Linke-Chef in unserer Leseraktion über Sparkurs, Steuererhöhung und Mindestrente

Oberndorf. Bernd Riexinger, seit Juni 2012 Linke-Chef, geht zuversichtlich in die Bundestagswahl. Unserer Zeitung sagt der 57-Jährige: "Wir kratzen bundesweit inzwischen wieder an der Zehnprozentmarke." Immer wieder heißt es: Wenn die Linke mitregiert, dann werden viele reiche Deutsche das Land verlassen und die Wirtschaft wird zusammenbrechen. Ist dies zu befürchten? (fragt Erhard Benzing aus Nagold) Das ist Unsinn. Man darf doch Menschen mit Millionärshintergrund nicht pauschal als Egoisten darstellen. Aber es ist richtig: Wir wollen mit Steuern Geld von oben nach unten umverteilen und die arbeitende Mitte entlasten. Spitzensteuersatz rauf auf 53 Prozent, Grundfreibetrag auf 9300 Euro anheben, Steuertarif linearisieren und Kindergeld auf 200 Euro erhöhen, das sind die Kernpunkte. Alle mit weniger als 6000 Euro brutto zahlen dann weniger Steuern. Und ich glaube auch nicht, dass die Superreichen auswandern, weil wir von der zweiten Million 50?000 Euro Steuern haben wollen. Da ist ja der Umzug teurer, und anderswo werden Vermögen weitaus stärker besteuert. Die Linke prangert die wachsende soziale Ungleichheit an, die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Sparpolitik inEuropa. Warum kann die Partei dadurch nicht mehr punkten? (fragt Karl-Heinz Schlenker aus Balingen) Wir kratzen bundesweit inzwischen wieder an der Zehnprozentmarke. Die Richtung stimmt also seit unserem Göttinger Parteitag wieder, und ich bin Optimist, das heißt, für mich ist das Glas halbvoll und nicht halbleer. Aber ich frage mich als Vorsitzender schon, wie unsere Partei für ihre mehrheitsfähigen Forderungen wie den Mindestlohn oder die Mindestrente mehr Zustimmung erhalten kann. Eine Antwort lautet: Wir nennen nicht mehr nur unsere politischen Ziele, sondern reden auch stärker darüber, wie wir sie erreichen können. Anders gesagt, wir machen klar, dass wir neben Protest auch Gestaltung können. Die Öffnung hat uns nicht geschadet. Warum erhalten West-Rentner seit Juli nur 0,25 Prozent mehr Rente? (fragt Annerose Rooß aus Lahr) Weil schon Rot-Grün unter Schröder mit den Chaosrentenreformen das seit Adenauer geltende Prinzip der Kopplung der Löhne an die Renten zerstört hat. Die Renten sind schon seit der Jahrtausendwende auf Schrumpfkurs. Das haben Schröder und Merkel politisch so gewollt. Wenn man es ändern will, muss man die Rentenformel ändern. Wir wollen eine echte Rentengarantie. Das heißt: Das Rentenniveau darf nicht weiter sinken, die Renten dürfen nicht langsamer als Löhne und Preise steigen. Dazu müssen wir natürlich auch die Rentenbeiträge etwas steigern, aber das ist kein Problem, weil auf der anderen Seite die Notwendigkeit der privaten Vorsorge entfällt. Mit welchen politischen Maßnahmen wollen Sie unsere Wirtschaftsweise so verändern, dass sie zukunftsfähig wird, wir die Erde nicht ausbeuten und damit wir unseren Nachkommen eine Chance lassen, in ähnlichem Wohlstand leben zu können, wie es uns vergönnt ist? (fragt Franz Groll aus Gechingen) Die Antwort auf diese Frage würde mehr als eine Zeitungsseite füllen. Am wichtigsten dürfte sein, dass wir den seit Jahren ungebrochenen Trend zur Übertragung der Logik der Finanzmärkte auf immer größere Bereiche von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft stoppen und umkehren. Die Orientierung auf kurzfristige Rendite und Profitmaximierung führt zwangsläufig zu einer exzessiven Verschwendung der natürlichen Ressourcen. Im Einzelnen werden wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wirtschaftliches Handeln wieder stärker reguliert und an den Interessen des Gemeinwohls ausgerichtet wird. Was tun Sie gegen Verkehrslärm und Risiken durch Raserei? (fragt Ernst Kübler aus Glatten) Erstens haben wir keine Angst davor, ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern zu fordern. Und auch in den Städten kann man darüber nachdenken, ob nicht die eine oder andere Straße mehr auf Tempo 30 gesetzt werden kann, wenigstens nachts. Das macht die Straßen sicherer und den Verkehr leiser. Im Übrigen sind wir dafür, dass die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten deutlich ausgeweitet werden. Gelebte Beteiligung führt zum Interessenausgleich. Die produktive Mitte ? die Steuerzahler zwischen 20 und 65 Jahren ? wird ab 2025 dramatisch abnehmen. Ist es nicht sinnvoller, jetzt schon mit maßvollen Steuererhöhungen gegenzusteuern und so ein Polster für die Zukunft aufzubauen? (fragt Wolfgang Borkenstein aus Birkenfeld) Entscheidend ist nicht die Zahl derer, die produzieren, sondern der Wert dessen, was sie produzieren. Das ist die Produktivität, und die steigt Jahr für Jahr. Entscheidend ist, dass wir den gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand gerecht besteuern, damit wir uns auch ein gut funktionierendes Gemeinwesen leisten können. Protzige Bankentürme und verrottende Schulen, das passt für mich nicht zusammen. Das heißt, dass sich am Steuersystem trotzdem viel ändern muss. Die arbeitende Mitte muss entlastet, und hohe Einkommen und Vermögen müssen stärker besteuert werden. Was spricht dagegen, eine Pkw-Maut einzuführen, wenn gleichzeitig die Kfz-Steuer gesenkt werden würde? (fragt Monika Hopf aus Rottweil-Hausen) Eine Pkw-Maut ist unsozial, weil sie vor allem diejenigen trifft, die ihr Auto brauchen, um zu arbeiten oder auf Arbeit zu kommen, also die Berufspendler. Das machen wir keinesfalls mit. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit Steuern ökologisches Verhalten fördern. Da gibt es viele kreative Möglichkeiten. Eine Maut errichtet lediglich soziale Mauern auf den Straßen. Welche Vorstellungen sind in Ihrer Partei entwickelt worden, damit Menschen mit Handicap abseits vom ersten Arbeitsmarkt ihre Talente für die Gemeinschaft einbringen und daraus einen möglichst großen Teil ihres Auskommens selbst erzielen können? (fragt Uwe Loschen aus Rottweil) Unsere Programmatik orientiert sich am Prinzip der inklusiven Gesellschaft. Alle Gesetze und Verordnungen sind deshalb auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention zu überprüfen. Zu den wichtigsten konkreten Punkten gehört der Abbau baulicher und kommunikativer Barrieren und eine barrierefreie Mobilität im öffentlichen Nahverkehr. Um das Recht auf gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen zu verwirklichen, wollen wir die Mindestbeschäftigungsquote auf sechs Prozent anheben und die Ausgleichsabgabe bei Verstoß mindestens verdreifachen. Der Sonderstatus von Werkstattbeschäftigten muss abgeschafft, ihr Arbeitnehmerrecht gestärkt sowie gleicher Lohn bei gleicher Arbeit durchgesetzt werden.