An der Wand im Keller des Kunstmuseums findet man Graffiti. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Im Keller des Kunstmuseums Stuttgart sind die Wände mit Graffiti besprüht. Wer sich hier austobte, erklärt ein Blick in die Stuttgarter Stadtgeschichte der 90er-Jahre.

Würde man überschlagen, wie viel Geld investiert wurde in all die Bilder und Skulpturen im Kunstmuseums Stuttgart, käme eine stattliche Summe mit vielen Nullen zustande. Ein paar Werke hat das Museum aber kostenlos erhalten – sie waren sozusagen „all inclusive“, als 2005 der neue gläserne Würfel am Schlossplatz eröffnet wurde. Und dabei handelt es sich um junge, frische, freche Kunst: Graffiti.

 

Zu sehen bekommt das Publikum die Tags und dickbäuchigen Buchstaben, die Hinterlassenschaften von „Michi“ oder „THOR“, allerdings nicht. Dabei ist es ein abenteuerlicher und aufregender Spaziergang zu den Katakomben des Kunstmuseums Stuttgart. Im Keller befinden sich die Technikräume. Hier verlaufen dicke Röhren und pumpen große Anlagen frische Luft in die Ausstellungsräume. Hier ist auch die Sicherheitstechnik untergebracht. An den Wänden aber prangt echte Kunst – so, wie es sich für ein Museum gehört.

Früher gehörte der Tunnel den Skatern und Sprayern

Aller modernen Technik zum Trotz ist es eine Zeitreise in die 1990er Jahre. Die Skater und Sprayer von damals werden sich noch schmerzlich daran erinnern, wie ihnen von heute auf morgen die Heimat abhanden kam. Denn für den Neubau des Kunstmuseums musste ihr ,Hall-of-Fame’-Tunnel unterm Kleinen Schlossplatz weichen. Seit 1978 war hier ein nicht mehr genutzter Tunnel, den man abhängte, als die Königstraße 1978 zur Fußgängerzone und der Autoverkehr tiefer gelegt wurde. Die Graffiti-Szene bezog ihn und tobte sich kreativ aus. Schön war der Ort nicht, es stank nach Urin, Abgasen – und Lack. Die Sprayer und Skater aber liebten die „Gaskammer“, wie sie den Tunnel nannte.

Immerhin, beim Neubau des Museums sah man keine Notwendigkeit, die Graffitis an den Wänden zu übermalen, sodass sie sich bis heute über die langen, groben Wände ziehen. Hier kann man „Smoke“ lesen, dort „Ganosch“ oder „BK“. Eines Tages, wer weiß, werden die Kunsthistoriker ja vielleicht erforschen, wer hier am Werke war. Denn der Kunstbetrieb hat Graffiti längst für sich entdeckt. Das Kunstmuseum Stuttgart hat schon 2011 „New York Graffiti“ ausgestellt.

Erinnerung an die Sprayer in der „Gaskammer“

Auch Banksy hat seinen Teil dazu beigetragen, dass der klassische Museumsbetrieb sich der Street-Art und Graffiti vorsichtig angenähert hat. Deshalb hat sogar die Staatsgalerie Stuttgart das spektakuläre Schredderbild „Love is in the Bin“ von Banksy ein Jahr lang ausgestellt. Das Bild, das ein Mädchen mit einem roten Luftballon in der Hand zeigt, hatte sich während einer Auktion in London im Oktober 2018 in Bewegung gesetzt und rutschte aus dem Rahmen, in dem ein Schredder versteckt war. Seither hängt die untere Hälfte des Bildes in feine Streifen geschnitten aus dem Rahmen heraus. 1,2 Millionen Euro ließ sich eine Sammlerin das Bild kosten. Nach der Stippvisite in der Staatsgalerie ließ sie es wieder versteigern – und bekam stattliche 18,89 Millionen Euro.

In den Ausstellungsräumen ahnt man noch den Verlauf des Tunnels

Ganz soviel werden die Hinterlassenschaften im Keller des Kunstmuseums nicht wert sein. Aber es ist doch eine schöne Geste, dass man sie beim Neubau des Museums erhielt und damit die Erinnerung an die Sprayer in der „Gaskammer“ wach hält.

Übrigens kann man auch im Museum selbst noch erkennen, dass hier einst ein Tunnel verlief. Das Architekturbüro Hascher + Jehle aus Berlin hat im Untergeschoss den Verlauf der alten Röhren übernommen, sodass die Ausstellungsräume leicht ansteigen.