Zuerst konnte Christoph Kessler mit dem Bild von Willi Wülbeck (oben im blauen Trikot) nichts anfangen. Doch die Zeit des deutschen Rekords kannte der Donaueschinger natürlich. Foto: Wiedemann

Leichtathletik: Donaueschinger lebt seinen Traum. U23-EM und Universiade sind die ersten Ziele.

22 Grad, Sonnenschein, ein (noch) verwaistes Anton-Mall-Stadion. Christoph Kessler ist auf Heimatbesuch in Donaueschingen. Doch ohne Training geht für das 800-Meter-Ass nichts. Der 22-Jährige schließt die Leichtathletik-Garage auf, findet schnell den Startblock.

Eigentlich wollte der frühere Athlet der LG Baar/LV Donaueschingen in seinem Ex-Stadion auf der roten Tartanbahn einige für seine Ansprüche eher gemütliche Runden drehen. "Doch dann hat mein Coach den Trainingsplan verändert", lacht Christoph Kessler. Also braucht er doch den Startblock, stellt diesen in gewohnter, automatisierter Weise ein. 300 Meter in der Richtzeit von 36 Sekunden, 200 Meter in 24,5 Sekunden und die 150 Meter in 18 Sekunden, dies fordert sein Trainer von der LG Region Karlsruhe, für die er seit 2013 startet.

Es geht also am Montagvormittag um die Grundschnelligkeit, das Sprintvermögen. "Diese ist für einen 800-Meter-Läufer unablässig", weiß der Student der Verfahrenstechnik am KIT (Karlsruher Instituts für Technologie), dass er sich gerade in diesem Bereich noch verbessern muss. "Wir haben in Deutschland keinen 800-Meter-Mann, der die 400 Meter in 45 Sekunden läuft. Dies schaffen aber die Weltklasseathleten", denkt der gebürtige Donaueschinger auch an den Weltrekord von David Lekuta Rudisha. 1:40,91 Minuten brauchte der Kenianer 2012 bei seinem Olympiasieg in London über die beiden Stadionrunden.

Christoph Kessler hat sich zwischenzeitlich auf eine der vielen Holzbänke des Anton-Mall-Stadions gesetzt, genießt die Kraft der Sonne. Ein guter Augenblick für die erste Quizfrage.

Herr Kessler, was sagt Ihnen die Zeit 1:43,65 Minuten?

Da muss ich kurz überlegen. Dies müsste der derzeitige deutsche Rekord über 800 Meter sein.

Richtig. Und wer hält diesen?

Ich glaube Willi Wülbeck. Das ist aber sehr lange her.

Genau: Wülbeck lief den Rekord bei seinem WM-Sieg 1983 in Helsinki.

Und an diese Zeit wird in absehbarer Zeit kein deutscher Läufer herankommen. Der 22-Jährige weiß also um den Abstand der deutschen – und der meisten europäischen – Athleten zur Weltspitze. Doch in Deutschland mischt der nationale Jugendmeister von 2014 und U23-Titelträger von 2016 ganz vorne mit. Kein Wunder, dass Kessler in diesem Jahr die Farben des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) bei gleich zwei internationalen Großereignissen vertreten will. "Bei der U23-EM in Polen und der Universiade in Taiwan würde ich schon sehr gerne starten", gibt der frühere Turner ("Eine bessere Grundlage gibt es für Leistungssportler nicht") seine Ziele preis. Die Norm – 1:47,50 Minuten für die U23-Europameisterschaft – sollte Kessler auf jeden Fall packen. "Doch das schaffen wohl nicht nur drei Deutsche. Und in Polen darf eben nur ein DLV-Trio starten", geht der Donaueschinger davon aus, dass am Ende eine Zeit von unter 1:47 Minuten für ein EM-Ticket notwendig sein wird. Ähnlich sieht es aus, will er bei der Universiade in Asien sein Können zeigen.

Zeit für den zweiten Teil der kleinen Fragerunde.

Herr Kessler, die Zeit 1:47,02 Minuten dürfte Ihnen bekannt sein.

Klar, dies ist meine bisherige persönliche Bestleitung.

Also ist ein weiteres Ziel, dass die Ziffer 46 bald auf der Ergebnisliste auftaucht?

Auf jeden Fall. Ich war schon mehrfach nahe dran, die 1:47-Barriere zu durchbrechen. Ich hoffe, dass mir dies sehr bald gelingt. Das ist mein ganz großes Ziel. Muss es auch. Denn bis zum Juni ist die Unterbietung der Norm für die U23-EM Pflicht, sonst ist er in Polen nicht dabei. Klar, dass Christoph Kessler nach der intensiven Vorbereitungsphase ("Da trainiere ich schon zwei Mal an einem Tag") nun zahlreiche Wettkämpfe in seiner Spezialdisziplin absolviert. "Ich bin mir sicher, dass ich die geforderte Zeit schaffe", geht der 22-Jährige mit viel Optimismus in die Freiluftsaison.

Das Selbstvertrauen kommt nicht von ungefähr. Der Winter verlief gut. Höhepunkt war die Teilnahme an der Hallen-EM in Belgrad. Hier kam für ihn allerdings in einem von vielen Positionskämpfen gekennzeichneten Vorlauf das Aus. Ohne Ellenbogeneinsatz geht auf den Mittelstrecken eben wenig. "Auch deshalb sind Einheiten im Kraftraum und im Fitnessstudio selbstverständlich", ist Kessler froh, dass er im KIT diese Möglichkeiten vorfindet.

Apropos Studium. Derzeit schreibt der Donaueschinger an seiner Bachelorarbeit. "Dabei geht es um die Rückspülung von Filtergeräten", hofft der 22-Jährige, dass er mit seiner Studie das Verfahren verbessern kann. Schon sicher ist, dass Kessler danach ab dem Herbst in Karlsruhe ("Dort fühle ich mich sehr wohl. Ich kann fast alles mit dem Fahrrad machen") noch ein Masterstudium anhängt. "Dann kann ich auch weiter mit meiner Trainingsgruppe, vielleicht der besten in Deutschland, die Einheiten bestreiten."

Dies ist am Montag im Anton-Mall-Stadion anders. Kein weiterer Läufer ist in Sicht. "Es ist schon in Ordnung, einmal alleine die Runden zu drehen. Aber im Team macht es schon viel mehr Spaß", stellt der Gewinner von zahlreichen Landesmeisterschaften klar. Stichwort Spaß. Kessler bekommt den Kick, wenn er seine läuferischen Grenzen auslotet. "Das ist ein enorm gutes Gefühl", betont der 800-Meter-Läufer, der es sich gut vorstellen kann, mittelfristig auf die 1500 Meter zu wechseln. "Vielleicht sind da, auch international, die Chancen größer. Ich bin ja nicht der beste Sprinter", verweist er auf seine Bestzeit über 400 Meter – 48,9 Sekunden.

Kommen wir also zu den Master-Fragen in unserem kleinen Quiz.

Herr Kessler, ich sage nur 1:45,90 Minuten.

Da muss ich erst einmal lachen. Dies ist die Norm für die Aktiven-Weltmeisterschaft in diesem Jahr in London. Es wäre natürlich ein großer Traum, mal bei einer WM oder sogar bei Olympischen Spielen zu starten. Aber für mich geht es in diesem Jahr vor allem darum, die Norm für die U23-Europameisterschaft und die Universiade zu unterbieten.

Haben Sie denn die 1:45,90 Minuten schon drauf?

Ich denke, bei einem optimalen Lauf ist vieles möglich.

Also auch das WM-Ticket?

Das schließe ich zumindest nicht aus. Christoph Kessler lebt also seinen Traum. Deshalb geht es für ihn nach der Grundschnelligkeitseinheit im Anton-Mall-Stadion auch gleich wieder nach Karlsruhe, wo er optimale Trainingsbedingungen vorfindet. Gut möglich, dass er am Abend noch einige Videos seiner Vorbilder anschaut. "Und darunter kann durchaus auch der Lauf von Willi Wülbeck bei der Weltmeisterschaft von 1983 sein. Dies steigert die Motivation", hat der 22-jährige Donaueschinger noch viel vor.