Normale Bürger im vollen Warteraum einer NHS-Klinik in Milton Keynes Foto: picture alliance / /Hannah McKay

Premierminister Rishi Sunak zeigt sich glücklich darüber, dass die Krebserkrankung des Königs zu so schneller Behandlung geführt hat. Seine Mitbürger wollen wohl lieber wissen, wann sie an der Reihe sind.

Erheblichen Unmut hat der britische Premierminister Rishi Sunak bei vielen Landsleuten ausgelöst mit seiner Bemerkung, „glücklicherweise“ sei die just verkündete Krebserkrankung von König Charles III. „früh erkannt“ worden. Ein Regierungssprecher präzisierte das dahingehend, dass sich der Regierungschef darüber freue, dass die Behandlung ohne Verzögerung für Charles begonnen habe.

Kaum jemand in Großbritannien neidet dem König eine schnelle Behandlung. Aber der Regierung kreiden Millionen Briten ihre eigene desolate Lage an. Anders als Charles, der vorige Woche diagnostiziert wurde und innerhalb weniger Tage seine „erste Behandlung“ (welcher Art auch immer) erhielt, müssen mittlerweile 7,6 Millionen Briten oft wochen- und monatelang auf einen Facharzttermin, eine Untersuchung, eine Diagnose oder eine Operation warten. Auch nach Ansicht von Ärzten und Experten findet sich das Nationale Gesundheitswesen, der NHS, zurzeit in einer beispiellosen Krise.

Wochen warten für Hausarzttermin

Neuesten Statistiken zufolge, die die Tageszeitung „The Guardian“ veröffentlichte, muss ein Drittel aller Patienten von der Überweisung durch den Hausarzt an einen Facharzt wegen akuten Krebsverdachts bis zum tatsächlichen Beginn einer Behandlung mehr als zwei Monate warten. Davor kann sich schon das Warten auf einen Hausarzttermin wochenlang hinziehen. Denn nicht nur sind die öffentlichen Kliniken völlig überfordert: Es fehlt auch an NHS-Hausärzten, über die man erst Zugang zu Fachärzten bekommt im Königreich.

In der Folge entschließen sich viele Bürger notgedrungen, auf die „Privatschiene“ auszuweichen und ihre Behandlung selbst zu finanzieren. Laut dem unabhängigen „Informationsnetz für private Gesundheitsfürsorge“ haben zum Beispiel für Chemotherapie in den vergangenen fünf Jahren fast 300 000 Krebskranke selbst oder über eine private Versicherung bezahlt.

Krebs oft erst in spätem Stadium entdeckt

Die Gesamtzahl der an Krebs Erkrankten, die in ihrer Verzweiflung die Kosten für ihre Behandlung selbst übernehmen, dürfte noch sehr viel höher liegen. Zahlen für den Bereich der radiologischen Behandlung oder anderer Therapien liegen nicht vor. Millionen Briten, die nicht so viel Geld haben, schließt dies jedenfalls von aller unverzüglichen Diagnose und Behandlung aus.

Anders als im Falle des Königs seien die Wartezeiten für „Normalbürger“ im Königreich bei Krebs länger denn je, erklären übereinstimmend britische Forscher. Viele Krebserkrankungen würden infolgedessen erst im späten Stadium diagnostiziert. Dem NHS zufolge hinkt Großbritannien, was die Überlebensrate im Falle von Krebs betrifft, weit hinter anderen Nationen her.

Der private Medizinsektor verdient so viel wie noch nie

In den Kliniken selbst sei die tägliche Misere unerträglich geworden, klagt Ärzteverbandspräsident Philip Banfield. Geringe Bettenzahl, mangelhafte Pflegekapazität, Überanforderung des Personals und kriselnde Notaufnahmen seien schon schlimm genug. Im Ärztebereich selbst gebe es, wegen chronischer Unterinvestition durch die Regierung, Tausende unbesetzter Stellen. Pro Kopf der Bevölkerung habe das Vereinigte Königreich zum Beispiel „ein Viertel weniger Ärzte, als sie Deutschland hat“.

Ein Wunder sei es nicht, dass in dieser Situation Privatärzte und Privatkliniken Profite wie noch nie verzeichneten, finden Kritiker dieser Entwicklung. Aktuellen Berichten zufolge haben 2023 allein schon 15 Millionen Menschen länger als vier Wochen auf einen Besuch auch nur beim Hausarzt warten müssen.

Zahnarzt hilft nur gegen Barzahlung

Noch katastrophaler ist die Lage bei den Zahnärzten. Die Zahl von Zahnärzten im Dienste des NHS schrumpft dramatisch, von Tag zu Tag. Mancherorts ist es inzwischen fast unmöglich, sich – zum Beispiel nach einem Umzug, oder nach Schließung einer Praxis – irgendwo anders anzumelden. Immer mehr Zahnärzte behandeln nur noch gegen sofortige Zahlung.

Zu einer bestürzenden Szene kam es denn auch zu Beginn dieser Woche in der Stadt Bristol, wo es monatelang überhaupt keine Zahnarztpraxis mehr gab. Als dort am Montag eine neue NHS-Zahnarztpraxis ihre Türen öffnete, zog sich die Schlange der auf Anmeldung Hoffenden, mit Hunderten von Menschen, mehrere Straßen entlang. Am Ende zog die Polizei auf, um den Verkehr am Laufen zu halten – und um den Letzten in der Schlange mitzuteilen, dass „sehr wenig Chancen“ bestünden, dass sie es noch vor dem Abend zur Praxistür schaffen würden.