Immer weniger Jugendliche entscheiden sich wie diese Frau für einen Ausbildungsberuf. Foto: dpa

Laut Koalitionsvertrag soll die Hälfte eines Altersjahrgangs studieren. In Ausbildungsberufen fehlen daher Bewerber. Die Lage könnte sich weiter verschlechtern.

Stuttgart - Bis zum 1. Oktober haben in Baden-Württemberg rund 46.900 junge Menschen einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Allein in der Region Stuttgart seien es 11.000 neue Lehrlinge – ein Zuwachs von 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, berichtete Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) der Region Stuttgart, am Montag. 60 Lehrstellen in der Region seien noch unbesetzt. Landesweit seien in diesem Jahr 800 zusätzliche Lehrstellen bereitgestellt worden. Hinzu kommen viele Praktikumsplätze. Diese sollen Jugendlichen ohne Lehrstelle den Einstieg ins Berufsleben erleichtern, indem sie ihnen erste Einstiegsqualifikationen mit auf den Weg geben – die meisten würden nach einem halben Jahr als Auszubildende eingestellt, sagte Richter. Allerdings gibt es weit mehr Praktikumsstellen als Bewerber: bei 2900 freien Plätzen konnten nur rund 400 Verträge abgeschlossen werden.

Dieses sei bis auf Weiteres wohl das letzte Jahr, in dem ein Zuwachs an Auszubildenden zu verzeichnen sei, sagte Richter. Da die Schülerzahlen sinken, gibt es immer weniger Bewerber. Die Unternehmen reagieren bereits darauf: Schon jetzt sind für das kommende Ausbildungsjahr in der Region Stuttgart 1600 Stellen ausgeschrieben worden. Der Fachkräftemangel werde sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, insbesondere im Bereich der Techniker, Fach- und Betriebswirte, der Meister und Fachkaufleute. Die IHK geht von 128.000 fehlenden Arbeitskräften in den genannten Bereichen aus. Gleichzeitig, so betonte Richter, fehlten aber nur 39.000 akademische Fachkräfte. Daher sei die Politik der Landesregierung ein „Riesenfehler“. Diese hatte im Koalitionsvertrag das Ziel vereinbart, dass die Hälfte eines Altersjahrgangs ein Hochschulstudium absolvieren soll. Dies hält die IHK für ein falsches Ziel. Sie fordert die Landesregierung auf, sich zum dualen Ausbildungssystem in Betrieb und Berufsschule zu bekennen. Die größte Herausforderung sei der Mangel an Fachkräften unterhalb des Universitätsniveaus.

Hotel- und Gaststättengewerbe findet besonders schwer Nachwuchs

Mit der Einführung der Werkrealschulen erhalten Hauptschüler die Möglichkeit, einen Realschulabschluss zu machen. Dies stelle ein großes Problem für die Besetzung freier Lehrstellen dar. Schüler würden zumeist anstatt einer Lehre eine höhere Schulbildung und ein Studium anstreben – den Betrieben fehlten aber vor allem die nichtakademischen Fachkräfte. „Schwierig ist die Besetzung von Lehrstellen besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe“, sagte Richter. Probleme gebe es überall dort, wo flexible Arbeitszeiten gefordert seien und viel Lärm und Schmutz herrsche. Wenn eine Ausbildung zu schwierig sei, könne das auch zum Problem bei der Lehrlingssuche werden. „Das Programmieren von Maschinen kann hochkomplex sein“ – abschreckend für viele Jugendliche.

Die Bildungspolitik und die mangelnde Attraktivität einiger Ausbildungsstellen sind aber nicht der einzige Grund für unbesetzte Lehrstellen. Aufgrund des demografischen Wandels gehen die Schülerzahlen zurück. Betriebe hätten somit ohnehin schon Schwierigkeiten, genügend Nachwuchs anzuwerben. Der Rückgang der Schülerzahl fordere eine Umstrukturierung im Bildungssystem. Einige Standorte hätten schlicht zu wenig Schüler und müssten mit anderen zusammengelegt werden. Die IHK fordert eine Einbindung der Wirtschaft in den Umstrukturierungsprozess. Sie bezweifelt beispielsweise den Nutzen der Vollzeit-Berufsschulen. Diese seien zu weit weg von der beruflichen Praxis.

„Wer mit Kaugummi und zerrissenen Hosen zum Vorstellungsgespräch kommt, hat Probleme, eine Lehrstelle zu finden“

Viele Schulabgänger seien auch nicht ausbildungsreif und verhielten sich dementsprechend. „Wer mit Kaugummi und zerrissenen Hosen zum Vorstellungsgespräch kommt, hat Probleme, eine Lehrstelle zu finden“, sagte Richter. Diese Schüler seien aber trotzdem keine hoffnungslosen Fälle. Wären sie erst einmal in einem Unternehmen aufgenommen, so würden sie ihr Verhalten innerhalb eines Monats dem neuen Umfeld anpassen. Mit dem Erwerb von Einstiegsqualifikationen in einem Praktikum will die IHK Berufsanfängern eine Chance geben.

Viele Unternehmen bewerben ihre Ausbildungsangebote inzwischen verstärkt und bieten neben Möglichkeiten eines Auslandsaufenthalts auch den Erwerb von Zusatzqualifikationen wie der Fachhochschulreife an. Über Bildungspartnerschaften von Betrieben und Schulen und Vorträgen von Auszubildenden im Klassenzimmer sowie der gezielten Vermittlung von Schulabgängern will die IHK mehr Nachwuchs für eine duale Ausbildung gewinnen.

Die Initiative zett

Der Hintergrund: Studien belegen, dass regelmäßiges Zeitunglesen nicht nur die Medien- und Sprachkompetenz fördert, sondern auch die Allgemeinbildung verbessert und den Zugang zu gesellschaftspolitischen Themen ermöglicht. Die Zeitungslektüre ist damit für den persönlichen Entwicklungsprozess junger Menschen sehr förderlich. Aus diesem Grund stellen Unternehmen im Rahmen des Azubi-Projekts zett ihren Auszubildenden ein Jahr lang die Stuttgarter Nachrichten zur Verfügung. Die Zeitung wird den Auszubildenden während des Projektzeitraums nach Hause geliefert.

Die Teilnahme: Das Projekt richtet sich an alle Ausbildungsbetriebe in der Region Stuttgart und ist für alle Ausbildungszweige geeignet. Interessierte Unternehmen wenden sich an Elke Janku, Tel. 07 11 / 72 05 - 71 02, Gertraud Paul, Tel. 07 11 / 72 05 - 61 61 oder per E-Mail an zett@stn.zgs.de. Weitere Informationen gibt es auch im Internet unter www.stuttgarter-nachrichten.de/zett