Laut der Apothekerschaft werden jedes Jahr mehr als 600 Millionen rezeptfreie Arzneimittel abgegeben. Foto: dpa

Tester der Stiftung Warentest halten viele rezeptfreie Arzneimittel für ungeeignet, um Erkältungen oder Verstopfungen zu behandeln.

Berlin/Stuttgart - Wer Kopfschmerzen und Husten hat, geht zum Arzt – oder einfach nur zum Apotheker. Denn dort gibt es unzählige Pillen, Tropfen und Salben, die von Krankheiten befreien sollen. Und das ganz ohne medizinisches Rezept. Diese Selbstmedikation ist weit verbreitet: Laut der Apothekerschaft werden jedes Jahr mehr als 600 Millionen rezeptfreie Arzneimittel abgegeben. Über den Versandhandel kommt noch eine kleine Menge dazu. Doch nun hat die Stiftung Warentest festgestellt, dass viele dieser rezeptfreien Mittel problematisch sind. Gerade das Zusammenwirken der Mittel mit vom Arzt verschriebenen Arzneien berge zusätzliche Risiken.

Welche Mittel wurden getestet?
Unter der Leitung des Gesundheitsforschers und Pharmazeuten Gerd Glaeske von der Universität Bremen überprüften die Tester mehr als 2000 Medikamente, darunter bekannte Präparate gegen Erkältung, Schnupfen, Halsentzündung, Verstopfung, Durchfall oder Insektenstiche. Das Ergebnis: Fast jedes Dritte war für die Selbstmedikation nicht geeignet. Die getesteten Mittel waren alle rezeptfrei erhältlich. Das bedeutet dass sie von einer entsprechenden Kommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als nichtrezeptpflichtig deklariert wurden. Sie sind aber nur in Apotheken erhältlich. Neben den apothekenpflichtigen gibt es auch freiverkäufliche Mittel, die Wirkstoffe in unbedenklicher Dosierung enthalten wie in Pflanzenextrakten, Vitaminen oder Mineralstoffen. Auch sie wurden getestet.
Von welchen Medikamenten wird abgeraten?
„Bemängelt haben wir bei vielen Mitteln den zum Teil hohen Alkoholgehalt“, sagt Johanna Lederer, Apothekerin bei Stiftung Warentest. So schnitt ein Erkältungssaft mit 18 Prozent Alkohol besonders schlecht ab. Dabei geht es nicht um die Menge des Alkohols, sondern um gefährliche Wechselwirkungen. Denn aufgrund des Alkohols wird nicht nur der Wirkstoff verstärkt, sondern auch mögliche Nebenwirkungen eines weiteren Präparats, das vielleicht eingenommen werden muss. Riskant ist zudem, dass man sich nach der Einnahme besser fühlt – Autofahren scheint kein Problem zu sein. Doch die Wirkung hält meist nur kurzfristig an, warnt Lederer. Schnell setzt erneut Müdigkeit ein, die Reaktionen werden langsamer. Eine weitere bedenkliche Gruppe sind die sogenannten Kombipräparate. Dabei handelt es sich um Mittel, bei denen mehrere Wirkstoffe miteinander kombiniert werden, um mehrere Symptome auf einmal zu bekämpfen. Doch jeder Wirkstoff kann Nebenwirkungen entfalten, die sich dann ebenfalls summieren. „Kombi-Präparate, die wir besonders ablehnen, sind Schmerzmittel, deren Wirkstoffe mit Koffein verbunden sind“, sagt Glaeske. So ließe sich bis jetzt nicht zweifelsfrei nachweisen, dass Koffein die Wirkung von Schmerzmitteln so sehr verstärkt, dass dies für Anwender einen Vorteil bringe. Zum anderen kann die belebende Wirkung des Koffeins dazu verleiten, die Kombipräparate öfter und länger einzunehmen, als geraten. Dann steigt das Risiko für Nebenwirkungen der Schmerzmittel, beispielsweise auf die Nieren oder den Magen-Darm-Trakt. Weitere bekannte Nebenwirkungen sind zudem Schlaflosigkeit, Unruhe und Herzrasen.
Ist rezeptfreie Arznei generell abzulehnen?
Die Stiftung Warentester beantworten diese Frage mit einem eindeutigen Nein. „Es gibt viele Medikamente, darunter auch pflanzliche, die durchaus empfehlenswert sind wie beispielsweise Johanniskrautextraktpräparate und Baldrianpräparate“, sagt der Pharmazeut Glaeske. Auch manche Kombinationen gegen Bluthochdruck sind sinnvoll. Wer sich unsicher ist, sollte beim Arzt und auch beim Apotheker gezielt nachfragen, bestätigt Stefan Möbius, Sprecher der Landesapothekenkammer Baden-Württemberg.
Worauf sollte man als Verbraucher beim Kauf von rezeptfreien Mitteln achten?
Weniger ist oft mehr. Statt bei Erkältungen gleich einen Komplex an Wirkstoffen zu nehmen, sollten die Symptome gezielt behandelt werden, sagt die Apothekerin Johanna Lederer. Beispielsweise hilft bei Schmerzen und Fieber Paracetamol. Bei Schnupfen sollte ein abschwellendes Nasenspray dazugenommen werden.

„Es ist wichtig, dass man in der Apotheke nicht einfach ein bestimmtes Mittel gegen Erkältung verlangt, sondern dem Apotheker seine Beschwerden beschreibt“, sagt auch Stefan Möbius von der Landesapothekenkammer. Wer aufgrund chronischer Leiden regelmäßig Medikamente einnehmen muss, sollte auch diese dem Apotheker nennen. „Nur so kann der Fachmann auch zu einem geeigneten Präparat raten, das keine Wechselwirkung mit den verschriebenen Arzneimitteln erzeugt“, sagt Möbius. Oder den Kunden von der Selbstmedikation abraten und ihn lieber zum Arzt schicken.