Der 2014 verstorbene Mahlberger Historiker Josef Naudascher hat die Geschehnisse am Orschweierer Bahnhof recherchiert und festgehalten. Foto: vi Foto: Lahrer Zeitung

Geschichte: Freiheitskämpfer stoppten am 23. September 1848 einen Militärzug / Aufstand scheiterte

Orschweier. Am 23. September 1848 ist Orschweier mit seinem Bahnhof für einige Stunden in den Mittelpunkt der badischen Demokratiebewegung am südlichen Oberrhein gerückt. Der Mahlberger Historiker und Ehrenbürger Josef Naudascher hat die Ereignisse vor 170 Jahren einst recherchiert und niedergeschrieben.

Die Wurzeln zu den Freiheitsbewegungen, aus der alle späteren Aufstände im mittleren Europa entstanden, entspringen der ersten französischen Revolution von 1789. Im Laufe der Zeit sprang die freiheitliche Idee wie ein Funke auch über die Grenzen, auch nach Deutschland.

1842 trat erstmals der Freiheitskämpfer Friedrich Hecker auf den Plan, der von dem republikanischen Advokaten Gustav von Struve unterstützt wurde. Im Amtsbezirk Ettenheim bekannte sich 1846 der Buchbinder und Engel-Wirt Johann Nepomuk Winkler von Grafenhausen, zur freiheitlichen Idee.

Gasthäuser – Keimzellen des Widerstands

Er hatte bereits 1845 zwecks öffentlicher Versammlungen das Gasthaus zum Engel gegründet. Winkler hatte bald Kontakt zu freiheitlich gesinnten Männern wie von Struve und Hecker. In der Folgezeit wurden viele Gasthäuser im Bezirk Ettenheim zu Keimzellen der bald folgenden Aufstände und der "Engel" in Grafenhausen zum zentralen Ort der freiheitlichen Gesinnungsgenossen.

Im April 1847 veranlasste die Staatsanwaltschaft bei Winkler eine Hausdurchsuchung. Der Vorwurf: Hochverrat. Die gefundenen Flugblätter und Schriftstücke führten dazu, dass Winkler durch das Großherzogliche Hofgericht zu Freiburg verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt wurde. Obwohl die Gemeinde ihn als "rechtschaffenen, charaktervollen Mitbürger mit gutem Leumund" bezeichnete, wurde Winkler wegen versuchten Hochverrats und Majestätsbeleidigung zu einer Arbeitshausstrafe von sechs Monaten verurteilt. Erst durch eine Amnestie für politische Verbrechen durch Großherzog Leopold wurde Winkler im März 1848 wieder auf freien Fuß gesetzt. Er und weitere Republikaner aus dem Bezirk Ettenheim setzten sich für einige Zeit ins Elsass ab. Doch ihr freihheitlicher Wille war ungebrochen.

So kam es, dass im September 1848 Orschweier plötzlich im Fokus der revolutionären Bewegung stand. Im Auftrag des Großherzogs in Karlsruhe sollten Soldaten mit der neugeschaffenen Eisenbahn nach Lörrach gebracht werden, um dort eine Revolte niederzuschlagen. Man erfuhr von diesem Plan und beabsichtigte die Eisenbahnlinie bei Orschweier zu zerstören, um den Soldatentransport zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Winkler und seine Gesinnungsgenossen brachten in kürzester Zeit eine große Schar teils bewaffneter Republikaner aus dem Bezirk Ettenheim zusammen. Die Freiheitskämpfer aus Kappel marschierten mit Winkler, die Grafenhausener mit dem Schullehrer Mutschler und Kaufmann Damas Rauch, die Mahlberger mit Kronen-Wirt Karl Kuhn, dem Löwen-Wirt Anton Binz an der Spitze zum Gasthaus Krone am Bahnhof Orschweier. Zu ihnen stießen die Ettenheimer mit einigen Republikanern aus anderen Orten. In der "Krone" versammelten sich die republikanischen Scharen. Man beschloss, den Bahnverkehr südlich vom Bahnhof zu unterbrechen.

Die Republikaner warfen die Gleise in den Bach

Die Aktion begann um Mitternacht vom 22. auf den 23. September. Die 81 Freiwilligen aus Ettenheim, Grafenhausen, Kappel, Mahlberg, Nonnenweier, Orschweier, Ringsheim und Rust bauten die Gleise über dem Ettenbach ab, warfen sie in den Bach und demontierten die Brücke. Gegen 5 Uhr am Morgen kam der erste Militärzug aus Karlsruhe in Orschweier an. Auch die Fahrt eines zweiten Zuges war vorerst gestoppt.

Trotz der gelungenen Zeitverzögerung scheiterte der Aufstand bei Lörrach und von Struve verlor mit seinen Freischaren endgültig den Kampf und floh. Wieder entkam eine große Zahl Republikaner aus dem Bezirk Ettenheim und setzte sich ins Elsass ab. Sie ergaben sich beim Militäraufstand 1849, der ebenfalls scheiterte.

Winkler blieb in Frankreich und starb später in Paris. Die Badische Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts war ein Meilenstein für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland, bis zu deren endgültigem Durchbruch es allerdings noch lange dauern sollte.