Das Orginalmanuskript von Kafkas Roman "Der Process" ist schon im Marbacher Literturarchiv zu sehen. Die Briefe an seine Schwester Ottla soll bald folgen. Foto: dpa

Das Marbacher Literaturarchiv möchte Kafkas Briefe an seine Schwester Ottla erwerben.

Marbach - Im Marbacher Literaturarchiv befindet sich das Originalmanuskript zu Franz Kafkas "Process" sowie der Briefwechsel mit seiner Freundin Milena und weitere Korrespondenzen des Dichters. Weitere Nachlässe zu Kafka sollen folgen, unter anderem die Briefe von ihm an seine Lieblingsschwester Ottla.

45 Briefe, 32 Postkarten und 34 Bildpostkarten stehen zu Disposition zu einem Schätzpreis von 500.000 Euro im Berliner Auktionshaus J. A. Stargardt. Der Enkel der engen Vertrauten von Kafka hat sie frei gegeben. Wie Ulrich Raulff, Direktor des Marbacher Literaturarchivs, in einer Mitteilung erklärte, seien diese zuvor ihm angeboten worden, fügt allerdings hinzu: "zu einem deutlich höheren Preis." Momentan habe er keine Möglichkeit, mitzusteigern, doch er gibt die Hoffnung nicht auf: "Vielleicht ergibt sich ja der glückliche Fall, dass wir mit Hilfe von Sponsoren oder aufgrund einer großzügigen Geste in die Lage versetzt werden, zu bieten", Marbach habe erste positive Signale verlässlicher Partner erhalten. "Es steht außer Frage: Das ist die Herz zehn - die gibt man nicht leichtfertig aus der Hand", so Raulff zu dieser Korrespondenz mit Ottla. Vorwürfe, er vergebe eine große Chance, stellt Raulff dagegen: "Wer diese Vorwürfe erhebt, soll mir das Geld in die Hand geben. Ich kann nur kaufen, was ich auch bezahlen kann."

"Die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder"

Ulrich von Bülow, der Leiter der Archiv-Abteilung im Literaturarchiv, unterstreicht die Bedeutung der Korrespondenz mit der Lieblingsschwester: "Es ist der längste Briefwechsel, den Kafka geführt hat. Hier zeigt er sich von seiner ganz privaten Seite. Bekannt sind ja die Briefe an Felice Bauer, Grete Bloch, Hedwig Weiler oder an Milena, das sind überwiegend Liebeskorrespondenzen. Und es gibt poetologische und geschäftliche Korrespondenzen mit Max Brod. Ottla dagegen berichtet er von ganz alltäglichen Dingen seines Lebens" Briefe übrigens, die die allesamt schon kritisch-historisch herausgegeben worden sind und die in zahlreichen Büchern über Kafka zitiert werden.

Das Deutsche Literaturarchiv hat gerade in den letzten Jahren bedeutende Briefe von Kafka erworben. Von Bülow: "Wir konnten die Kafkas Briefe an Hedwig Weiler von deren Erben in den USA kaufen und bemühen uns jetzt, die bedeutenden Briefe an Grete Bloch zu erwerben, aber das geht nicht mit eigenen Mitteln.Wir sind auf Sponsoren angewiesen, und ich hoffe, wir finden auch noch welche für die Briefe an Ottla Kafka, denn die Gelegenheit, diese für die Forschung zu sichern, kommt vermutlich so schnell nicht wieder."

Und nach wie vor ist Marbach auch am Nachlass von Kafkas Freund Max Brod interessiert, in dem sich ebenfalls noch einiges von Kafka befinden könnte. Doch darüber herrschen Erbstreitigkeiten in Israel. Zur Erinnerung: Bevor Kafka 1924 in Prag an Tuberkulose starb, übergab wer seinem Freund Max Brod seine unveröffentlichten Manuskripte mit dem Auftrag, diese nach seinem Tod zu verbrennen, was dieser bekanntlich nicht tat. 1939 ging Brod nach Israel ins Exil, wo er 1968 starb.

"Bei den Reichen sind Originale von ihm sehr gefragt"

So hat Brod in einem Koffer Manuskripte von Kafka nach Tel Aviv mitgenommen. Diese waren zwischengelagert bei dem späteren Verleger Schocken. Dieser Kafka-Nachlass wurde später an die Familie zurückgegeben, die ihn wiederum nach Oxford weiterleitete, wo sich heute der größte Teil des Kafka-Nachlasses befindet. Noch zu seinen Lebzeiten hat Max Brod einige Dinge, die ihm Kafka geschenkt hat, wie der Briefwechsel der beiden, seiner Lebensgefährtin Ester Hoffe geschenkt. Diese hat dies ebenfalls noch zu ihren Lebzeiten ihren beiden Töchtern geschenkt. Parallel dazu hat Brod seinen eigenen Nachlass Ester Hoffe per Testament vermacht. Und diese hat den Brod-Nachlass ebenfalls per Testament ihren Töchtern vererbt.

Um dem Willen ihrer Mutter und letztlich auch Max Brod zu entsprechen, haben die Töchter signalisiert, der Brod-Nachlass möge nach Marbach gehen. Auch die Nationalbibliothek in Jerusalem interessiert sich für den Brod-Nachlass. "In einem patriotischen Überschwang", so von Bülow, "wurde von Seiten der Nationalbibliothek in diesem Zusammenhang am Rand auch die Frage gestellt, ob es Recht gewesen sei, dass wir im Jahre 1988 bei Sotheby's in London das Manuskript von "Der Process" ersteigert haben".

"Bei den Reichen sind Originale von ihm sehr gefragt"

Von Bülow: "Die Versteigerung fand öffentlich statt und ist vollkommen juristisch vollkommen unanfechtbar. Damals hätte jede andere Einrichtung, natürlich auch die Nationalbibliothek, mitsteigern können. Und es bestehen auch keinerlei Zweifel daran, dass die Briefe von Kafka an seine Schwester im April rechtskräftig versteigert werden.

Von Bülow hofft auch im Interesse der Wissenschaft, dass diese Korrespondenz in ihrer Gesamtheit erhalten bleibt: "Das kann nur eine öffentliche Einrichtung gewährleisten." In diesem Fall garantiert auch das Auktionshaus Stargardt, dass die Briefe im April geschlossen versteigert werden. Freilich könne es auch passieren, dass ein Sammler oder ein anderer Auktionator den Zuschlag erhält, der dann danach zu einem späteren Zeitpunkt die Briefe einzeln versteigert. Deshalb setzt er auch auf Marbach und das Literaturarchiv. Freilich, die Zeit, jetzt noch die nötigen Geldmittel für das Ersteigern zu finden, ist knapp, "doch wir geben die Hoffnung nicht auf", so von Bülow: "Es wäre doch sehr schade für die Forschung, wenn diese Briefe 100 verschiedene Besitzer haben".

Denn diese Erfahrung hat von Bülow schon 1988 bei der Versteigerung von Kafkas "Process" gemacht: "Kafka ist ein sehr bekannter Autor, auch bei den Reichen sind Originale von ihm sehr gefragt. Zu diesem Auktionstermin kamen Interessierte aus den verschiedensten Teilen der Bevölkerung, da waren auch Industrielle oder Verleger dabei. Da sind etliche Millionen zusammengekommen. Bei anderen Autoren funktioniert das nicht so". Aber auch wenn diese Briefe nicht so prominent sind wie das Manuskript, von Bülow geht davon aus, dass es auch hier nicht bei dem Endpreis von 500.000 Euro bleiben wird.