Foto: dpa

Hochstapler gesteht vor Gericht: Er habe sich als Arzt ausgegeben, um Patienten zu helfen.

Stuttgart - Der falsche Arzt Dr. Sascha Schenk, der tatsächlich Sascha S. heißt und der über keine Berufsausbildung verfügt, hat vor dem Landgericht Stuttgart ein Geständnis abgelegt. Er habe sich als Arzt ausgegeben, um den Patienten zu helfen, so der 27-jährige Hochstapler.

Sascha S. spricht immer von "wir", wenn er von seinen Kollegen in den beiden Krankenhäusern erzählt, in denen er als Anästhesie- und als Notarzt gearbeitet hat. "Es war irgendwie eine Welt für sich, in der ich mich bewegt habe", antwortet er Ulrich Klein, dem Vorsitzenden Richter der 5.Strafkammer, auf dessen Anmerkung, das Possenspiel habe doch nicht gutgehen können. Der berufslose Hauptschüler hatte mindestens eine Zeit lang alle genarrt. "Ich habe mir keine Gedanken gemacht, es ist ja auch niemandem etwas aufgefallen. Außerdem habe ich immer nur Lob bekommen", sagt der falsche Doktor.

Sascha S. alias Dr. med. Sascha Schenk hat Infusionen und Zugänge gelegt, Blut abgenommen, Patienten vor der Operation sediert und anschließend die Anästhesie vorgenommen, Notfallpatienten nach Unfällen versorgt. Er war dort angekommen, wo er immer hinwollte: Im Reich der Halbgötter in Weiß, die tagtäglich um das Leben von Menschen kämpfen, die Gutes tun - und die ein hohes Ansehen genießen. "Der Hauptgrund war nicht das Geld", sagt der junge Mann aus Böblingen. Er habe Menschen helfen wollen, Patienten, die man vielleicht schon aufgegeben hatte. Der psychiatrische Gutachter Dr. Peter Winckler wird später im Prozess einiges, sicherlich Höchstinteressantes über Sascha S. zu berichten haben.

Freiwilliges, soziales Jahr im Kreiskrankenhaus Nürtingen

Der mehrfach wegen Betrugs vorbestrafte Angeklagte war persönlich in eine Sackgasse geraten. Seine Eltern hatten sich getrennt, als er neun Jahre alt war, er blieb bei der Mutter. 2000 machte der durchaus intelligente Bursche einen mehr schlechten als rechten Hauptschulabschluss. Die Lehre als Konstruktionsmechaniker brach er nach einem Monat ab. "Die Werkstattarbeit war nichts für mich."

Sascha S. strebte nach Höherem. Mit 13 Jahren hatte er, wie er sagt, beim Jugendrotkreuz in Böblingen "meine Ersatzfamilie" gefunden. Dort habe er sich gut gefühlt, dort habe er Freunde gefunden. Die Medizin, wenn auch nur als Helfer beim DRK, ließ ihn fortan nicht mehr los.

2001 absolvierte er ein Praktikum im Stuttgarter Diakonissenkrankenhaus, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und lernte auf seine Prüfung als Rettungshelfer. Er bestand sie, soll aber den Nachweis der notwendigen Klinikstunden gefälscht haben. "Das stimmt nicht. Ich habe mehr als 80 Stunden im Krankenhaus in Bad Cannstatt abgeleistet", betont er.

2002 leistete er ein freiwilliges, soziales Jahr im Kreiskrankenhaus Nürtingen ab. Dort sei er später gar als Vollpflegekraft eingesprungen. Die Pflegedienstleiterin warf ihn trotzdem hinaus und man erteilte ihm sogar Hausverbot. Sascha S. weise eine gestörte Persönlichkeit auf, so die Pflegechefin damals. Die Erklärung des 27-Jährigen dazu bleibt vage.


Um weitere Praktika im Robert-Bosch-Krankenhaus und in Bad Cannstatt machen zu können, verdingte sich der Möchtegern-Arzt als Buletten- und Fischbrötchenverkäufer, immer seinen Traum von einem Beruf im Medizinbetrieb im Hinterkopf.

Als Rettungshelfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) war er bei Sanitätseinsätzen bei Großveranstaltungen wie Konzerten oder bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 aktiv. Über seine Verurteilungen wegen Betrugs und wegen Stalkings - er hatte seine Ex-Freundin und deren Familie terrorisiert - wird im Prozess noch zu reden sein.

2008 wechselte er vom DRK-Ortsverein Böblingen zum Ortsverein Stuttgart-Giebel, dann folgten weitere Praktika in Kliniken in Mühlacker und Pforzheim. Die Notfallmedizin hatte es ihm angetan. Doch er war in einer Sackgasse gelandet. Schulisch konnte er als Hauptschüler seine Faszination für die Heilkunde nicht adäquat in die Wirklichkeit umsetzen. "Nur zum Spaß" habe er 2008 eine Approbationsurkunde aus dem Internet heruntergeladen und mit seinem Aliasnamen Dr. Sascha Schenk versehen. Ein Jahr später sei er auf seinem Computer wieder auf die Urkunde, die ihn angeblich zum Arzt machte, gestoßen. Was ihn geritten hat, sein Profil als Doktor der Medizin in ein Internetportal für Akademiker zu stellen, sagt er nicht.

Noch ist das Geständnis nicht vollständig

Tatsächlich meldete sich eine Agentur und bot ihm eine Stelle als Assistenzarzt auf Honorarbasis im Paracelsus-Krankenhaus in München-Bogenhausen an. "Ich habe mir einen Lebenslauf gebastelt und mich dort vorgestellt." Plötzlich war sein Vater kein Dachdecker , seine Mutter keine Friseurin mehr, sondern Oberärzte. Am 3. August 2009 fing Dr. Sascha Schenk als Anästhesiearzt in der Münchener Klinik an. "Davon hatte ich Ahnung, das konnte ich", sagt er.

Die Münchener Klinikleitung war so begeistert von Dr. Sascha Schenk, dass man ihm nach Ablauf seines mehrmonatigen Vertrages eine weitere Anstellung anbot. Die nahm er nicht an, sonst wäre er aufgeflogen.

Der 27-Jährige wechselte nach Horb, wo er im Hospital zum Heiligen Geist als Notarzt arbeitete. Zudem war er als Helfer vor Ort im Rems-Murr-Kreis im Einsatz. Als Dr. Sascha Schenk am 1. Februar 2010 schließlich festgenommen wurde, hatte er 161 Patienten behandelt. Niemand ist zu Schaden gekommen.

Eigentlich wollte der verhinderte Arzt, jetzt offenbar Hobbyjurist, am Freitag die Besetzung der 5. Strafkammer rügen. Das lässt der Angeklagte aber bleiben. Denn man hat sich geeinigt: Legt er ein umfassendes Geständnis ab, wird er mit drei Jahren und neun Monaten bestraft. Darin seien die acht Monate Haft wegen Betrugs und Stalkings enthalten. Sascha S. und sein Anwalt Jens Rabe haben der Vereinbarung zugestimmt. Der Prozess wird aber am 3.Mai fortgesetzt. Noch ist das Geständnis des Dr. Sascha Schenk nicht vollständig.