Nach vier Jahren Pause ist Markus Baur zurück im Handballgeschäft. Der neue Trainer von Frisch Auf Göppingen sagt, was ihn am Traditionsclub reizt und was er mit dem aktuellen Bundesligadrittletzten erreichen will.
Bei 8:22 Punkten in der Bundesliga rückt das European-League-Hauptrundenspiel von Frisch Auf Göppingen an diesem Dienstag (20.45 Uhr) gegen die Kadetten Schaffhausen etwas in den Hintergrund. Der neue Trainer Markus Baur spricht über seine ersten Tage beim Handball-Bundesligisten.
Herr Baur, wie haben Sie Ihren turbulenten Einstand aufgearbeitet?
Ich habe dieses verrückte und hochemotionale 26:26 gegen den HSV Hamburg als sehr positiv wahrgenommen. Da war alles drin, was ein Handballspiel ausmacht, und ich habe sofort bei meinem ersten Spiel wieder gespürt, wie elektrisierend diese Sportart ist. Dass wir nach einem 9:16-Rückstand noch einen Punkt geholt haben, macht mich auch mit etwas Abstand immer noch happy.
In welcher Verfassung haben Sie das Frisch-Auf-Team angetroffen?
Natürlich war nach dem Negativlauf die Moral angeknackst. Aber die Mannschaft ist körperlich fit. Grundsätzlich befinden wir uns noch mitten in einer gegenseitigen Findungsphase. Es sind sehr interessante Charaktere dabei, es besteht eine gute Mischung von unterschiedlichen Typen und verschiedenen Handball-Philosophien. Das macht diese Aufgabe super spannend.
Aber auch schwierig, wie die 8:22 Punkte und der drittletzte Platz zeigen. Stellen Sie sich auf Abstiegskampf mit Frisch Auf ein?
Ich weiß natürlich, wo wir stehen. Aber ich mache mir da keine Gedanken. Wir haben noch drei Bundesligaspiele in diesem Jahr, da wollen wir so viele Punkte wie möglich holen, auch wenn das daheim gegen Hannover und vor allem auswärts bei den Rhein-Neckar Löwen und bei Meister SC Magdeburg nicht gerade einfach wird. Unabhängig vom kurzfristigen Programm bin ich überzeugt, dass die Mannschaft die Qualität hat, um nichts mit dem Abstieg zu tun zu bekommen.
Wie schwer ist es, die mentale Blockade bei den Spielern zu lösen?
Ich versuche, sehr viel mit den Spielern zu sprechen, eine gewisse Lockerheit herauszukitzeln, und was das Taktische betrifft, beschränke ich mich zunächst aus das Wesentliche.
Viele Gespräche mit Spielern
Auffallend war, dass Neuzugang Marin Sego nach seiner Einwechslung erstmals in der Liga im Tor eine überragende Leistung zeigte. Zufall?
Er war in den vergangenen 15 Jahren immer in europäischen Topclubs und hat mit diesen und der kroatischen Nationalmannschaft Erfolge gefeiert, mit Kielce gewann er sogar die Champions League, so schlecht kann er also nicht sein. Ich habe viel mit ihm geredet, ihm vor dem HSV-Spiel gesagt, dass er zunächst bei den Siebenmetern reinkommt. Nach der Pause spielte er komplett für Daniel Rebmann und hat wirklich super gehalten.
Warum sind die internationalen Neuzugänge insgesamt bei Frisch Auf noch nicht so integriert wie es sein sollte?
Marin Sego, Gilberto Duarte, Blaz Blagotinsek und Jaka Malus verbindet, dass sie das erste Mal in Deutschland spielen. Und die Bundesliga ist eben etwas ganz anderes, weil es da in jedem Spiel um alles geht. Sego hatte in seiner Zeit in Polen bei Kielce ein spannendes Ligaspiel gegen Ploc, oder in seiner Zeit in Ungarn bei Veszprem ein umkämpftes Match gegen Szeged, bei den restlichen Ligaspielen ging es nur um die Höhe des Sieges.
Nicht nur die Mannschaft hatte ein gutes Verhältnis zu Ihrem Vorgänger. Auch der Sportliche Leiter stützte Hartmut Mayerhoffer bis zuletzt. Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Christian Schöne?
Wir kennen uns aus der Nationalmannschaft, da hat es nie Konfrontationen gegeben, wir hatten ein sehr kollegiales Verhältnis. Er ist seit Jahren Profi, und er ist auf sportlicher Ebene mein erster Ansprechpartner.
Was sagen Sie den Kritikern, die ihnen zwar Weltklasseformat als Spieler attestieren, aber fehlende Erfolge als Trainer herausstreichen.
Da empfehle ich, etwas genauer hinzuschauen. Den TBV Lemgo hatte ich von Platz neun auf Platz vier in der Bundesliga geführt, wir sind knapp in der Qualifikation zur Champions League gescheitert. Die Trennung hatte keine sportlichen Gründe, sondern lag in der Person des damaligen Managers Fynn Holpert begründet. Beim TuS N-Lübbecke habe ich selbst aufgehört, um mich auf die deutsche Junioren-Nationalmannschaft zu konzentrieren. Mit den Kadetten Schaffhausen habe ich alle Titel gewonnen, weniger erfolgreich war nur die Zeit beim TVB Stuttgart.
Schwierige Zeit beim TVB
Woran lag’s?
Na ja, in Stuttgart hatte man damals noch nicht die finanziellen Möglichkeiten, der Etat war vielleicht halb so hoch wie heute. Zudem hatten wir einige verletzte Schlüsselspieler wie Jogi Bitter, Mimi Kraus oder Felix Lobedank, das Miteinander hat auch nicht optimal gepasst, aber ich will da keine Ausreden suchen. Wie zuletzt bei Frisch Auf stimmten eben am Ende die Ergebnisse nicht. Aber das alles ist längst Vergangenheit.
Danach arbeiteten Sie in der Immobilienbranche im Gesundheitsbereich. Was haben Sie daraus mitgenommen?
Sehr viel Input auf höchstem Niveau. Wir haben mit dem Olympiastützpunkt zusammengearbeitet, genauso mit der Deutschen Sporthochschule in Köln, etwa im Bereich Diagnostik. Das hat großen Spaß gemacht, aber unstrittig ist: Handball ist das, was ich von der Pike auf gelernt habe und das, was was ich am besten kann.
Hat das nicht auch immer Ihr Mentor Velimir Petkovic gesagt?
Petko ist ja auch der Patenonkel von meinem ältesten Sohn Mika, er hat immer wieder angerufen und gesagt: ‚Du fehlst dem Handball’. Ich habe einiges von ihm gelernt, vor allem, die Spieler miteinzubeziehen, nach dem Motto: Zuckerbrot und Peitsche.
Was sagte denn Ihre Familie zu Ihrer Rückkehr ins schnelllebige Profigeschäft?
Meine Frau meinte, ich soll es machen, wenn ich mich gut dabei fühle. Meine drei Kinder waren auch einverstanden, sie sind ja auch alle sportlich unterwegs.
Ihre Söhne spielen Fußball, Ihre Tochter Chiara Handball beim TV Nellingen. Mit Ihr teilen Sie sich auch eine Wohnung in Stetten im Remstal. Bleibt das ein Dauerzustand?
Unsere Basisstation ist das Haus in Salem-Mimmenhausen am Bodensee. Aber wir haben auch genügend Freiraum in der Wohnung (lacht). Dennoch halte ich die Augen offen, was eine Bleibe in Göppingen betrifft.
Ihr Vertrag läuft bis 2024. Wo wollen Sie mit Frisch Auf hin?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Frisch Auf ist für mich Tradition pur, das ist einer der letzten Handball-Traditionsclubs in Deutschland, ich selbst bin schon als Kind in der damaligen Hohenstaufenhalle bei Jugend trainiert für Olympia aufgelaufen. Später hat man mir als jungem Spieler gesagt: ‚Mach einen weiten Bogen um knallharte Abwehrhaudegen wie Rolf Schlögl’ (lacht). Was ich damit sagen will: Frisch Auf steht für mich für bedingungslose Leidenschaft und Kampfkraft. Dieses positiv verrückte Umfeld kann eine Mannschaft tragen, aber auch hemmen. Gegen den HSV herrschte in der zweiten Hälfte eine geile Atmosphäre, ich hatte Gänsehaut. Mittelfristig wäre es schön, sich im internationalen Geschäft zu etablieren.
Ist die beim Einstieg von Hauptsponsor Teamviewer ausgegebene Vision von der Champions League größenwahnsinnig?
So eine Vision lässt sich nicht durch Fingerschnipsen realisieren. Da fehlen zunächst einmal rund vier Millionen Euro an Etat. In anderen Ländern ist das viel einfacher, da sich meistens nur zwei Teams um diese Plätze streiten. In der Bundesliga aber verlieren die Füchse Berlin eben auch mal beim GWD Minden.
„Final Four wäre Riesensache“
Sie sind im Januar 2023 bei der Handball-WM als Experte für das ZDF im Einsatz, am 10. Januar startet das Training bei Frisch Auf. Wie lässt sich das vereinbaren?
Der Vertrag mit dem ZDF steht, das stimmt. In der Vorrunde bin ich im polnischen Kattowitz im Einsatz. Von dort aus gibt es eine gute Flugverbindung nach Stuttgart. Wir werden das hinbekommen.
Was wollen Sie in dieser Saison mit Frisch Auf erreichen?
Wir wollen in der Bundesliga in der Tabelle Richtung Mittelfeld klettern, und wenn wir in der European League das Final Four erreichen würden, wäre das eine Riesensache.
Oberhaupt einer sportlichen Familie
Karriere
Markus Baur wurde am 22. Januar 1971 in Meersburg geboren. Er bestritt 228 Länderspiele für Deutschland, wurde Europameister 2004 und war Kapitän des Weltmeisterteams von 2007. Er spielte für den VfL Pfullingen, die SG Wallau-Massenheim, den TV Niederwürzbach, die HSG Wetzlar, den TBV Lemgo und Pfadi Winterthur (Spielertrainer). Als Coach lauteten seine Stationen TBV Lemgo, TuS N-Lübbecke, Kadetten Schaffhausen, deutsche Junioren-Nationalmannschaft, TVB Stuttgart und seit 30. November Frisch Auf Göppingen.
Privates
Baur ist verheiratet mit Marion. Das Paar hat drei Kinder, Chiara (23) spielt Handball bei Drittligist TV Nellingen, Mika (18) Fußball beim SC Freiburg II und in der deutschen U-19-Nationalmannschaft, Kimi (14) ist auch Fußballer im NLZ des SC Freiburg. Hobbys: Skifahren und Tennis.