In 'Bis aufs Blut' von Oliver Kienle spielen Jacob Matschenz (li.)und Burak Yigit die Hauptrollen Foto: Camino Filmverleih

Hart an der gesellschaftlichen Realität: Die Abschlussarbeiten Ludwigsburger Filmakademie.

Ludwigsburg - So viele Filme haben Studierende der Ludwigsburger Filmakademie in diesem Jahr produziert, dass bei der Abschlusspräsentation "Highlights" in dieser Woche erstmals zwei Säle parallel bespielt wurden. Der Hauptgrund: Anders als früher haben erstmals gleich drei Absolventen 90-minütige Spielfilme gedreht.

Hart an der Gegenwart sind sie alle. "Shahada" von Qurbani Burhan, ein Episodenfilm über Krisen, Konflikte und Missverständnisse, die in Deutschland lebende Muslime erfahren, hat es in den diesjährigen Berlinale-Wettbewerb geschafft, am 9. September kommt er ins Kino. Dort ist das Roadmovie "Cindy liebt mich nicht" von Hannah Schweier bereits. Sie erzählt die Geschichte zweier gegensätzlicher junger Männer, die gleichzeitig mit derselben rätselhaften Frau liiert waren, die nun verschwunden ist. Also machen sie sich widerwillig gemeinsam auf die Suche und stoßen auf etwas, das die Gesellschaft gerne ausblendet, weil sie es mitverschuldet: Erkrankungen der Seele.

Ausgeprägter Sinn für spektakuläre Inszenierung

Für Furore wird auch der dritte im Bunde sorgen, für Kontroversen wohl auch: Rasant geschnitten, technisch versiert auf visuelle Kargheit getrimmt und in krasser Straßensprache erzählt ist Oliver Kienles Drama "Bis aufs Blut" ein explosiver Cocktail aus jugendlichem Übermut, familiärer Zerrüttung, drogengeschwängerten Illusionen und falschen Freunden. Seit der Grundschule sind Gymnasiast Tommy und Hauptschüler Sule unzertrennlich, sie dealen mit Gras und träumen von einer Autotuning-Werkstatt - bis Tommy nach einer Razzia für ein halbes Jahr ins Gefängnis muss, wo er zum Opfer wird, während in seinem Freundeskreis ein Teufelskreis in Gang kommt.

Mit ausgeprägtem Sinn für eine spektakuläre Inszenierung blickt Kienle in die Abgründe der Gesellschaft. Beim Max-Ophüls-Festival hat der Film, in dem "Tatort"-Kommissarin Simone Thomalla als ohnmächtig alleinerziehende Mutter zu sehen ist, den Publikumspreis gewonnen. Gedreht wurde der Streifen in Würzburg, ansonsten ist er ein baden-württembergisches Vorzeigeprojekt: Mit dem Drehbuch gewann Kienle auf der Berlinale 2009 den Strittmatter-Preis der MFG-Filmförderung, als Produzenten standen der Filmakademie die Ludwigsburger Firma CP Medien sowie der SWR zur Seite - und ins Kino kommt "Bis aufs Blut" über den Stuttgarter Verleiher Camino.

Die Animation ist eine Spezialität der Akademie

 Filmakademie-Leiter Thomas Schadt, der die Produktion abendfüllender Diplom-filme vorangetrieben hat, ist zufrieden: "Mich freut besonders, dass Studierende den Mut haben, gesellschaftsrelevante Themen anzupacken", sagt er. "In allen Filmen werden Geschichten zu tieferliegenden Konflikten erzählt, und für mich ist es die Aufgabe von Film, zu solchen Themen eine Haltung zu entwickeln." Eine solche zeigen viele "Highlights". Daniel Karl Krause etwa erzählt in seinem 40-Minüter "Vatermutterkind" von Möchtegern-Bohemiens, die dank guter Jobs in einem extravagant eingerichteten Wohlstands-Loft residieren und ständig mit Freunden umnebelte Partys feiern. Um ihre neunjährige Tochter Mieke kümmern sie sich punktuell, wenn es gerade ins Spiel passt, als das sie das Leben verstehen, frei von jeder Verantwortung. Krause bleibt dicht an der Wahrnehmung des vernachlässigten Kindes, das hier in seiner Suche nach Halt auch in irrationalen Momenten als der einzig vernünftige Mensch erscheint.

Viele Filme der Akademie wären nicht machbar ohne Geldgeber von außen, und die Sparkasse Ludwigsburg hat sich als verlässlicher Partner bundesweit einen Namen gemacht. Entsprechend oft kommt sie vor in Reden und Danksagungen, aber auch auf der Leinwand - in etlichen Spots von Werbefilmstudenten. Ein originelles Beispiel, das nebenbei die aktuelle Krise kommentiert: In Hauke Hilbergs 50-Sekünder "Kundenzufriedenheit 2.0" berät der Bankvorstand ebendiese. Zwei Männer schlagen vor, Fähnchen zu verteilen, doch der Vorsitzende winkt ab. Eine Dame bringt die naheliegende Idee: freundliche Beratung von Mensch zu Mensch. Der Chef ist begeistert. Was sie dazu brauche? Sie zählt auf: Hunderte Filialen, Tausende Mitarbeiter - und schon findet der Chef die Fähnchen gar nicht mehr so schlecht.

Die Animation ist eine Spezialität der Akademie

Die Sparkasse stiftet auch den mit 3000 Euro dotierten Publikumspreis der Highlights. Er geht an den Pilotfilm für eine TV-Serie: "Alle Jahre wieder" heißt das Projekt von Matthias Schmidt und Gregor Eisenbeiß, die eine fiktive Familie Jahr für Jahr über die konfliktträchtigen Weihnachtstage besuchen und mit Vergnügen im Beziehungssalat stochern.

Auch die lange Tradition des südwestdeutschen Dokumentarfilms wird an der Filmakademie gepflegt. Silvana Santamaria widmet sich in "Nirgendwo. Kosovo" dem Schicksal eines 28-jährigen Flüchtlings, der nach 17 Jahren in Deutschland in das Kosovo abgeschoben wurde, wo er sich ohne Familie, Wohnung und Job durchschlägt - eine Migrantengroteske par excellence. Ganz anders gelagert ist Anett Vietzkes Diplomfilm "Prost, mein Engel", sie hat drei Wirtinnen sogenannter Eckkneipen unter die Lupe genommen, eine im Schwäbischen, eine hoch im Norden und eine an der polnischen Grenze. In der Öffentlichkeit werden die Damen und ihre Lokale gern belächelt, doch Vietzke blickt tief unter die proletarische Oberfläche und zeigt, dass sie eine wichtige soziale Funktion erfüllen.

Die Landespolitik hat ihren Fokus zuletzt verstärkt auf TV-Serien und Animation gelegt, die Krimireihe "Soko Stuttgart" und der Kindertrickfilm "Ritter Rost" etwa wurden großzügig gefördert. Thomas Schadt, selbst profilierter Dokumentarfilmer, sieht darin keine Gefahr für andere Genres - schon gar nicht im eigenen Haus: "Eine Akademie dieser Größe muss ein Gefäß für alle Interessen sein. Ich plädiere für Offenheit, jede Einkastelung finde ich schwierig", sagt er. "Wenn Dominik Graf eine TV-Serie dreht, fällt das im weiteren Sinne auch unter die Kategorie ,Arthaus', die ja nicht auf 90-Minüter und singuläre Werke beschränkt sein muss. Und die Animation ist eine Spezialität des Landes, nicht nur der Filmakademie. Hiesige Firmen agieren weltweit, das ist eine gewachsene Stärke, auf die man setzen sollte."

Die jungen Filmemacher nutzen konsequent die Möglichkeiten, die die Akademie bietet. Nähme man die Qualität ihrer Arbeiten zum Maßstab, müsste einem um die Qualität des Kino- und TV-Programms von morgen nicht bange sein.