Palästinenser inspizieren zerstörte Fahrzeuge nach einem israelischen Luftangriff. Foto: Abed Rahim Khatib/dpa

Die Geduld der USA mit Israel angesichts einer geplanten Offensive auf die Stadt Rafah schwindet. Washington zitiert eine Delegation aus Israel in die USA - und will Alternativen. Die News im Überblick:

Gaza/Tel Aviv/Genf/Washington - Im Gaza-Krieg steigt der Druck auf Israel, eine Bodenoffensive in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah zu unterlassen. Jeder Angriff auf die Stadt im Süden des Gazastreifens würde alle Bemühungen um eine Einigung über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln behindern, warnte der Sprecher des katarischen Außenministeriums, Madschid al-Ansari, am Dienstag. Kurz davor hatten die USA als wichtigster Verbündeter den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu noch einmal erhöht. Sie bezeichneten eine größere Bodenoffensive in Rafah als "Fehler" und beorderten eine israelische Delegation nach Washington.

In einem Telefonat habe US-Präsident Joe Biden Netanjahu aufgefordert, in den nächsten Tagen ein Team aus Vertretern von Militär, Geheimdiensten und Spezialisten für humanitäre Hilfe in die US-Hauptstadt zu entsenden, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Montag (Ortszeit). Es gehe darum, den Israelis die Vorbehalte der USA darzulegen und mögliche Alternativen zu erörtern. Netanjahu habe zugestimmt. 

"Wir gehen davon aus, dass sie mit der großen Militäroperation in Rafah nicht vorangehen werden, bis wir dieses Gespräch geführt haben", sagte Sullivan weiter. Ein Treffen sei für Ende dieser Woche oder Anfang kommender Woche angepeilt. 

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gaza in Rafah auf engstem Raum

Der gesamte Gazastreifen entspricht in etwa der Größe Münchens. In der Grenzstadt Rafah im Süden halten sich nach intensiven israelischem Bombardierungen im Norden und Zentrum des Küstengebiets Schätzungen zufolge 1,5 Millionen der insgesamt 2,2 Millionen Bewohner des Gazastreifens auf. Rafah gilt als die letzte noch nicht stark zerstörte größere Stadt in Gaza. Dort befindet sich der Grenzübergang zu Ägypten, über den Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen und unter anderem Verwundete das Gebiet verlassen können.

Die Position Israels: ohne Offensive in Rafah kann Hamas nicht besiegt werden

Israel betont immer wieder, ohne eine Offensive in Rafah könne die Hamas nicht vollständig besiegt werden. Es sei eine militärische Notwendigkeit, die dort verbliebenen Bataillone der Hamas zu zerschlagen. Andernfalls könne sich die Terrororganisation nach Kriegsende neu formieren und wieder die Kontrolle über den Küstenstreifen übernehmen. Außerdem werden im Tunnelsystem die Hamas-Führungsspitze, deren Tötung Israel gelobt hat, sowie die am 7. Oktober verschleppten Geiseln vermutet, von denen noch etwa hundert am Leben sind.

"Wir haben einen Streit mit den Amerikanern über die Notwendigkeit, nach Rafah reinzugehen", sagte Netanjahu am Dienstag. Ein solcher Einsatz sei aber notwendig, um die Hamas zu zerstören, bekräftigte er. "Wir sind entschlossen, dies zu tun."

Israel will auch den Grenzstreifen zwischen Gaza und Ägypten wiedererobern. Netanjahu hatte gesagt, der rund 14 Kilometer lange, sogenannte Philadelphi-Korridor müsse auch nach dem Krieg wieder von Israel kontrolliert werden. Nur so könne man eine Entmilitarisierung des Gazastreifens gewährleisten. Damit soll verhindert werden, dass wieder Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden.

Position der USA: Offensive führt zu zivilen Toten und bedroht Hilfslieferungen

Die USA haben ihre Einstellung zu einer möglichen Offensive in Rafah klar dargelegt. "Wir sind der Meinung, dass die Hamas weder in Rafah noch anderswo einen sicheren Zufluchtsort haben sollte, aber eine größere Bodenoperation dort wäre ein Fehler", sagte Sicherheitsberater Sullivan. "Sie würde zu weiteren unschuldigen zivilen Todesopfern führen, die ohnehin schon düstere humanitäre Krise verschlimmern, die Anarchie in Gaza verschärfen und Israel international weiter isolieren."

Israel habe weder den USA noch der Welt einen Plan präsentiert, wie die nach Rafah Geflohenen in Sicherheit gebracht und versorgt werden könnten. Außerdem sei Rafah der wichtigste Zugangspunkt für humanitäre Hilfe aus Ägypten und Israel nach Gaza. 

UN-Koordinator: Offensive könnte Versorgung von Gaza vollends unterbrechen

Auch Hilfsorganisationen warnten vor schwerwiegenden Folgen. Eine israelische Militäraktion in Rafah würde die schon jetzt unzureichende Versorgung der Menschen im gesamten Gazastreifen mit Trinkwasser und Lebensmitteln vollends unterbrechen, sagte der amtierende humanitäre UN-Koordinator für die besetzten palästinensischen Gebiete, Jamie McGoldrick. Über Rafah komme zurzeit praktisch die gesamte humanitäre Hilfe in das Gebiet.

Das Hilfsmaterial der wenigen Konvois, die Israel hineinlasse, würde von verzweifelten Menschen sofort entladen oder von Helfern verteilt. Die UN hätten bislang nur aus der Presse von "humanitären Inseln mit Zelten" gehört, die Israel für die Menschen aus Rafah plane, sagte McGoldrick. Unklar sei, wo dafür überhaupt genügend Platz geschaffen werden könne. "Sollte Rafah evakuiert werden - ich weiß nicht, ob es im gesamten Weltmarkt überhaupt genügend Zelte gäbe, um die Leute unterzubringen", sagte McGoldrick. 

Experten: Rafah militärisch einfacher als Chan Junis

Militärisch sehen Experten eine Offensive in Rafah als weniger kompliziert als zuvor in der Stadt Chan Junis, wo sich Elite-Einheiten der Hamas verschanzt hatten. Zudem sei die Bevölkerung in Rafah eher mit Familienclans verbunden und weniger mit extremistischen Organisationen, schrieb Avi Issacharoff in der Zeitung "Jediot Achronot". Daher gebe es die Hoffnung, "dass eine Militäroperation in Rafah auf weniger Widerstand stößt". 

Zugleich warnen Beobachter, sollte eine Offensive noch während des muslimischen Fastenmonats Ramadan beginnen, könnten neue Bilder von Tod und Zerstörung aus Rafah zu Unruhen in Jerusalem, dem Westjordanland und der arabischen Welt im Allgemeinen führen und antiisraelische Proteste von Muslimen im Westen befeuern.