Der amerikanische Präsident Barack Obama begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel am schon im April 2010 im Weißen Haus in Washington. Foto: dpa

Vor Monaten galt der Besuch der Kanzlerin an diesem Freitag bei Obama noch als entscheidendes Treffen zur Klärung der NSA-Affäre. Dazu wird es nun nicht kommen. Anlass: die Ukraine-Krise. Norbert Röttgen spricht im Interview über Putins Taten, Obamas Dienste und Merkels Ziele.

Vor Monaten galt der Besuch der Kanzlerin an diesem Freitag bei Obama noch als entscheidendes Treffen zur Klärung der NSA-Affäre. Dazu wird es nun nicht kommen. Anlass: die Ukraine-Krise. Norbert Röttgen spricht im Interview über Putins Taten, Obamas Dienste und Merkels Ziele.
 
Herr Röttgen, das deutsch-amerikanische Verhältnis ist seit der NSA-Affäre belastet. So bizarr es klingen mag, aber kommt die Krise mit Russland nicht gerade recht, um jetzt neue transatlantische Einigkeit zu demonstrieren?
Diese Krise ist so bedrohlich, dass sie sich wirklich keiner wünschen kann. Aber es ist meine Überzeugung, dass die Verletzung des internationalen Rechts den Westen insgesamt herausfordert – die Europäische Union und die Amerikaner. Darum ist diese Krise auch eine Schicksalsfrage für die transatlantische Gemeinschaft, und ich bin sehr positiv, dass wir geschlossen gemeinsam diese Krise meistern werden.
Ist es nicht höchste Zeit, dass die Bundeskanzlerin und der US-Präsident jetzt Sanktionen einfordern und im Kreis der G-7 auch beschließen, die Russland wirklich treffen?
Die Taten von Wladimir Putin sprechen eine so klare Sprache, dass auch der Westen in seiner Botschaft klarer werden muss. Ich finde, die Zeit ist reif, dass wir fühlsame Sanktionen für Putin beschließen. Der Westen läuft sonst Gefahr, bei Putin falsche Vorstellungen darüber zu erzeugen, wie ernst wir diese Krise nehmen.
Muss die Nato von ihrem Beschluss des Gipfels von Bukarest 2008 abrücken, in dessen Abschlusserklärung das Bündnis der Ukraine und Georgiens die Mitgliedschaft nicht nur in Aussicht stellt, sondern ausdrücklich betont, dass beide Staaten Mitglied der Allianz werden?
Meiner Meinung nach steht eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens richtigerweise nicht auf der Tagesordnung. Dennoch muss darüber nachgedacht werden, wie wir in Zukunft die Sicherheit in unserer Nachbarschaft gewähren können.
Der Ärger über die massenhafte Datenabschöpfung der NSA auch in Deutschland ist so groß, dass auch ein Aussetzen der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) im Gespräch war. Wären die USA damit zu beeindrucken?
Wir müssen niemanden beeindrucken. Ich hätte es auch für falsch gehalten, TTIP als Geisel für das NSA-Thema zu nutzen. Wir müssen vielmehr mit Ausdauer Änderungen in der Praxis der NSA im Ausland bei den USA anmahnen und einfordern. Gleichzeitig darf dieses Thema nicht unser ganzes Verhältnis bestimmen. Das Freihandelsabkommen ist eine große Chance für die Verbraucher in unserem Land und würde viele neue Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig ist es ein Symbol für einen transatlantischen Schulterschluss, der unsere Kooperation in vielen wichtigen Bereichen der internationalen Politik untermauert.
„Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“, hat die Kanzlerin gesagt. Womit ist als unvermeidliches Werk der US-Nachrichtendienste weiter zu rechnen?
Um mit Letztem anzufangen, wir brauchen Nachrichtendienste, die effektiv arbeiten. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag für die Sicherheit unserer Bürger. Aber auch Geheimdienste müssen das Maß wahren, und genau hieran fehlt es bei der Auslandsaktivität der NSA.
Warum verstehen die Amerikaner nicht die Empfindlichkeit in Europa gegen das allmächtige Schnüffeln der Geheimdienste?
Ich glaube nicht, dass wir die Amerikaner über die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit belehren müssen. Wir müssen vielmehr über unsere unterschiedlichen Erfahrungen reden. Dann werden die Amerikaner von ihrem traumatischen Erlebnis berichten, dass durch den Terrorangriff vom 11. September 2001, der in Deutschland geplant wurde, erstmalig in der Geschichte eine Attacke auf amerikanischen Boden stattgefunden hat. In Deutschland haben wir andere historische Erfahrungen, die uns prägen. Wir müssen daher im transatlantischen Verhältnis mehr reden.
Haben Sie noch die ehrliche Erwartung, dass die US-Dienste den gesamten Fragenkatalog der Bundesregierung wirklich beantworten? Die Liste liegt den Amerikanern seit fast einem Jahr vor.
Ich kann Ihnen nicht den Stand der Beantwortung von Fragelisten mitteilen. Es findet aber ein intensiver Dialog nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch auf anderen Ebenen und über viele andere Kanäle statt.
An einem „No spy“-Abkommen mit Deutschland, bei dem sich die USA verpflichten würden, auf gegenseitiges Ausspähen unter Regierungen zu verzichten, haben die Amerikaner erkennbar kein Interesse. Was kann die Kanzlerin in den USA realistisch erreichen?
Ich plädiere dafür, dass wir nicht zu hohe Erwartungen haben sollten. Wir müssen hier ein dickes Brett bohren.