich nicht viel geändert. Journalisten haben ständig Fragen, aber selten Antworten.

Wie meinen Sie das?
Von mir weiß doch schon jeder alles. Oder glaubt es zu wissen. Nur die Journalisten müssen nie was von sich preisgeben. Also, jetzt bin ich mal dran. Macht es Ihnen als Journalist noch Spaß, sich abends Shows anzusehen? Können Sie das noch frei genießen, oder haben Sie im Hinterkopf immer, was es zu formulieren und kritisieren gibt?

Sie sind doch der Star, verehrtes Fräulein. Aber wenn Sie schon so neugierig sind, sei Ihnen gesagt: Die besten Shows sind die, bei denen man völlig vergisst, dass man Journalist ist und was darüber schreiben müsste.
Ich bin ein Star? Ich habe höchstens eine kleine Meise. Für mich sind die besten Shows die, bei denen man vergisst, dass die Presse drinsitzt.

Wie wichtig sind für Sie Kritiken?
Ich brauche keine Zeitungskritiken für meine Eigenwahrnehmung, ich bin selber mein schärfster Kritiker und höre gern auf das, was vom Publikum an Feedback kommt. Aber bisher bin ich mit der Presse ganz gut gefahren. In 28 Jahren Bühnenleben gab es gerade mal 14 Verrisse, von denen die meisten sich im Grunde eher selbst persiflieren. Ärgerlich finde ich es nur, wenn der Kritiker den Unterschied zwischen Transvestit und Travestiekünstler nicht kennt. Das kommt leider immer noch vor – natürlich nicht in Ihrer geschätzten Zeitung. Ich möchte Sie noch was fragen: Wie kommen Sie auf Ihre Kolumnenthemen? Haben Sie da Rituale?

Nein, Rituale habe ich keine. Sie vielleicht? Kann ich da von Ihnen was lernen?
Von mir lernen? Ich komme langsam in die Jahre, wo so etwas wie Altersweisheit beginnt. Ja, ich habe so ein paar Rituale für neue Ideen. Ich gehe spazieren und lass’ den Gedanken freien Lauf, ich dusche und warte, bis ich entspannt bin und mir was einfällt. Meine Ideen schreibe ich auf Zetteln, stecke die in eine Kiste. Dann ziehe ich drei Zettel und versuche, sie miteinander zu verbinden.

„Anderssein, Schwäbische Alb, 1970er Jahre, das ist die dreifache Dosis“

Wie ist das, wenn man auf der Schwäbischen Alb Träume hat und erkennt, anders als die anderen zu sein?
Anderssein, Schwäbische Alb, 1970er Jahre, das ist die dreifache Dosis. Da hilft nur Augen zu und durch. Letzten Endes liegt das Problem ja nicht an einem selbst, sondern an den Umständen, die kann man nur ändern, indem man sie übersteht. Verglichen mit der Situation vor 30 Jahren bei uns oder aktuell in anderen Teilen der Welt, kann man zufrieden sein, wenn man jetzt und hier in einem toleranten Land lebt. Und wenn man vielleicht durch persönlichen Einsatz ein Stückchen daran arbeiten kann, es der kommenden Generation noch einfacher zu machen. Der CSD ist dazu ein wichtiger Schritt.

Wie schwer ist es für einen Künstler, eine feste Beziehung einzugehen?
Dazu kann ich nicht viel sagen, weil ich nie krampfhaft auf der Suche war und mich auf das einstelle, was das Schicksal einem bereitet: nichts forcieren, aber sich auch nicht widersetzen. Die große Liebe zu finden ist für jeden schwierig, für einen Künstler vielleicht noch mehr, weil man als Künstler nie weiß, ob das Gegenüber den Menschen oder die Kunstfigur attraktiv findet.

Älter werden ist für jeden nicht leicht. Ist dies für einen schwulen Mann noch schwerer?
Älter werden gehört zum Leben, und mir ist es tendenziell lieb er, älter zu werden als jung abtreten zu müssen. Insofern nimmt man halt die Zipperlein in Kauf, diese Erkenntnis hat nichts mit der eigenen Prägung zu tun. Da habe ich mich eh seit Jahren allen Konventionen und Klischees widersetzt.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zum Fußball. Was stopfen Sie sich eigentlich jeden Abend in den Ausschnitt?
Auch wenn Sie jetzt von mir sicher hören wollen, dass ich in meiner Oberweite Fuß-, Basket- oder sogar Medizinbälle vor mir hertrage, so ist die Wahrheit viel einfacher: Ich binde meinen Bauch einfach höher und verlagere so den Schwerpunkt.

Vom 26. Juli bis zum 2. September (täglich außer montags) spielt Frl. Wommy Wonder die Sommershow „Wonder-Bar“ im Theaterhaus – mit wechselnden Gästen. Vorstellungsbeginn 20 Uhr, sonntags 19 Uhr. Karten unter Telefon 07 11/ 4 02 0 7 20.