Vor allem in der Gastronomie fehlen Azubis. Foto: Pixabay/robertprax

Die Betriebe wollen ausbilden. Allein: Sie können es nicht. Es gibt schlicht kein Interesse seitens der Azubis. Warum ist das so?

542 offene Ausbildungsstellen hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen im Kammerbezirk gelistet. Die Reutlinger Handwerkskammer meldet für den Landkreis 82 Lehrstellen, für die sich kein Bewerber gefunden hat.

Vor allem in den so genannten „Mangelberufen“ gebe es freie Lehrstellen, sagt Petra Viktoria Brenner von der IHK. „Dazu gehören Handel, Gastronomie und Logistik“, erklärt sie. Verwunderlich für die Expertin: auch begehrte Berufe wie Fachinformatiker oder Industriekaufmann scheinen nicht gefragt zu sein.

Bewerbungen sind auch jetzt noch möglich – und sogar erwünscht

Ähnlich sieht es im Handwerk aus, wie Pressesprecherin Sonja Madeja von der Handwerkskammer weiß. Sie nennt Beispiele: „Maler, Maurer, Stuckateure, aber auch Heizungsbauer und Kfz-Mechatroniker haben freie Lehrstellen.“

Bewerben können sich junge Menschen theoretisch das ganze Jahr über. Allerdings, das geben beide Expertinnen zu bedenken, beginnt im September das neue Berufsschuljahr. „Kommt man später zu einer Klasse dazu, versäumt man Unterrichtsstoff“, sagt Brenner.

Für eine solide Ausbildung gebe es viele gute Gründe. „Zukunftssichere Arbeitsplätze, eine praxisorientierte Ausbildung und kreatives Arbeiten“, wirbt man seitens des Handwerks. Madeja: „Vor allem die so genannten Klimaberufe haben einen regen Zulauf, denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind langfristige Herausforderungen.“

Ihre IHK-Kollegin ergänzt mit dem praktischen Lernen von Anfang an, den sehr guten Aufstiegschancen und dem vielleicht zugkräftigsten Argument, nach der Schule in eine Ausbildung einzusteigen: „Man hat sein eigenes Einkommen und verdient sofort Geld.“ Außerdem hebt sie die geregelten Arbeitszeiten hervor. „Laut einer Studie verdient man langfristig übrigens mit einem Ausbildungsberuf kaum schlechter als ein Akademiker.“

Was mag gegen eine Lehre sprechen? „Man hat weniger Ferien als in der Schule oder an der Uni“, räumt Brenner ein. Madeja nennt die immer noch schlechtere Bezahlung als in der Industrie als Gegenargument, das viele junge Leute anbrächten. Und die Arbeitszeiten, zum Beispiel bei Bäckern. „Die sind mit der Work-Life-Balance, die sich junge Leute wünschen, nicht vereinbar.“

Corona habe bei der Handwerkskammer dafür gesorgt, dass mehr krisensichere Berufe gefragt seien, wie erwähnt in den Klimaberufen. Bei der IHK sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: 2021 wurden nur 40 neue Verträge im Hotel- und Gastrobereich geschlossen. Vor der Pandemie waren es 77. Doch es scheint Erholung in Sicht: Zum 31. Juli diesen Jahres wurden 72 Verträge unterzeichnet.

Die Betriebe wissen um das Problem und werben aktiv um Azubis

Die Betriebe lassen sich eine Menge einfallen, um junge Menschen für sich zu gewinnen. „Wir haben Ausbildungsbotschafter am Start“, sagt Madeja, „die Firmen sind bei Messen, bieten Praktika an, sind in den sozialen Medien unterwegs.“

Auch die IHK-Betriebe sind kreativ. „Flache Hierarchien und Ausstattung mit moderner IT-Technik stehen ganz oben auf der Agenda und sind wichtige Signale an die Bewerber“, erklärt Brenner. Die Unternehmen wüssten durchaus, dass sie schon in der Schule ansetzen müssten und böten Schnuppertage und Praktika in den einzelnen Branchen an.

Im Frühjahr hat die IHK eine Umfrage unter ihren Mitgliedsbetrieben gemacht. 282 Antworten flatterten in Reutlingen ein. Ergebnis: „82 Prozent der befragten Betriebe wollen ihr Engagement in der beruflichen Orientierung künftig noch weiter ausbauen.“